„Afghanistan-Debakel bringt neue Flüchtlingswelle“

by admin2

Armin-Paul Hampel, außenpolitischer ­Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, fordert ­den sofortigen Rücktritt des deutschen Außen­ministers Heiko Maas

Die aktuellen Chaos-Bilder vom Flughafen in Kabul haben viele an ähnliche Aufnahmen von 1975 in Saigon erinnert. Von einem zweiten Vietnam des Westens und seiner Verbündeten ist die Rede …
Armin-Paul Hampel: Die Szenen sind erschütternd, und die Parallelen zu Vietnam springen ins Auge! Ich habe bei meiner letzten Rede im Deutschen Bundestag zu Afghanistan genau an diese Bilder erinnert und habe dem Außenminister – damals nicht wissend, dass sie so schnell von der Realität eingeholt würden – gesagt, passen Sie auf, dass Ihnen die Bilder des letzten Hubschraubers von der US-Botschaft in Saigon nicht nach Afghanistan folgen.

Armin-Paul ­Hampel ist außenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Von 2003 bis 2008 war er als Auslands­korrespondent Leiter des Südasien- Studios der ARD. (Bild: Bild: Olaf Kosinsky (kosinsky.eu) Lizenz: CC BY-SA 3.0-de)

Angesichts des Afghanistan-Desasters haben Sie im Deutschlandfunk von der „größten Niederlage eines NATO-Landes in der Geschichte“ gesprochen und den sofortigen Rücktritt des deutschen Außenministers Heiko Maas gefordert. Aber müssten nicht auch die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer und – vor allem – Bundeskanzlerin Angela Merkel, die während der Taliban-Einnahme von Kabul sich ins Kino flüchtete, ihren Hut nehmen?
Hampel: Selbstverständlich, unsere gesamte Bundesregierung müsste längst zurückgetreten sein, zumal Afghanistan ja nicht den einzigen auffälligen Versagensgrund der Berliner Koalition darstellt. Der Fall von Kabul ist nur ein weiteres Fenster einer langen, unerfreulichen Reihe. Er zeigt uns, dass diese Bundesregierung nicht in der Lage ist, die großen und auch die kleinen Probleme, die wir haben, in den Griff zu bekommen. Ich erinnere nur an die jüngste Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen, ich mache auf die Auswüchse der Corona-Krise aufmerksam und verweise auf die illegale Massenmigration in unser Land seit 2015. Aber für Afghanistan ist federführend der deutsche Außenminister zuständig, deswegen meine spezielle Rücktrittsforderung. Hinzu kommt übrigens auch der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, der in eklatanter Weise überhaupt keine Ahnung hatte, was seine Quellen aus Afghanistan berichten können oder nicht.

Zur Genese der Beteiligung am verhängnisvollen Afghanistan-Einsatz, die der damalige SPD-Verteidigungsminister Struck in die Worte fasste, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde: In Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 sicherte Kanzler Schröder den USA die „uneingeschränkte Solidarität“ der BRD zu, was von vielen Landsleuten verstanden und mitgetragen wurde. Lautete doch die Zielsetzung, Quellen des Terrorismus zu zerschlagen. Ab wann aber verlor dieser ursprünglich plausible Auftrag an Bedeutung?
Hampel: Relativ früh! Die damalige Solidarität war zunächst richtig. 9/11 steckte uns allen noch in den Knochen. Wie auch immer: Was anfangs als Bekämpfungsaktion gegen die Taliban und gegen den internationalen Terrorismus geschah, hat sich später zu einem strategischen Fehlengagement erster Ordnung entwickelt. Man hat dem Land ein System unter dem Label „Nation-Building“ übergestülpt mit Verfassung, Parlament und Wahlen. Alles westliche Werte einer liberalen Weltordnung. Doch den Afghanen war und blieb das fremd, sie organisieren ihr Gemeinwesen nach anderen Kriterien. All das hätte man wissen können und müssen! Ich war ja als ARD-Auslandskorrespondent insgesamt acht Jahre in Afghanistan unterwegs, habe den Vormarsch der Taliban in den Jahren 1996 bis 1999 journalistisch begleitet.
Unisono mit meinem verstorbenen Freund Peter Scholl-Latour, einem exzellenten Kenner der Problematik, haben wir schon frühzeitig prophezeit, dass der westliche Feldzug scheitern würde. Die Taliban brauchten nur zu warten – nach ihrer Devise „Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit!”

Der Westen verbündete sich mit ­Warlords, die alle durch die Bank ­Mörder oder sonstige Kriminelle waren.

Hatte man denn am Hindukusch keine einheimischen Bündniskräfte?
Hampel: Es gab sie. In den Gemeinden und Provinzen waren das die erfahrenen, alten Maliks, die Orts- und Distriktvorsteher, die die Geschicke vor Ort seit Jahrhunderten leiten. Statt sie wieder in Amt und Würden zu bringen, hat sich der Westen mit den übelsten Figuren verbündet. Mit Warlords, die durch die Bank alles Drogenhändler, Waffenschieber, Kriminelle, Mörder und Vergewaltiger waren. Mit denen sollte ein Staat westlichen Zuschnitts gelingen? Welcher Irrsinn! Dann wurden Hunderte von Milliarden in das Land gepumpt, die primär in den Taschen korrupter Politiker, Geschäftemacher und Warlords versickerten. Diese gewaltigen Summen sinnvoll auf dem Lande und nicht in Kabul investiert, hätte den Hindukusch zum Blühen bringen können.

