Urteil mit Hausverstand und sachgerechter Begründung
Da kann sich unser Verfassungsgerichtshof – immer wieder verhaltensauffällig wegen seiner umstrittenen Entscheidungen (gleichgeschlechtliche Ehe, Sterbehilfe) – von seinem fürstlich-liechtensteinischen Pendant, dem Staatsgerichtshof, ein Scherzl abschneiden.
In Vaduz hat nämlich der Staatsgerichtshof die Entscheidung der fürstlichen Regierung vom 15. Dezember 2021, LGBl. 2021 Nr. 405 (Einführung der 2G-Pflicht ab 18. Dezember 2021; damit galt nur mehr die Alternative geimpft/genesen ohne die Möglichkeit des Testens) als gesetz- und verfassungswidrig aufgehoben (Urteil vom 10. Mai 2022, Aktenzeichen StGH 2022/003). Da die 2G-Regel bereits mit 24. Jänner 2022 wegen gesunkener Covid-Zahlen aufgehoben worden ist, kommt dem Erkenntnis keine unmittelbare Wirkung zu, ist jedoch eine Richtschnur, falls die Regierung auf die Idee kommen sollte, die Freiheiten der Bürger wieder einzuschränken.
Das Verfahren wurde von drei Bürgern (unterstützt von weiteren 441 Liechtensteinern, da ein sogenanntes Normenkontrollverfahren wie im gegenständlichen Fall von mindestens einhundert Bürgern begehrt werden muss) in Gang gesetzt, die von der Krankheit verschont wurden, sich andererseits nicht dem Impfrisiko aussetzen wollten.
Die Regierungsverordnung vom Dezember 2021 stützte sich im Wesentlichen auf das schweizerische Epidemiegesetz, welches über den Zollvertrag zwischen der Eidgenossenschaft und Liechtenstein auch für das Fürstentum gilt. Nach Ansicht des Staatsgerichtshofes müsse sich der kleine Vertragspartner nicht sklavisch an die Vorgaben der schweizerischen Norm halten, sondern für solche Maßnahmen im Zweifel eine fundiertere gesetzliche Grundlage (zu) schaffen als die Schweiz. Ein kleiner Seitenhieb auf die Eidgenossenschaft.
Die 2G-Regel sei, so der Staatsgerichtshof, deswegen verfassungswidrig, weil – anders als bei der 3G-Regel – für den ungeimpften Bürger ab dessen vollendeten 16. Lebensjahr die Möglichkeit entfalle, durch einen negativen Test Zugang zu folgenden Einrichtungen zu erhalten: Gastronomie, Kultur- und Sportstätten sowie Unterhaltungs- und Freizeitbetrieben.
Die fürstliche Regierung, so Gesellschaftsminister Manuel Frick, nehme die Ansicht des Staatsgerichtshofes zur Kenntnis und werde (vermutlich: nolens volens) das Erkenntnis bei künftigen Verordnungen berücksichtigen.
Alles in allem dürften die liechtensteinischen Verfassungshüter die Interessen der Bürger mehr im Auge haben als der ein bisserl regierungsfromme VfGH hierzulande. Zumindest hat es den Anschein.