Ukraine-Konflikt: Experimentierfeld für neue US-Waffen?

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Cpl Lauren Whitney Lizenz: public domain


Washington hilft Kiew, aber nur tröpfchenweise

Interessierten Beobachtern drängt sich immer mehr ein durchaus beklemmender Eindruck auf, nämlich dass die USA – genauer gesagt, deren militärisch-industrieller Komplex (© Dwight Eisenhower) – die Auseinandersetzung in der Ukraine als Labor ansehen, um die Wirkung ihrer verschiedenen Waffen unter möglichst kriegsähnlichen Bedingungen zu testen.

Als historisches Beispiel dafür gilt der Spanische Bürgerkrieg (1936–1939), wo sowohl Sowjet-Russland wie auch das Deutsche Reich ihre damals hochmodernen Waffen zum Einsatz brachten, um deren Kampfkraft sozusagen unter Echtzeitbedingungen zu erproben. Als Beispiele seien hier der russische Panzer T-26 und der deutsche Sturzkampfbomber Ju-87 (Stuka) sowie die 8,8-cm-Flak genannt. Letztere wird dann – eine weitere Innovation! – vom Deutschen Afrikakorps auch im Erdkampf gegen Panzer eingesetzt.

Am 1. Juni gab Washington bekannt, man liefere den Ukrainern nunmehr Mehrfachraketenwerfer vom Typ M142 Himars (selbstfahrend, aber ungepanzert). Es handelt sich dabei um die wirksamste von drei Arten Artilleriewaffen, die Kiew von den Amerikanern zur Verfügung gestellt wird.

Bisher sind den Selenski-Truppen neunzig Stück M777 zur Verfügung gestellt worden. Das sind von Zugmaschinen gezogene ungepanzerte Haubitzen, mit deren Standardmunition Ziele bis zu 25 km Entfernung neutralisiert werden, mit Spezialmunition sogar bis vierzig Kilometer. Haubitzen vermögen, so wie Kanonen, feindliche Ziele auch im Direktbeschuss (Flachfeuer) auszuschalten, allerdings bloß in geringerer Entfernung. Geplant ist überdies die Entsendung von M109 Panzerhaubitzen, deren Reichweite mit der M777-Haubitze vergleichbar ist.

Wesentlich wirksamer sind allerdings Raketenwerfer M142 Himars, mit denen feindliche Objekte in einer Entfernung zwischen 40 und 75 km bekämpft werden. „Himars“ bedeutet High Mobility Artillery Rocket System. Es werden dabei sechs mittels Satelliten präzisionsgesteuerte Artillerieraketen abgefeuert. Damit haben die Selenski-Kräfte in Zukunft eine dem russischen Mehrfachraketenwerfer BM-30 Smertsch (dt. Tornado; damit vermag man Distanzen bis zu 70 km abzudecken) ebenbürtige Waffe.

Der Raketenwerfer M142 Himars soll weniger dafür dienen, den eigenen Kampfverbänden im Feld unmittelbare Feuerunterstützung zu geben, sondern gegnerische Geschütze, die weiter hinten positioniert sind, auszuschalten (Konterbatterie-Feuer). Vor allem aber vermag ein M142-Werfer in die Tiefe des feindlichen Raumes zu wirken, sohin logistische Ziele (Nachschubbasen für Verpflegung, Waffen und Munition) oder Stützpunkte von Kampfmaschinen und Hubschraubern zerstören.

Einstweilen wollen US-Militärfachleute offenbar die Wirkung des Raketenwerfers bei Verwendung von Standardmunition beobachten. Die nächste Stufe könnte der Einsatz von sogenannter Atacms-Munition sein. Atacms steht für Army Tactical Missile System. Diese Spezialmunition wird den Ukrainern derzeit vorenthalten, außerdem darf Kiew mit keiner US-Waffe Ziele in Russland, also jenseits der Grenze, beschießen.

Doch gerade das würde nachhaltige Auswirkungen zeitigen. Mit Atacms-Kurzstreckenraketen, vom Werfer M 142 Himars abgefeuert, sind Ziele bis zu einer Entfernung von dreihundert Kilometer (also die Distanz zwischen Wien und Salzburg) zu bekämpfen. Viele Nachschubeinheiten der Russen befinden sich zwischen einhundert und zweihundert Kilometer hinter der jeweiligen Frontlinie.

Vom Osten der Ukraine aus sind einerseits die Gegend von Belgorod, wo russische Kampfeinheiten en masse neu gebildet und für den Fronteinsatz bereitgestellt werden, und andererseits Militärflugfelder wie die Luftwaffenbasis Woronesch mit den Su-34-Bombern, die von dort zu den Einsätzen über die Ukraine starten, innerhalb der Atacms-Distanz. Außerdem der Flughaften Seschtscha nahe der Ostgrenze Weißrusslands.

Wladimir Putin bleibt indes nicht untätig. Die russische Armee hat bereits damit angefangen, die Transportwege, auf denen die neuen Waffen aus dem Westen geliefert werden, sohin vor allem Eisenbahnlinien ab der ukrainischen Westgrenze, unter gezielten Beschuss zu nehmen. Solchen Gegenschlägen kann auch ein Großteil der M 142 Raketenwerfer zum Opfer fallen. Herr Selenski sollte sich also nicht zu früh freuen.

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