“Kein sachlicher Grund für ­Verlauf der Ereignisse”

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Der Volkswirt, Sozialwissenschafter und Philosoph Universitätsprofessor Hans-Hermann Hoppe über die Frage Staat oder Privatrechtsgesellschaft und den Umgang mit Corona

Professor Hoppe, Sie sind als Staatskritiker und Kritiker politischer Zentralisierung bekannt. Beweist nicht Corona, dass Zentralstaaten und zentralstaatliche Vorschriften nötig sind?
Hans-Hermann Hoppe: Im Gegenteil. Natürlich haben die diversen Zentralstaaten und internationalen Organisationen wie etwa die EU oder die WHO versucht, die sogenannte Covid-19-Pandemie zum eigenen Vorteil zu nutzen, d.h. um ihre Macht über ihre jeweiligen Untertanen auszubauen. Um auszuprobieren, wie weit man angesichts einer anfangs unbestimmt-vagen und dann systematisch dramatisierten Gefahr einer globalen Epidemie mit dem Herumkommandieren anderer Leute gehen kann. Und das Ausmaß, in dem dies gelungen ist, bis hin zu einem allgemeinen Hausarrest, ist erschreckend.

Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe, Philosoph und Volkswirt, ist einer der führenden Vertreter der Österreichischen Schule der Ökonomie und zählt zu den bedeutendsten Sozialwissenschaftern der Gegenwart. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher. Sein aktuelles Buch heißt „Über den demokratischen Untergang und die Wege aus der Ausweglosigkeit: Reden, Aufsätze und Interviews wider den links-grünen Zeitgeist“, erhältlich im Buchhandel. (Bild: Wikipedia/Gage Skidmore/ CC BY-SA 3.0)

Doch wenn der Ablauf der gegenwärtigen Ereignisse irgendetwas gezeigt hat, dann ist es nicht die Notwendigkeit oder Effizienz zentraler Instanzen und Entscheidungen, sondern umgekehrt die zentrale Bedeutung dezentraler Entscheidungen und Entscheidungsträger.
Die von einer Epidemie ausgehende Gefahr ist nie überall, für jedermann, und zum gleichen Zeitpunkt ein und dieselbe. Die Lage in Frankreich ist anders als die in Deutschland oder im Kongo, und China ist nicht Japan. Und innerhalb diverser Länder unterscheidet sich die Gefahrenlage von Region zu Region, von einer Stadt zur anderen, zwischen Stadt und Land, und je nach demographischer und kultureller Zusammensetzung der Bevölkerung. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe höchst unterschiedlicher Einschätzungen und Vorschläge dazu, was angesichts dieser Gefahrenlage zu tun und lassen­ ist, alle vorgetragen von gleichermaßen „ausgewiesenen wissenschaftlichen Experten.“ Von daher muss jede zentralistische, flächendeckende (im Extremfall weltumfassende) Maßnahme zur Gefahrenabwehr – ein „one-size-fits-all“ Model – von vornherein als abwegig und zweckwidrig erscheinen.
Angesichts dieser Sachlage war es nur natürlich, dass sich neben den Repräsentanten der Zentralstaaten überall schnell und zunehmend auch diverse Provinzfürsten und Lokalgrößen in das Geschäft der Gefahrenabwehr einmischten. Die Epidemie bot ihnen die perfekte Gelegenheit, um sich gegenüber dem Zentralstaat und seinen Vertretern zu profilieren und den eigenen Machtbereich auszubauen. Sie ignorierten, verschärften, milderten, verzögerten oder sonst wie modifizierten die zentralstaatlichen Maßnahmen für ihre jeweilige Region. Stets mit einem Auge auf die öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung, und häufig von der Hoffnung getragen, sich durch die Stellung eines populären Regional-Diktators schließlich auch für das Amt eines Zentral-Diktators zu qualifizieren.

Politische Entscheidungsträger sind vom Risiko möglicher Fehlent­scheidungen weitgehend befreit.