Nochmals zur aktuellen Lage des Fiaskos in Kabul: Ganz offensichtlich dominierten Fehleinschätzungen über das rasche Taliban-Vordringen sowohl bei den Nachrichtendiensten als auch bei den zuständigen Politikern. Wie ist das nach 20 Jahren Präsenz vor Ort eigentlich zu erklären?
Hampel: Gar nicht! Dass sich unsere Bundesregierung über die absehbare Entwicklung so überrascht gezeigt hat, ist das Einzige, was mich überrascht hat. Über das Eingeständnis von Kanzlerin Merkel, O-Ton: „Wir haben alle die Entwicklung falsch eingeschätzt“, kann ich nur den Kopf schütteln, weil „alle“ nicht stimmt!
Ihre lageblinde und in Permanenz überforderte Regierung in Krisenzeiten ist eines der zentralen Probleme unseres Landes. Denn es gab ganz realistische Warnungen von vielen Seiten. Dazu zählen vor allem die vielseitig zugänglichen Informationen der letzten Wochen, nach denen eine Provinz nach der anderen in einem rasenden Tempo in die Hände der Taliban fiel.
Darüber hinaus hätte man sich auch den Vormarsch der Taliban von 1996 nochmals in Erinnerung rufen können. Damals passierte nämlich genau dasselbe: Reihenweise fielen die Provinzen in die Hände der Taliban.
Übrigens wurde nicht immer gekämpft, es wurde auch gut bezahlt. Ich habe selbst erlebt, wie der Gouverneur von Dschallalabad mit einer hohen Summe ausbezahlt wurde, um seinen Machtsessel zu räumen, was er auch nach einigem Zögern dann machte. Danach übernahmen die Taliban das Ganze – fast ohne einen Schuss!

Auch die mit materiellem Riesenaufwand aufgebaute afghanische Armee brach wie ein Kartenhaus zusammen. Kann es denn überhaupt sein, dass die Brüchigkeit dieser Scheinarmee keinem wirklich aufgefallen ist?
Hampel: In Vietnam war es genauso. Nachdem die Amerikaner abgezogen waren, brach der Widerstand der südvietnamesischen Nationalarmee schnell zusammen. Wie damals pumpte man jetzt wieder Ausrüstung und Material in die völlig korrupte Afghan Army. Trotzdem war seit Monaten ein Großteil der Soldaten ohne Sold, ohne Lebensmittel und teilweise sogar ohne Munition.
Die alte Weisheit, dass sie einen Afghanen nur mieten und nicht kaufen können, bewahrheitete sich rasch. Weil die Miete nicht bezahlt wurde, zerfiel die Armee in rasendem Tempo.

Das Innenministerium rechnet jetzt mit einer Welle von 300.000 bis fünf Millionen Flüchtlingen aus Afghanistan und viele von ihnen werden in Deutschland und Europa landen. Steht uns also ein neues 2015 bevor?
Hampel: Ja, weil es nur vordergründig um die Aufnahme afghanischer Hilfskräfte geht, die für uns gearbeitet haben. Hier haben wir eine moralische Pflicht für diese rund 2.500 Personen. Jetzt müssen wir uns auf eine Massenflucht größeren Ausmaßes einstellen, weil die Bundesregierung weder konkret mit den Taliban verhandelt, um durch Geldangebote Sicherheitsgarantien für die bedrohten Menschen zu erreichen, noch gibt es konkrete Zusagen der Nachbarländer, die man ebenfalls durch großzügige Finanzzusagen von einer heimatnahen Unterbringung der Flüchtlinge überzeugen könnte. Es sieht ganz danach aus, dass wiederum – wie 2015 – ein Großteil von Flüchtlingen über Europa dann letztendlich in Deutschland landen werden.

Der bayerische Ministerpräsident Söder, CSU, will das Flüchtlingsthema allerdings aus dem Wahlkampf heraushalten. Wird das gelingen?
Hampel: Nein! So eine Forderung, die nur von Söders Dauer-Versagen in der Migrationsfrage ablenken soll, erinnert mich an das Kinderspiel Pikebu: Die Kleinen verschließen mit beiden Händen ihre Augen und meinen, nicht mehr gesehen zu werden. Es ist mehr als bedenklich, wenn Erwachsene in solch’ frühkindliche Verhaltensmuster zurückfallen! Das Thema wird uns Deutschen auf die Füße fallen. Es aus dem Wahlkampf heraushalten zu wollen, zeugt von einem seltsamen Demokratieverständnis.

Herr Hampel, vielen Dank für dieses Interview!

Das Gespräch führte Bernd Kallina, bis 2016 Deutschlandfunk-Redakteur in Köln

[Autor: B.T. Bild: Wikipedia/Staff Sgt. Teddy Wade (U.S. Armed Forces) Lizen: Gemeinfrei]

Das könnte Sie auch interessieren