Frieren für eine NATO-Ukraine?

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Autor: E.K.-L. Bild: Pixabay Lizenz: –


Über das Moskauer Treffen Orbán-Putin am 1. Februar

Mutmaßlich mit wenig Freude brachte der ORF in der „Zeit im Bild 1“ vom 1. Februar einen Bericht über den Besuch des ungarischen Premiers Viktor Orbáns bei Wladimir Putin. Aber die Bedeutung der Visite des ersten NATO-Regierungschefs seit dem Ausbruch der Krise um die Ukraine konnte selbst der Staatsfunk ignorieren.

Der Gedankenaustausch der beiden Staatsmänner dauerte fünf Stunden, eine ungewöhnlich lange Zeit.

Orbán nach der Unterredung: Mein heutiger Besuch ist teilweise auch eine Friedensmission. Ich möchte Ihnen versichern, dass kein einziger Staatschef der Europäischen Union einen Krieg wünscht. Wir stehen für eine politische Lösung.

Putin lenkt den Blick auf die Energieversorgung seines Besuchers: Im vergangenen Jahr unterzeichnete Gazprom zwei langfristige Verträge über die Lieferung von Erdgas aus Russland nach Ungarn – bis 2036. Damit ist die Stabilität der Lieferungen gewährleistet. Aber nicht nur die Stabilität der Lieferungen ist wichtig, sondern auch, dass Ungarn heute russisches Gas fünfmal billiger kauft als der Marktpreis in Europa.

Nach einem Bericht des Moskauer Staatsfernsehens wird Ungarn in Russland besonders geschätzt. Als eines der wenigen Länder, das sich erlaubt, eine eigene Meinung über die Lage in Europa zu haben. Denn Viktor Orbán geht es im Interesse der ungarischen Bevölkerung nicht bloß um einen Abbau der Spannungen zwischen West und Ost, sondern in erster Linie um günstige Preise für russisches Gas.

Da sich in Ungarn viele fragen, ob man für eine NATO-Ukraine frieren sollte. Das erinnert geschichtsbewusste Zeitgenossen an eine Redensart, die im Winter 1939/40 in Frankreichs Bevölkerung und auch in dessen Armee oft zu hören war: Mourir pour Dantzig? (dt. Sterben für Danzig?). Weil viele nicht recht einsahen, weswegen Paris am 3. September 1939 Deutschland den Krieg erklärt. Dies wegen des Streits zwischen Berlin und Warschau um die Stadt Danzig, der im Angriff auf Polen mündet.

Im Ukraine-Konflikt sieht Russland wegen der Osterweiterung der NATO seine Sicherheit bedroht. Sollte jetzt auch die Ukraine dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis beitreten, so könnten im schlimmsten Fall US-Raketen an der ukrainischen Ostgrenze stationiert werden. Moskau ist schließlich bloß ein paar Hundert Kilometer von der Ukraine entfernt. Geopolitisch gesehen bedeutet das: vor der eigenen Haustür. Genauso sah das vor rund 60 Jahren auch Washington, als sowjetische Raketen auf Kuba stationiert wurden. Putin erinnert den Westen auch an die mündliche Zusage des Westens aus dem Jahr 1989, es werde keinerlei Osterweiterung der NATO stattfinden.

Hardliner im Westen – sowohl im militärischen als auch im wirtschaftlichen Bereich – wittern hingegen die Chance, die Ukraine als Hebel gegen Russland zu benützen. Militärstrategisch, um endgültig die Oberhand gegenüber Moskau zu erreichen, aber vor allem wirtschaftlich. Schließlich wäre die Ukraine mit ihrer heruntergekommenen Industrie, wie seinerzeit die „DDR“ kurz nach der Wiedervereinigung, eine günstige Gelegenheit für Schnäppchenjäger.

Während die zahnlose EU in ihrem ausschließlich monetären Denken mit wirtschaftlichen Sanktionen droht, glaubt Joe Biden (oder besser: dessen Hintermänner) mit Kompromisslosigkeit punkten zu können. US-Außenminister Antony Blinken fordert Russland in einem Telefonat mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow zu einem sofortigen Abzug der an den Grenzen zur Ukraine aufmarschierten Truppen auf. Blinken pocht auf eine „sofortige russische Deeskalation“ und bekräftigt erneut die Unterstützung der USA für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine sowie für das Recht eines jeden Landes, selbst über seine Außenpolitik und Bündnisse zu entscheiden.

Formal gesehen steht es der Ukraine als Völkerrechtssubjekt frei, sich der NATO anzuschließen. Ob das klug wäre, steht auf einem anderen Blatt. Und die EU wäre gut beraten, sich mit Sanktionen zurückzuhalten. Denn Tatsache ist: Große Teile Europas – darunter Ungarn und Österreich – sind auf russisches Erdgas angewiesen. Das weiß auch Viktor Orbán, der mit seiner Moskau-Reise wahrscheinlich einen Beitrag zum Abbau der Spannungen geleistet hat.

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