„Keine neue Eurokrise durch Covid 19“

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IV-Chef-Ökonom Dr. Christian Helmenstein zu den Folgen der Coronakrise, dem Wiederaufbau der Wirtschaft und der gesamteuropäischen Verschuldung

Herr Dr. Helmenstein. Das gesellschaftliche Leben kommt nun schön langsam wieder in die Gänge, wie sieht es Ihrer Meinung nach mit der Wirtschaft aus?
Christian Helmenstein: Da ist eine gewisse Phasenverschiebung festzustellen. Am Anfang haben wir rund 600 Millionen Euro benötigt, um den „shut down“ von China zu überleben. Die Antwort musste für drei Kanäle gefunden werden: Die Exporte nach China, die Importe aus China und schließlich durch das Ausbleiben von Touristen und Touristinnen aus China. Dann erst kam die Verlagerung des Epizentrums der Covid 19-Epidemie von China nach Europa. Jetzt befi nden wir uns in der Akutphase und da haben wir natürlich noch keine Daten, die nachgelagert sind. Die Amerikaner sind bedeutend besser in die Krise eingetreten. Im Moment sind die USA das Epizentrum der Krise und es ist davon auszugehen, dass wir das Schlimmste noch vor uns haben. Denken wir nur an den afrikanischen Kontinent oder was wahrscheinlich auch noch Lateinamerika betrifft. Das heißt, wir bewegen uns auf das Ende der Akutphase in Europa zu, hin zu einer Phase des Wiederhochfahren.

Dr. Christian Helmenstein ist Chefökonomder Industriiellenvereinigung (IV) (Bild: iv.at/Kurt Prinz)

 

 

 

 

 

Wenn Sie davon sprechen, dass die Reaktion der Wirtschaft bei uns zeitverschoben stattfi ndet, wie lange müssen wir da noch zusehen, bis „das Werkl“ bei uns wieder zu laufen beginnt?
Helmenstein: Ja, was das Wiederhochfahren anbelangt, rechnen wir mit der Periode Mai bis Juni. Wir führen ein regelmäßiges konjunkturelles „Update“ durch. Jetzt haben wir gerade die achte Version errechnet. Da zeigt sich, dass ein großer Teil des Schadens von Covid 19 erst in der zweiten Jahreshälfte anfallen wird. 60 Prozent entstehen in der Akut- und Wiederhochfahrensphase und 40 Prozent kommen in der Zeit ab Juli dazu. Italien und Deutschland werden nicht so schnell wieder hochfahren können, wie das in Österreich der Fall ist. So erfreulich das ist, dass wir in Österreich solche Fortschritte machen, so wenig haben wir davon abseits der Binnennachfrage, wenn unsere Haupthandelspartner wie Deutschland, Italien und die USA nicht so schnell wieder hochfahren können, weil uns dadurch die Märkte fehlen für unsere Zulieferungen. Dazu kommen in der zweiten Jahreshälfte Ausfälle wegen der Insolvenzen. Im Bereich des Einzelhandels oder des Tourismus werden wir die Schadensfälle erst sehen, wenn die Stundungsmaßnahmen ausfallen.

Wenn Sie von regelmäßigen „updates“ sprechen, lässt sich jetzt schon einigermaßen der Gesamtschaden für Österreich abschätzen?
Helmenstein: Wir errechnen zurzeit einen gesamtwirtschaftlichen Schaden von 8,7 Prozent unserer Wirtschaftsleistung, die ansonsten für dieses Jahr zu erwarten gewesen wäre. Zieht man die 1,1 Prozent Wachstum ab, die wir vor Covid 19 prognostiziert hatten, liegen wir bei – 7,6 Prozent für dieses Jahr. 40 Prozent davon werden uns länger beschäftigen, zum Beispiel wegen der abgesagten Veranstaltungen im Kultur- und Sportbereich, das wird sich nicht so schnell normalisieren. Beim Reiseverkehr gehen wir davon aus, dass wir bis 2022/2023 benötigen werden, bis der Rückgang wieder ausgemerzt sein wird. Die Industrie wird sich wesentlich rascher erholen, sie ist diesmal, anders als bei anderenKrisen, unterproportional betroffen. Es wird viel länger dauern im Bereich des Handels und der Tourismuswirtschaft. Wenn sie Insolvenzen ansprechen, welche Branchen trifft es hier ganz besonders? Helmenstein: In erster Linie wohl den Einzel -und den -Bekleidungshandel, aber auch die Veranstalter.

…und wohl auch die Reiseveranstalter dürften nicht besonders gut wegkommen?
Helmenstein: Ja, ja der ganze Bereich Gastronomie, Hotellerie, Reiseveranstalter, alles, was damit zusammenhängt. Es gehören dazu aber auch Taxiunternehmungen.

