Autor: U.K. Bilder: Gerd Altmann auf Pixabay Lizenz: –
Kräftige Gewinnsteigerungen durch Preiserhöhungen sorgen für soziale Spannungen und befeuern Lohn-Preis-Spirale
Trotz massiver Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank EZB, die im vergangenen Sommer als letzte der großen Notenbanken auf die Zinsbremse gestiegen ist, will die Inflation bei uns nicht recht weichen. Mit 9,2 Prozent beziffert Statistik Austria die offizielle Teuerungsrate für den März in Österreich, deutlich mehr als die 7,4 % in Deutschland, oder den nur 5,7 % in Frankreich. Zwar sind hierzulande die Preise für Benzin, Diesel und Heizöl seit ihren Höchstständen im letzten Jahr aktuell um rund 20 % zurückgegangen, und haben damit laut Statistik Austria wesentlich den leichten Rückgang der Inflationsrate bewirkt. Bei Strom, Gas und beim Wocheneinkauf im Supermarkt spürt man aber wenig davon, und durch die in Österreich weit verbreitete Indexierung der Wohnungsmieten sind jetzt per 1. April Hunderttausende von Haushalten von einem weiteren Teuerungsschub betroffen. Und eine wirkliche Besserung ist nicht in Sicht. Selbst die Österreichische Nationalbank erwartet jetzt für das laufende Jahr eine durchschnittliche Inflationsrate um die 7 Prozent, und ist damit sogar noch um gut ein Prozent pessimistischer als der Autor.
Für zusätzlichen sozialen Sprengstoff sorgen da jetzt zwei aktuelle Studien der EZB. In der 20-seitigen Analyse „Wage developments and their determinants since the start of the pandemic“ (= dt. „Lohnentwicklungen und ihre Einflussfaktoren seit Beginn der [Corona-] Pandemie“ kommen die Notenbanker in nüchterner Ökonomen-Fachsprache zum Ergebnis, dass Arbeitnehmer in der Euro-Zone im Zeitraum vom Sommer 2020 bis zur Mitte 2022 einen Reallohnverlust von fast 8 % hinnehmen mussten. Dabei sind in dieser Studie, die Ende letzten Jahres vorgelegt wurde, die extremen Teuerungsmonate dieses Winters mit ihren zweistelligen Inflationsraten noch gar nicht berücksichtigt.
Noch brisanter ist der Inhalt jener vertraulichen Präsentation, die anlässlich der EZB-Ratstagung im nordfinnischen Urlaubsort Inari am 22. Februar gezeigt wurde, und die kürzlich der renommierten Nachrichtenagentur Reuters zugespielt wurde. Dorthin, in der winterlichen Abgeschiedenheit des Polarkreises, hatten sich die 26 Ratsmitglieder der Zentralbank zu einer Klausur zurückgezogen, um fernab vom Tagesgeschäft über strategische Fragen der Geldpolitik nachzudenken. Und die gut zwei Dutzend Folien, die dort zum Thema Inflation gezeigt wurden, hatten es in sich.
Normalerweise sinken in einer Inflation die prozentualen Gewinnmargen der Unternehmen, wenn die Produktions- oder Einkaufskosten stark steigen. Denn bei konstantem Gewinn und erhöhten Verkaufspreisen sinkt der relative Anteil des Gewinns am Verkaufspreis, die sogenannte Umsatzrendite, schlicht aufgrund der Regeln der Prozentrechnung. Nun haben die Studien der EZB aber gezeigt, dass die Gewinnmargen vieler Firmen sogar gestiegen sind. Was bedeutet, dass die Unternehmen ihre Verkaufspreise viel stärker erhöht haben, als dies zum reinen Inflationsausgleich eigentlich nötig gewesen wäre. So ist z.B. die durchschnittliche operative Gewinnspanne der Konsumgüter-Hersteller in der Euro-Zone im vergangenen Jahr auf 10,7 Prozent gestiegen. Das ist ein Viertel mehr als im letzten Vorkrisen-Jahr 2019.
Nachgewiesen haben das die EZB-Volkswirte durch Vergleiche der obligatorischen Quartalsberichte, mit denen börsennotierte Firmen ihre Wirtschaftsdaten regelmäßig publizieren müssen, und den sogenannten „volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen“, die von den Statistik-Behörden der Euro-Länder ermittelt werden. Auch Paul Donovan, Chefökonom für Global Wealth Management bei der Schweizer Großbank UBS, sieht das ähnlich. „Es ist offensichtlich, dass die Profitausdehnung beim europäischen Inflationsgeschehen eine größere Rolle gespielt hat“, so Donovan gegenüber Reuters.
Zu einem ähnlichen Resultat für Österreich kommt jetzt auch eine Studie des Momentum-Instituts in Wien. „Eine Analyse der Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigt, dass eine Profit- Preis-Spirale auch in Österreich nachgewiesen werden kann. Drei Viertel der österreichischen Wirtschaft sind von dieser Profit-Inflation betroffenen. Für 40 Prozent der heimischen Wirtschaft sind profitgetriebene Preiserhöhungen sehr relevant“, so die Autoren Joel Tölgyes und Oliver Picek (Originaltext der Studie hier <https://www.momentum-institut.at/system/files/2023-03/pb-profit-inflation.pdf>). Sie prägen für diesen Effekt sogar einen neuen Begriff: „Gierflation“. Als besonders „gierige“ Branchen identifizieren Tölgyes und Picek neben der offensichtlichen Energiewirtschaft auch das Baugewerbe sowie Handel und Gastronomie. Hier haben die Konsumenten die Preiserhöhungen nach dem Motto „Es wird ja eh‘ alles teurer“ offenbar willig hingenommen.
Da ist es kein Wunder, wenn nun auch die Arbeitnehmer ein kräftiges Plus bei den laufenden Lohnverhandlungen einfordern, schlicht als Ausgleich für die exorbitant gestiegenen Lebenshaltungskosten. In Deutschland z.B. verlangt jetzt die mächtige Dienstleistungs-Gewerkschaft ver.di, die u.a. in den Bereichen Bahn, Post, medizinische Versorgung und öffentlicher Nahverkehr dominant vertreten ist, für die aktuelle Tarifrunde 2023 Lohnerhöhungen von 10,5 Prozent. Die Gewerkschaft zeigt sich diesmal durchaus kampfbereit. Ein ganztägiger ver.di Warnstreik am 27. März bei der Deutschen Bahn, ÖPNV und Flughäfen hatte sogar Auswirkungen auf Österreich, weil die Railjets der ÖBB zwischen Wien und Innsbruck nicht wie gewohnt über das große Deutsche Eck rollen konnten. Und weitere Streikaktionen sind geplant, die Verhandlungen sind derzeit festgefahren. Nicht viel anders sieht es derzeit in Frankreich aus, wo zum Thema Löhne noch der breite Unmut über die von Präsident Macron forcierte Erhöhung des Renteneintrittsalters kommt.
So verständlich auch die Forderungen der Arbeitnehmer sind, so bergen sie doch die Gefahr eines weiteren Inflations-Treibers: Der gefürchteten Lohn-Preis-Spirale, die in den 1970er-Jahren zu einer langanhaltenden Teuerungsperiode geführt hatte. Hier rächt sich nun das Zögern und die politisch motivierte Inflations-Leugnung der EZB-Spitze um Frau Lagarde bitter. Denn neutrale Experten, auch wir hier bei ZurZeit, haben bereits seit Juli 2021 vor dem drohenden Inflations-Tsunami gewarnt, immer und immer wieder.