Sind Politiker einfach nur dumm?
Hoppe: Sicher gehören Politiker insgesamt nicht zu den hellsten Köpfen. Und das „Gutmenschentum“, das sie allesamt eint, d.h. ihr Anspruch, durch das eigene Handeln anderen Menschen (oder gar der ganzen Menschheit) zu größerem Glück und Wohlstand verhelfen zu wollen und können, sollte von vornherein als suspekt gelten. Aber der eigentliche Grund für das Versagen der Politik im Allgemeinen und insbesondere im Umgang mit infektiösen Krankheiten liegt tiefer und ist
struktureller Natur.
Der tiefere, strukturelle Grund liegt darin, dass politische Entscheidungsträger, ob zentraler oder regionaler Art, bei ihren Entscheidungen, wie es heute salopp heißt, ‚no skin in the game’ haben. D.h. sie sind vom Risiko möglicher Fehlentscheidungen und etwaiger Verluste und Kosten weitgehend befreit. Sie müssen nicht lange überlegen und Folgen und Nebenfolgen ihres Handelns gegeneinander abwägen, sondern können stattdessen „spontane“ Entscheidungen treffen, da sie für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht persönlich haftbar sind. Sie können die Kosten ihres Handelns weitgehend auf andere Personen abwälzen. Das ist der tiefere Grund, warum und wann Dummheit und Gutmenschentum – und speziell in ihrer Kombination – zu einer Gefahr werden und dann systematisch Verantwortungslosigkeit, Willkür und Größenwahn befördern.
Exemplar Corona: Warum sollte man angesichts einer infektiösen Krankheit nicht auch zu „mutigen“ Mitteln greifen, wie Ausgeh- und Kontaktverboten, Hausarresten, Betriebsschließungen, Arbeits- und Produktionsverboten, etc., wenn man doch selbst dadurch keine unmittelbaren Einkommensverluste erleidet, weil, wie bei allen politischen Entscheidungsträgern und sogenannten Staatsdienern der Fall, das eigene Einkommen nicht aus produktiver Erwerbstätigkeit stammt, sondern aus Steuern, also mittels Zwangsabgaben finanziert wird und von daher kurz- und mittelfristig gesichert ist? Und warum sollte man sich über die indirekten und langfristigen Neben- und Nachfolgen des eigenen Handelns lange den Kopf zerbrechen, wenn man doch nicht persönlich angeklagt, haftbar und schadenersatzpflichtig gemacht werden kann? Zur Rechtfertigung des eigenen „mutigen“ Handelns kann man auf eine im Vergleich zur jeweiligen Gesamtbevölkerung kleine, aber erfinderisch hoch-gerechnete Zahl angeblich vor schwerer Krankheit oder gar dem Tod Geretteter verweisen, während man die Folgen eines sogenannten Lockdowns einfach ausblendet, d. h. die Tatsache, dass eine weit größere Anzahl von Personen durch diese Maßnahmen in eine wirtschaftliche Notlage gerät und daran vielleicht indirekt und zeitlich verzögert erkrankt oder stirbt.

Auch Gäste ihrerseits können Vorsichtsmaßnahmen treffen, um ungehinderten Zugang zu Gastgebern zu finden.

Wie würde das Problem einer Pandemie denn ohne staatliche Vorschriften, in einer Privatrechtsgesellschaft gelöst?
Hoppe: Ganz ähnlich der Immigrationsproblematik, deren Dringlichkeit durch Corona gegenwärtig überdeckt wird, geht es angesichts einer Pandemie schlicht und einfach um die Frage „wen lasse ich rein und wen schließe ich aus“ bzw. „zu wem gehe ich hin und von wem halte ich mich fern.“ Konkreter: Jeder private Eigentümer bzw. Eigentümerverband hat aufgrund der eigenen Gefahreneinschätzung einer infektiösen Erkrankung hinsichtlich seines Eigentums zu entscheiden, wem erlaube ich wann und unter welchen Bedingungen Zutritt zu meinem Eigentum und wem nicht. Und diese Entscheidung kann und wird insbesondere bei kommerziell genutztem Eigentum auch eigene präventive Maßnahmen umfassen, die den Besucher- bzw. Kundenzutritt erleichtern sollen, indem sie diesen als Risiko-reduzierend oder -minimierend erscheinen. Und umgekehrt können Besucher bzw. Kunden auch ihrerseits Vorsichtsmaßnahmen treffen, um einen ungehinderten Zugang zu diversen möglichen Gastgebern zu finden. Das Resultat dieser vielfältigen Einzelentscheidungen ist ein komplexes Geflecht von Zutritts- und Besuchsregeln. Alle Begegnungen oder Treffen von Personen erfolgen freiwillig und gewollt. Sie kommen jeweils zustande, weil sowohl der Gastgeber als auch der Besucher den Nutzen ihrer Begegnung für höher erachten als das sich aus ihr ergebende Risiko einer möglichen infektiösen Ansteckung.
Und auch dies ist noch erwähnenswert: In diesem Wettbewerb privater Entscheidungsträger um eine Lösung des Problems gibt es stets eine erhebliche Anzahl von Personen bzw. Personengruppen, weit größer jedenfalls als die Zahl der in Parlamenten und Regierungen versammelten Rotten von Politikern, die diesen (letzteren) in jeder denkbar relevanten Hinsicht überlegen sind, was Erfahrungsreichtum, Intelligenz, unternehmerischen Erfolg oder professionelle und wissenschaftliche Qualifikation, Leistung und Urteilsvermögen angeht.

Das folgenreichste Täuschungs­manöver bestand darin, die Bedeutung von „Gefahr“ neu zu definieren.

