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Der Schriftsteller Thor Kunkel über die Grünen, die den Pazifismus am Altar der Macht opferten und sich mit den USA arrangierten, und die Gefahr, dass Deutschland mit dieser Politik in den Ukrainekrieg hineingezogen wird.
Wenn man sich die Haltung der Grünen in der Bundesrepublik Deutschland zum Ukrainekrieg anschaut, dann haben sie mit Waffenlieferungen kein Problem. Wo ist die Friedensbewegung geblieben, aus der teilweise die Grünen hervorgegangen sind?
Thor Kunkel: Das hat uns – glaube ich – alle überrascht, mit welcher Schnelligkeit sich diese Partei, die ja eindeutig die Friedensbewegung lange Zeit für sich gepachtet hatte, und die deshalb auch eine ungekannte Sympathie bei jüngeren Wählern genießt, innerhalb kürzester Zeit gewandelt hat. Man könnte von einer Machtpolitiker-Partei sprechen. Wohlgemerkt von Machtpolitikern, denen jeder professionelle Hintergrund fehlt.
Dann sind also die falschen Leute in verantwortungsvollen Positionen?
Kunkel: Das hat bei den Grünen eine gewisse Tradition. Denken Sie an die berühmte Rede von Joschka Fischer 1999 zum Kriegseintritt der NATO im Kosovo: Hier wurde im Nachhinein festgestellt, dass Herr Fischer den Vertrag von Rambouillet gar nicht gelesen hatte. Da hieß es dann, hätte man zuvor die Kapitel 7 und 8 gekannt, hätten viele Grünen-Abgeordneten damals nicht für den Krieg gestimmt. Mit anderen Worten: Eine gewisse Unprofessionalität ist geradezu typisch für die Grünen.
Was Pazifismus oder, besser gesagt, Gewaltfreiheit betrifft, gab es seitens der Grünen nie eine klare Verurteilung der RAF und immer wieder kuscheln Vertreter der Grünen mit der Antifa, die ja alles andere als friedlich ist.
Kunkel: Ich würde die Basis der Partei relativ gewaltaffin nennen. Was das Verhalten von Frau Baerbock und Herrn Habeck betrifft, sind aber noch ganz andere Gründe entscheidend, – das Vasallentum gegenüber den Amerikanern und auch die Absicht, niemand der transatlantischen Freunde zu enttäuschen.
Wenn wir einen kurzen Blick in die Geschichte werfen, dann wurden von der Friedensbewegung beim Vietnamkrieg die USA heftig kritisiert und die Nordvietnamesen und Ho Chi Minh quasi verklärt. Anfang der 80er Jahre wurden beim NATO-Doppelschluss zur Aufrüstung abermals die USA heftig kritisiert, während die Rolle der UdSSR ausgeblendet wurde. Woher kommt diese Diskrepanz?
Kunkel: Zunächst einmal haben die Linken damals das getan, was sie heute auch tun, nämlich sich mit den ausgebeuteten Kolonialvölkern, zu denen sie auch die Nordvietnamesen zählten, solidarisiert. Im Übrigen war damals der geopolitische Imperialismus der USA auf seinem Höhepunkt, was sehr, sehr gut in die Legitimierungsphase von linken und grünen Parteien passte. Nun befinden wir uns in einer anderen Situation: Die Grünen gehören zum Establishment. Sie werden von den ihnen wohlgesonnenen Medien verhätschelt, und sie wissen auch, dass die jüngere Generation hinter ihnen steht. Sie pflegen einen elitären Lifestyle und haben gelernt, sich mit der letzten westlichen Großmacht, den USA, zu arrangieren. Eliten arrangieren sich immer mit den Machthabern, und das erklärt den Wandel, den Sie gerade angesprochen haben.
Das heißt, es wird mit den Grünen wahrscheinlich so weitergehen, weil die Ampelkoalition wird, wie es derzeit aussieht, bis zum Ende der Legislaturperiode halten.
Kunkel: Davon müssen wir ausgehen. Die Mehrzahl der Deutschen findet diesen kriegstreiberischen Kurs, diese „Haltung“, wie es so schön heißt, gerade von der Außenministerin gut. Da heißt es, sie macht einen guten Job, und auch mit Habecks Arbeit sind die Deutschen zufrieden. Wobei diese Aussagen aus den Mainstreammedien natürlich mit Vorsicht zu genießen sind. Ich denke aber, sie haben mit ihrer Haltung, schwere Waffen an nur eine der Kriegsparteien zu liefern, kein Vertrauen verloren. Die Mehrzahl der Deutschen scheint hinter ihnen zu stehen.
Weil man glaubt, man stehe auf der moralisch richtigen Seite?
Kunkel: Das deckt sich genau mit dieser hypermoralischen Haltung, die heute zum vergrünten Lifestyle gehört, man ist moralisch abgesichert. Heutzutage sind Prestige, Ansehen und diese moralische Haltung fast schon geldwerter Vorteil. Man weiß natürlich auch, dass man, wenn man – zumindest in Deutschland – Kritik daran üben würde, heutzutage Gefahr läuft, seine Existenz oder Karriere zu verlieren. Wer im System ist und mitverdient, hält den Mund.
Könnte man es etwas provokant auch so formulieren, dass die Meinung vorherrscht, „an der deutschen Hypermoral soll die Welt genesen“?
