“Den Einfluss der Parteien auf den ORF hat es immer gegeben”

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Ex-ORF-Journalist Walter Sonnleitner über das Verhältnis ORF und Politik, die „Message control“ von Bundes­kanzler Kurz und den Utilitarismus in der ­Berichterstattung

Herr Dr. Sonnleitner, Sie waren über 40 Jahre beruflich im ORF tätig, unter anderem unter allen Generaldirektoren seit Gerd Bacher. Inwieweit hat sich das Unternehmen ORF in dieser Zeit verändert?
Walter Sonnleitner: Das Große war natürlich der technische Fortschritt. Ich war seit Herbst 1966 – mit einigen studienbedingten Unterbrechungen – im ORF und habe Gerd Bacher als neu eintretenden Chef erlebt und dann ein paar andere. Bacher war einmalig und hat eine Informationsexplosion ausgelöst, getan, was er für richtig gehalten hat, und ist den einzelnen Politikern ordentlich auf die Zehen getreten. Das war ja auch der Grund, warum man ihn nach den Wahlen 1970/71, als Bruno Kreisky an die Macht kam, sofort entfernt hat. Man hat jemanden, der Redaktionsfreiheiten ausruft, abgesägt. Aber ich habe den Eindruck, dass es schon lange nicht mehr funktioniert, dass Redakteure, wenn sie ordentlich recherchieren, alles ans Licht bringen können.

Prof. Dkfm. Dr. Walter ­Sonnleitner war mehr als 40 Jahre im ORF als Journalist tätig. Er war hier unter anderem 1979 Gründungsmitglied der Redaktion des TV-Wirtschaftsmagazins „Schilling“ und hat bis 2009 viele Beiträge auch für die „Zeit-im-Bild“-Sendungen gestaltet und TV-Dokumentationen geliefert. Walter Sonnleitner hat auch eine ganze Reihe von Büchern geschrieben, wie „Erben und erben lassen“, „Stirb bankrott“, oder zuletzt „Die Corona-Falle – vom Wutbürger zum Angstbürger“. (Bild: sonnleitner.tv)

Wie sieht es konkret mit dem Einfluss der Politik aus?
Sonnleitner: Der Einfluss der Politiker und der Parteien auf den ORF hat sich auch nicht wirklich geändert. Den Einfluss der Parteien auf den ORF hat es immer gegeben, dieser Einfluss war immer auf Machtkampf eingestellt, wobei die Bedeutung des Fernsehens eindeutig überwiegt, weil was man sieht, das glaubt man. Da konnten sich die Politiker glaubhafter äußern, als sie das jetzt tun.
Früher gab es einen deutlichen Einfluss der jeweiligen Mehrheitspartei. Von 1966 bis 1970 hatte die ÖVP die absolute Mehrheit und dann ab 1971 die SPÖ und dann kam die Zeit der großen Koalition, die von uns im ORF als ruhige Zeit empfunden wurde, weil sich die Regierungsparteien immer irgendwie geeinigt haben und sich am Ende keiner ausgehebelt gefühlt hat.

Hängen die Begehrlichkeiten der Politik gegenüber dem ORF vielleicht damit zusammen, dass der ORF lange Zeit das Rundfunkmonopol hatte?
Sonnleitner: Bevor es kommerzielles Radio und Fernsehen gegeben hat, waren die Politiker natürlich stark auf den ORF angewiesen. Damals haben Bundeskanzler, Minister oder Landeshauptleute auch noch direkt beim Redakteur angerufen und ihm ordentlich die Leviten gelesen. Heute kann sich die Politik nur an die Chefs wenden und ausrichten lassen, was ein Redakteur in Zukunft zu unterlassen hat.
Viele haben den Eindruck, dass der ORF in seiner Berichterstattung eine Schlagseite nach links hat. Wie sehen Sie das?
Sonnleitner: Der ORF hat eine Kampagnen-Schlagseite. Früher hatten wir in den Nachrichten und in den Magazinen ein Ereignis-, ein News-Fernsehen, jetzt haben wir ein Kampagnen-Fernsehen. Es gibt aktuelle Schwerpunkt-Themen und die werden beinhart am ganzen Sender durchgezogen. Und wenn bei vielen Themen Oppositionspolitiker überproportional auftreten dürfen, dann kann bei manchen Konsumenten der Eindruck einer Schlagseite entstehen – je nach persönlicher Betrachtungsweise.

