Türkei: Innen- und außenpolitische Scherereien

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Presindent.ua Lizenz: CC BY 4.0


Erdogan dürfte den Zenit seiner Polit-Laufbahn überschritten haben

Recep Tayyip Erdogan steht offenbar das Wasser bis zum Hals. Innenpolitisch vor allem durch die Wirtschaftslage mit einer Inflation von über siebzig Prozent und dem Verfall der Lira. Was angesichts des herannahenden Termins für die Neuwahl von Präsident und Parlament (wahrscheinlich im Juni 2023) nicht gerade ein gutes Abschneiden Erdogans und seiner Partei AKP erwarten lässt. Zudem steht Erdogan unter dem Druck seines mandatsmäßig zwar kleinen, aber dessen ungeachtet mächtigen Koalitionspartners MHP unter Führung des Scharfmachers Devlet Bahçeli. Weil die AKP in der Nationalversammlung (600 Sitze) nur über 285 Mandate verfügt und folglich auf die 48 Landesväter der MHP angewiesen ist.

Diese nationalistische Gruppierung drängt Erdogan zu einer harten Haltung gegenüber den Kurden im Osten Anatoliens. Die MHP bestärkt ihn auch in seinem (vorläufigen) Veto gegen einen NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands. Die beiden Staaten sollen ja, so Ankara, kurdischen Terrororganisationen ein Betätigungsfeld bieten.

Außenpolitisch dürfte es sich Erdogan mit vielen verscherzt haben. Washington ist wenig erfreut über die von der Türkei in den Weg gelegten Hindernisse für eine nordeuropäische NATO-Erweiterung. In Syrien darf Ankara es sich nicht allzu sehr mit den auf der anderen Seite des Konflikts stehenden Russen anlegen.

Was den Ukraine-Konflikt angeht, so ist Putin ohnedies wenig erfreut über die Lieferung von türkischen Drohnen an Kiew. Die UCAV TB2 Bayraktar-Kampfdrohnen der ukrainischen Armee verzeichnen im Erdkampf gegen Russland einen Erfolg nach dem anderen. Sie halten zudem die russische Schwarzmeerflotte in Schach. Mit einer Spannweite von zwölf Metern zählen sie zur obersten Klasse bewaffneter Drohnen.

In der Ukraine erweist sich der leise Tod aus der Luft als Geheimwaffe. Die Drohnen fliegen ihre Einsätze in großer Höhe, praktisch unsichtbar und lautlos. Mit einer Verweildauer in der Luft von bis zu 24 Stunden und ausgerüstet mit hochwirksamen Luft-Boden-Raketen kann ein Ziel in aller Ruhe aufgeklärt, bewertet und bei Bedarf bekämpft werden.

Genauso wie in Bergkarabach, wo die Aseris mit den Drohnen den Armeniern das Fürchten gelehrt haben. Oder in Libyen – dort stoppten sie den Vormarsch der ostlibyschen Verbände des selbsternannten Feldmarschalls Khalifa Haftar von Bengasi auf die Hauptstadt Tripolis. Doch während man Erdogan in Aserbeidschan und Libyen dankbar auf die Schulter klopft, findet Kiews Machthaber Selenski, die Drohnen-Lieferung sei doch das Mindeste, was man seitens der Türkei für die Ukraine tun könne. Dafür ist Wladimir Putin hochgradig sauer.

Erdogan hält es offenbar mit dem Motto Viel Feind, viel Ehr‘. Denn in den letzten Wochen legt er es sich auch mit Griechenland an. Der Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen (29. Mai 1453) bietet immer eine gute Gelegenheit für türkische Sticheleien gegen Griechenland. Am 29. Mai setzt das türkische Verteidigungsministerium eine Twitter-Meldung ab, in dem es Athen vorwirft, von der Wiedererrichtung des vor 569 Jahren untergegangenen Oströmischen Reiches zu träumen und deshalb der wahre Unruhestifter in der Region zu sein.

Wie Ankara zu dieser abenteuerlichen Einschätzung gelangt, ist unbekannt. Denn zuletzt macht eher die Türkei mit revisionistischen Äußerungen von sich reden. Ankaras Außenminister Mevlüt Cavusoglu  fordert die Demilitarisierung der griechischen Inseln in der Ost-Ägäis. Andernfalls müsse sein Land die griechische Souveränität über die Inseln infrage stellen, so der türkische Chefdiplomat.

Die Verstimmungen im griechisch-türkischen Verhältnis kulminieren in der Äußerung Erdogans im Hinblick auf den Athener Premier Kyriakos Mitsotakis, für ihn gebe es keinen Menschen dieses Namens. Dabei steht der gutgekleidete Mitsotakis dem ebenfalls elegant gewandeten Erdogan rein äußerlich viel näher als sein recht versandelt wirkenden Vorgänger Alexis Tsipras und dessen Finanzminister Yanis Varoufakis.

Der Ärger des Chef-Anatoliers ist erklärbar: Mitsotakis flog im Mai in die USA, wo er als erster hellenischer Premier vor dem US-Kongress eine Rede hält, in deren Rahmen er sich gegen amerikanische Rüstungsgeschäfte mit der Türkei wendet.

Damit schwindet die Chance Ankaras, doch noch das neueste amerikanische Kampfflugzeug F-35 zu erhalten, selbst die Nachrüstung der F-16-Jets wird vom Kapitol in Washington blockiert. Was Wunder: Erdogan hat aufs Herrl g’schnappt und von den Russen das Flugabwehrsystems S-400 gekauft.

Hingegen investiert Athen in den letzten beiden Jahren erheblich mehr Mittel in die Landesverteidigung  und zeigt lebhaftes Interesse an denselben Flugzeugtypen wie die Türken. Athen hat keine Hindernisse zu erwarten.

Ganz im Gegenteil. Seit dem 24. Februar kommt der Hafenstadt Alexandroupolis nahe der Grenze zur Türkei eine enorme Bedeutung für die Versorgung der Ukrainer mit US-Militärgerät zu. Auch das stört Ankara und man lässt Kampfjets über die Gegend von Alexandroupolis wie auch über die griechischen Inseln in der Ost-Ägäis fliegen. Offensichtlich nimmt sich Erdogan ein Beispiel an Peking, das in der Straße von Formosa (Meeresenge zwischen dem rotchinesischen Festland und der Insel Taiwan) täglich mit Kampfmaschinen in den Luftraum Taiwans (offiziell: Republik China) eindringt.

Ankara wiederum wirft der griechischen Luftwaffe vor, den türkischen Luftraum zu verletzen. Die Häufigkeit solch gegenseitiger Vorwürfe ist stets ein zuverlässiges Zeichen für den Zustand der greco-türkischen Beziehungen.

Athen baut inzwischen den Zaun an der Landgrenze zum östlichen Nachbarn von vierzig auf 120 Kilometer aus. Denn es steht zu befürchten, dass Erdogan wie vor drei Jahren die Migranten als Druckmittel gegen Griechenland und die EU einsetzt. Athens patriotische Regierung rüstet sich also für einen erneuten Ansturm, den es 2019 in vorbildlicher Manier abgewehrt hat.

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