Kunkel: Wenn Sie damit die Parallele zu den 30er und 40er Jahren meinen, muss ich Ihnen durchaus recht geben. Ich habe den Eindruck, dass die Gefahr, doch noch irgendwie in diesen Krieg verwickelt zu werden, sehr leichtfertig in Kauf genommen wird. Man tut so, als wäre man nicht am Krieg beteiligt, was faktisch nicht stimmt. Man kann nicht konsequent schwere Waffen an eine Kriegspartei liefern und dann behaupten, man sei nicht beteiligt. Wenn ukrainische Soldaten von Amerikanern in Deutschland an bestimmten Raketensystemen ausgebildet werden, die russische Soldaten töten, dann ist das eindeutig eine Form von „Kriegsdienst“. Sollte es Gegenreaktionen geben, sollte es atomar krachen, dann würde sich dieser Krieg hauptsächlich in Europa abspielen und die USA wären wie immer außen vor.
So hatte man es schon in den 1970er Jahren als Worst-Case-Szenario eines III. Weltkriegs geplant, ein möglicher Schlagabtausch sollte sich auf europäischen Boden beschränken, genauer, auf dem Terrain das geschlagenen Deutschlands. Aufgrund mangelnder Souveränität nahmen die damaligen Regierungen – Schmidt, Kohl – hin, dass Atomwaffen auf deutschem Territorium stationiert wurden. Im schlimmsten Fall könnte man damit rechnen, dass diese stationär vorhandenen Waffensysteme zum Einsatz kommen. Komischerweise scheint die deutsche Bevölkerung das kalt zu lassen, man hat eben aus den fatalen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs wenig gelernt.
Die neue grüne Oberschicht arrangiert sich wie alle Eliten mit den jeweiligen Machthabern.
Lange Zeit galt es doch als die große politische Maxime in der Bundesrepublik „Nie wieder Krieg!“, die Bundeswehr soll sich nicht an Kriegseinsätzen im Ausland beteiligen. Dann kam es, wie Sie schon erwähnten, unter der rot–grünen Bundesregierung und unter Außenminister Fischer zum NATO-Krieg gegen Serbien, und jetzt besteht die Gefahr, dass Deutschland in den Ukrainekrieg hineingezogen wird. Wie ist das Ganze zu erklären?
Kunkel: Keine Ahnung. Das scheinen bestimmte Reaktionsmuster zu sein, die sich offenbar wiederholen. Im Hintergrund scheint es um ein höheres und symbolisch aufgeladenes Ziel zu gehen – ein Ziel, das von unseren transatlantischen „Freunden“ gesetzt wurde, deren Geopolitik vom Vassalen erfüllt werden muss. Ein souveräner Staat würde sich in dieser Situation anders verhalten, vor allem wären deutsche Politiker nicht bereit, das Leben von Millionen Deutscher für eine absurde Wertepolitik zu riskieren. Selbst wenn die Katastrophe nicht gleich eintreffen sollte, – je länger sich die Kriegsparteien hochschaukeln, umso größer ist die Gefahr, dass es Folgen hat, die „Politprofis“ wie Frau Baerbock und Herr Habeck nicht vorhersehen können. Mich beunruhigt, dass die politische Kaste offenbar 89 Millionen Deutsche nur als Manövriermasse sieht, die einfach stillhalten muß.
Ich wünschte mir wirklich, einmal zu hören, dass ein Herr Scholz klarstellen würde: „Das Wohl des Volkes, das ich kraft meines Amtes repräsentiere, geht vor.“ Vor Werten, vor Symbolpolitik, ja, selbst vor den Opfern des Krieges, an dem Deutschland keine Schuld trägt. Ein Atomkrieg in Europa ist dagegen so schrecklich, dass man nicht darüber nachdenken möchte. Das arrogante Verhalten bestimmter Schlüsselfiguren der ukrainischen Regierung legt übrigens nahe, von wem ein atomarer Erstschlag im Zweifelfall ausgehen könnte. Ich glaube, ein Macho wie „Wolle“ Selenski steht Putin um wenig nach.
Die politische Kaste betrachtet die 89 Millionen Deutschen nur als eine Manövriermasse.
Um noch kurz zum Pazifismus zurückzukommen: Kann man es so zusammenfassen, dass der Pazifismus nur ein politisches Schlagwort der Linken war oder immer noch ist?
Kunkel: Es sieht so aus. Für die Partei war es ein nützlicher Kampfbegriff im Werkzeugkasten des Politmarketing, wobei ich vielen linken und grünen Parteigängern eine pazifistische Grundhaltung nicht absprechen möchte. Im politischen Alltag war die Behauptung, eine Friedensbewegung zu sein, natürlich ein emotionales Full House und eine rhetorische Finte, um den politischen Gegner indirekt zu diskreditieren.
Bezeichnend ist auch, dass der Begriff in der politischen Debatte kürzlich hochkochte. Herr Habeck ließ vernehmen, er empfände zwar Hochachtung vor einer „Position des unbedingten Pazifismus“ in seiner Partei, er „halte sie aber für falsch.“ Frau Baerbock antwortete auf Nachfragen der Opposition, die Grünen wollten „nicht mehr schlafmützig sein.“ Man sei – im Unterschied zur AfD – bereit, seine programmatischen Forderungen an „die Umstände anzupassen“. Das klang nach Selbstdemaskierung, hat aber niemanden groß irritiert. Man weiß ja, Frau Baerbock hat ein etwas verwahrlostes Verhältnis zur Wahrheit.
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.
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