Inwieweit wirkt für das bürgerlich-konservative Lager noch die Fehleinschätzung des ehemaligen ÖVP-Bundeskanzlers Julius Raab nach, der in Bezug auf das damals neue Medium Fernsehen gemeint hat, „in des Kastl schaut eh kaner eini“?
Sonnleitner: Die ÖVP hat eigentlich in Sachen Medienpolitik wirklich versagt. Sie hat auch ihre Möglichkeiten nicht ausgenützt, vor allem in der Personalpolitik. Sie hat vieles einfach schleifen lassen oder hat sich vieles nicht getraut, weil die Führung nicht besonders mutig war. Sie hat sich im Aufsichtsrat/Stiftungsrat nicht immer durchsetzen können, und das rächt sich. Erst seit Bundeskanzler Kurz gibt es jetzt eine sehr professionelle „Message control“, die es früher in ganz Österreich in den Medien so nicht gegeben hat. Das hat offensichtlich dazu geführt, dass man im ORF täglich und bei jeder Gelegenheit die Opposition mit ihrer Kritik auftreten lässt, um ein Gegengewicht zur Message control der Regierung und des Kanzlers zu schaffen.
Das macht vielleicht den Eindruck einer Einseitigkeit, denn das, was täglich immer wieder im gleichen Wortlaut aus dem Fernsehgerät kommt, ist in Wahrheit Gehirnwäsche. In Wirklichkeit handelt es sich hier anscheinend um den Versuch, eine medieneinheitliche Informations­politik auf Basis einer Einheitsmeinung zu machen – alles geimpft usw.

Was täglich immer wieder im gleichen Wortlaut aus dem Fernsehgerät kommt, ist in Wahrheit Gehirnwäsche.

Sehen Sie hier noch die gesetzliche Objektivität des ORF gewährleistet?
Sonnleitner: Das ist ein sehr schwieriges Thema. Wir haben es mit einer Neuerscheinung zu tun, die „Utilitarismus“ heißt. Was zum Wohl oder zum Schutz der Bevölkerung wichtig und nützlich ist, das „muss“ einfach geschehen und dagegen wird auch keine Widerrede geduldet. Wer dagegen ist, ist ein Feind der Gemeinschaft. Die Medien „müssen“ darüber aufklären, was unbedingt notwendig ist, und das hören wir auch täglich im Fernsehen. Aber das Problem dabei ist: Wer bestimmt denn, was unbedingt notwendig ist und was nicht? Bestimmen das am Ende etwa ein paar regierungsfreundliche Wissenschafter?
Dieses Grundprinzip des Utilitarismus hat sich langsam entwickelt. Denken Sie an die Kampagne gegen das Rauchen: Man darf nicht rauchen, weil es schädlich für die Bevölkerung ist. Oder denken Sie an die Diskussion über Bargeldobergrenzen: Die strengen Kontrollen müssen sein, weil viele von uns möglicherweise gefährliche Geldwäscher sind. Oder: Alle müssen wir zur Rettung des Klimas mit einem E-Auto fahren.
Dieses Grundprinzip des Utilitarismus ist durch Corona so stark geworden, weil es um Gesundheit und Leben des Einzelnen geht, und da „muss“ die Politik den Menschen vorschreiben, was sie zu tun haben. Wir werden beschützt, aber wir müssen unsere Freiheit stückweise aufgeben.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

[Autor: Bilder: PxHere Lizenz: -]

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