Soll sexueller Mundraub straflos sein?

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Der Soziologe Kenan Güngör vergleicht Unvergleichbares

Bei der Durchsicht der Wochenendausgabe (19./20. September) der Tageszeitung „Standard“ sticht ein Artikel von Gerald John ins Auge. Titel: Sexuelle Übergriffe von Asylwerbern … Vor allem Afghanen kommen schlecht weg. Ein Teil der „Standard“-Leser, in erster Linie sensible Gutmenschen, wird sich die Augen reiben: Was? So etwas gibt es doch gar nicht! Betreibt der „Standard“ jetzt auch schon Hetze gegen die armen Schutzsuchenden? Diese Guten können beruhigt sein, denn im Text werden zwar harte Fakten geliefert, aber auch Einwände hochrangiger Experten, die alles wunderbar erklären können.

Gleich am Anfang starker Tobak. Von Griffen zwischen die Beine, „Sexattacken“ bei Planschbecken und Männerbesuchen in Damenduschen war da zu lesen, von Burschen, die Frauen gezielt umstellten und begrapschten. Auf der Anklagebank saß stets dieselbe Gruppe: Asylwerber.

Laut Jonni Brem, dem Leiter der Wiener Männerberatung, werde da nicht etwas hochgespielt, denn Ich habe viele Fälle erlebt, die in der Öffentlichkeit untergingen. In Gefängnissen, bei Prozessen, in Kooperation mit der Polizei tauchte Brem in Geschichten junger Asylwerber ein, die eben ins Land gekommen waren – und registrierte einen „Schwung“ an sexuellen Übergriffen, den er schlicht „dramatisch“ nennt.

Brems Erfahrungen, so der „Standard“, spiegeln sich in trockenen Tabellen der Kriminalstatistik wider, wie sie Birgitt Haller regelmäßig durchkämmt. Das Thema bereitet der Leiterin des Instituts für Konfliktforschung nicht eben Freude, schließlich wolle sie alles andere als eine neue Hysterie anstacheln. Doch an den Resultaten gebe es nun einmal nichts zu beschönigen, sagt Haller: Die sexuelle Gewalt ist gestiegen – und Asylwerber sind unter den Tatverdächtigen massiv überrepräsentiert.

Der Autor weiter: Der genauere Blick bleibt an einer speziellen Volksgruppe heften. 2016 kamen auf 45.259 Afghanen 64 Anzeigen wegen Vergewaltigung, 54 davon betrafen Asylwerber. Auf die annähernd so zahlreich vertretenen Syrer … entfielen lediglich 17 Tatverdächtige, auf die viermal so zahlreichen Deutschen im Land nur elf.

Damit aber die „Standard“-Leserschaft nicht etwa glaubt, der ganze Artikel sei eine getarnte Werbeeinschaltung der FPÖ, holt man zum massiven Gegenschlag aus. Hier die Argumente, die mutmaßlich Verständnis für die sexuellen Übergriffe der Asylwerber erheischen sollen:

„Die Reize der neuen Umgebung haben diese Menschen heillos überfordert“ (Jonni Brem, Psychotherapeut)

„… ein Tatverdacht bedeute noch keine Verurteilung … und Ausländer würden wohl rascher angezeigt als Einheimische … Verrohung durch jahrzehntelangen Krieg samt traumatischen Fluchterlebnissen … Männer aus ‚vormodernen Gesellschaften‘, wo Verständnis für die Gleichwertigkeit der Frauen nicht existiere, würden die hierzulande geltenden Codes immer wieder völlig missinterpretieren: Ein Mädel in Hotpants kommt bei ihnen oft als Einladung an.“ (Birgitt Haller)

Der Soziologe Kenan Güngör wartet mit einer interessanten Erklärung auf: Ein knappes T-Shirt werde mitunter bereits als Lasterhaftigkeit gewertet – und als Legitimation für Übergriffe. Dazu geselle sich sexueller Frust, zumal vielfach junge Männer ins Land kommen, die weder eine Beziehung haben noch verheiratet sind. Güngör: Wenn Sie unbändigen Hunger haben, und um Sie herum steht überall Essen, dann greifen Sie zu. Sexueller Mundraub sozusagen. Zudem sei unter den Afghanen nur eine Minderheit auffällig, die Mehrheit leide darunter, mitunter wie Bestien dargestellt zu werden. Außerdem sei die Empörung über sexuelle Belästigungen bei Asylwerbern um ein Zehnfaches höher.

Am Schluss des Artikels erteilt Maria Rösslhumer (Geschäftsführerin der autonomen Frauenhäuser) die Absolution: Es gibt keinen Grund, mit dem Zeigefinger auf die Asylwerber zu zeigen.  Ende gut, alles gut.

[Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedi/SPÖ Presse und Kommunikation Lizenz: CC BY-SA 2.0]

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