Die Regierung hat jetzt ein Hilfspaket von 38 Milliarden vorgesehen, werden wir damit durchkommen oder sind diese Zahlen längst überholt?
Helmenstein: Das lässt sich heute nicht genau einschätzen, weil sich ein Großteil auf Stundungen und Garantien bezieht, da werden wir noch zwei, drei Wochen warten müssen, wie hoch dann letzten Endes die Antragsvolumina sind. Im Bereich der Kurzarbeit, die übrigens ein ausgezeichnetes Instrument ist, um Beschäftigung zu sichern, sind jedenfalls die ursprünglich geplanten Beträge längst überschritten. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Auswirkungen auf die Produktion in der Industrie wesentlich schwerwiegender sind als die Zahlen der Beschäftigung. Das ist zweifellos auf die Kurzarbeit zurück zu führen. 2009 hatten wir einen massiven Einbruch in der industriellen Produktion, heuer ist es noch viel schlimmer. Aber heuer ist der Rückgang in der Beschäftigung nicht stärker als er als er 2009 war. Daran sieht man, dass Kurzarbeit gut geeignet ist, um Beschäftigung zu stabilisieren.Natürlich haben trotzdem 400.000 Arbeitslose mehr, aber die Kurzarbeit wird dazu führen, die Potenziale wieder wesentlich besser zu nutzen, wenn es dann wieder anläuft und die Menschen werden auch wieder viel schneller in die Beschäftigung zurückfi nden können.

Wenn wir über Österreich hinaussehen, so gibt es von der EU 500 Millionen, die einzelnen Staaten zufl ießen sollen. Weitere 500 Millionen sollen für den „Wiederaufbau“ zur Verfügung gestellt werden. Das kann doch nicht viel mehr sein als ein Tropfen auf den heißen Stein? Oder sehen Sie das anders?
Helmenstein: Nein eigentlich nicht, vor allem wenn das nicht an entsprechende Konditionierungen geknüpft ist. Was wir in Europa brauchen, ist eine Investitionsoffensive. Genau deswegen ist ja auch Italien in diesen strukturellen Kalamitäten. Covid 19 macht es nur noch einmal evident. Die strukturelle Schwäche Italiens ist ja nicht erst gestern entstanden. Das ist das Ergebnis einer de facto ökonomisch verlorengegangenen Generation weil man 25 Jahre nicht in das eigene Wachstumspotential investiert hat. Deswegen bin ich auch gegen die Corona- oder Eurobonds ohne jede Konditionalität. Ich halte es für den richtigen Weg, dass wir über die Europäische Investitionsbank gehen, dass es Experten gibt in der Auswahl von Projekten mit hoher volkswirtschaftlichen Rendite und deren Monitoring…

… und diese Investitionen sollen von außen kommen, die einzelnen Länder werden die selbst nicht aufbringen können?
Helmenstein: Genau, deswegen haben wir auch das Monitoring der Europäischen Investitionsbank.

Das zweite Problem in Bezug auf Italien ist der hohe Verschuldungsgrad. Kann uns da etwas in der Richtung passieren, wie wir es mit Griechenland erlebt haben, wo sich das Land nicht mehr selbst am Finanzmarkt refi nanzieren konnte?
Helmenstein: Wenn es um Finanzierung geht, geht es nicht nur um die Eurozone, sondern auch um Resteuropa und die USA. Und es geht nicht nur um die absolute Verschuldung, sondern auch um die relative. Also auch um die Verschuldung im Vergleich zu anderen Ländern. Wenn sich nun alle relevanten Länder in der Coronakrise verschulden, dann verschlechtert sich die Lage einzelner Staaten nicht. Besonderen Anlass zur Beunruhigung liefert Italien aufgrund des Klumpenrisikos. Auf der einen Seite haben wir die extreme Belastung durch die Folgen von Covid 19 und auf der anderen Seite ist Italien ohnehin bei den Banken bereits durch alte Staatsanleihen extrem hoch verschuldet. Aus beiden Teilen heraus entsteht Druck auf die systemische Stabilität. Hier arbeitet aber die Europäische Zentralbank durch den Aufkauf italienischer Anleihen wesentlich entgegen, sodass die Kosten italienischer Staatsfi nanzierung nicht wesentlich außer Kontrolle geraten.
Natürlich zahlt Italien jetzt höhere Zinsen, aber das bewegt sich in einem Ausmaß, das im Wesentlichen noch kontrollierbar ist. Ich sehe also keine neue Eurokrise durch Covid 19.

Das Gespräch führte Walter Tributsch.

[Autor: Bild: Pxhere Lizenz: –]