Können Sie beispielhaft erläutern, was im Vergleich zum gegenwärtigen politischen Umgang mit dem Coronavirus in einer Privatrechtsgesellschaft anders verlaufen wäre? Und wie?
Hoppe: Kurz gesagt: Corona hätte qua Pandemie gar nicht stattgefunden. Das heißt nicht, dass es das Virus nicht gibt oder dass es nicht ansteckend oder gefährlich ist. Es heißt vielmehr, dass die von dem Coronavirus tatsächlich ausgehende Infektionsgefahr so gering ist, dass sie von den meisten Menschen (gerade auch intelligenten!) als solche gar nicht wahrgenommen worden wäre und deshalb auch keinerlei nennenswerte Verhaltensänderungen bei ihnen ausgelöst hätte. Und auch dort, wo ein merkbarer Anstieg infektiöser Erkrankungen oder Todesfälle zu verzeichnen war (z. B. in Altersheimen, Krankenhäusern, etc.), wäre dieser Anstieg als durchweg normales, saisonal oder regional fluktuierendes oder variierendes Phänomen wahrgenommen worden, wie etwa eine schwere Grippewelle, auf das man mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen reagiert. Das Leben wäre im Großen und Ganzen so weiter gelaufen wie bisher. Kein Grund zur Panik und zur Ausrufung eines globalen Gesundheitsnotstands.
Die radikale – wirtschaftlich ruinöse – Abkehr vom normalen Gang der Dinge, die sich gegenwärtig vollzieht, verdankt sich nicht einer grundlegenden Veränderung in der Welt der Tatsachen oder der Wissenschaft. Weder die Tatsachen noch die Wissenschaft bieten eine Grundlage für die Rechtfertigung eines globalen „New Normal“ oder eines „Great Reset.“ Sie ist das Ergebnis absichtsvoller Machenschaften seitens der politischen Eliten, um ihre eigene Machtfülle durch Lug und Betrug, Falschinformation, Täuschung und endlose Propaganda in einem bis dato unbekannten und unerhörten Masse auszuweiten.
Zu diesen krummen Machenschaften gehörte es, die Zahl der sogenannten Corona-Toten systematisch nach oben zu tricksen, indem jeder Todesfall als Corona-Tod verbucht wurde, bei dem das Virus zum Todeszeitpunkt nachgewiesen werden konnte, unabhängig davon, ob es in irgend­einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Todesfall stand. Und ebenso vermied man bewusst jede Berichterstattung über den tödlichen Kollateralschaden des Lockdowns: die Zahl der Toten, die verstarben, weil die Krankenhäuser zeitweilig nur für Corona-Patienten offenstanden, die Zahl der Selbstmorde wirtschaftlich Ruinierter, oder die Zahl der an Zwangsvereinsamung verstorbenen Alten.
Das gewagteste und folgenreichste Täuschungsmanöver aber bestand darin, die Definition von „Gefahr“ grundlegend zu ändern, neu zu definieren, und dadurch zu vergrößern bzw. vergrößert erscheinen zu lassen. Landläufig und üblicherweise werden Krankheit und Krankheitsgefahr durch die Präsenz bestimmter Symptome definiert. Weist eine Person keinerlei Krankheitssymptome auf, dann gibt es aus ihrer Sicht auch keine Gefahr. Stattdessen hat die Politik eine Definition von Gefahr durchgesetzt und zur Grundlage ihrer Entscheidungsfindung erhoben, die Gefahr nicht am Vorhandensein von Symptomen festmacht, sondern am Ausgang eines sogenannten Coronatests. Die Gefahr bemisst sich danach an der absoluten Zahl von Corona-positiv getesteten Personen, von denen man umso mehr findet, je mehr man testet, und deren Zahl uns dann endlos, Tag für Tag, eingehämmert und dramatisch vor Augen geführt wird.
Wer, welche Eigentümer oder Eigentümerassoziationen in einer Privatrechtsgesellschaft würden angesichts dieser Gefahrenlage einen Anlass sehen, ihr normales und übliches Verhalten grundlegend zu verändern? Wer würde deshalb sein Geschäft schließen? Wer würde aufhören zu arbeiten und produzieren oder zu reisen? Sicherlich wäre man auch vorsichtiger speziell im Umgang mit älteren Personen gewesen, die einem erkennbar größeren Krankheitsrisiko ausgesetzt waren und sind.
Vermutlich hätte auch der eine oder andere Krankenhausbetreiber seine Krankenbettenzahl erhöht. Dass der gegenwärtige Verlauf der Ereignisse tatsächlich völlig anders war und ist, hat keinen sachlichen Grund, sondern verdankt sich allein der Existenz einer Klasse von Personen, der Politikerklasse bzw. der politischen Elite, die für die Kosten und Nachfolgen ihres eigenen Handelns keinerlei Verantwortung oder Haftung übernehmen muss und die ihr Gutmenschentum darum bis hin zum Größenwahn steigern kann.

Bei diesem Interview handelt es sich um die deutlich ­gekürzte Fassung eines vom Ludwig von Mises Institut Deutschland veröffentlichen Gesprächs mit Professor Hoppe. Lesen Sie die Originalfassung des Interviews unter: www.misesde.org

[Autor: Bild: PxHere Lizenz: -]

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