„Wir erleben eine Enteignung der Mittelschicht“

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Meinungsforscher Werner Beutelmeyer (market) zu den Entwicklungen in diesem Jahr, zu Corona und zur Bundespräsidentenwahl

Herr Professor, kann man jetzt mit dem beginnenden Jahr 2022 etwas erkennen, was neu wäre für die Österreicher? Gibt es etwas, Besonderes, dass sie von diesem Jahr erwarten?
Werner Beutelmeyer: Ich glaube, dass wir davon ausgehen können, dass in diesem Jahr ein besseres Auskommen mit der Corona-Pandemie aufgrund der zu erwartenden Durchseuchung gefunden werden kann. Allerdings steigt die Betroffenheit in der Bevölkerung, dass hier gesundheitlicher Schaden genommen werden könnte.

Prof. Dr. Werner Beutelmeyer ist Institutsvorstand und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Market. (Bild: market.at)

Welche Teile der Bevölkerung betrifft das in erster Linie?
Beutelmeyer: Das ist ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung, einer aber, der sich verhältnismäßig große Sorgen macht. Dazu kommen jene, die sich große Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung machen. Ein Teil, der allerdings auch im Abflauen begriffen ist. Das Thema Pandemie war immer auch eines, das von der Wirtschaftsangst geprägt war. Die Leute machten sich um ihre soziale Absicherung Sorgen, um ihre Arbeitsplätze letzten Endes.

Insgesamt gesehen scheint das kommende Jahr offenbar optimistischer gesehen zu werden als die letzten zwei?
Beutelmeyer: Die Leute glauben, dass es jetzt besser würde als letztes Jahr. Da haben sie auf die Wirkung der Impfung gesetzt und wurden dabei etwas enttäuscht, weil sie festgestellt haben, dass diese nicht so nachhaltig gewirkt hatte, wie sie es erwartet hatten. Darum denke ich einmal, dass die Erwartung für das heurige Jahr eine positive sein wird. Der Optimismus war in der Umfrage von letzter Woche beinahe schon wieder auf einem Durchschnittsniveau der vergangenen Jahre. Man erwartet, dass sich die gute Konjunktur des letzten Jahres auch heuer fortsetzen wird.

Wie ist das mit der Inflation? Wie soll das funktionieren bei der Geldmenge, die in den letzten zwei Jahren in Europa auf den Markt geworfen wurde?
Beutelmeyer: Es ist vor allem auch ein Glaubwürdigkeitsproblem der Inflationsrate. Selbst bei ausgewiesenen vier Prozent muss man fragen, ob das auch stimmen kann. Wir hören immer wieder von Preissteigerungen im Wohnbereich, im Energiebereich, auch im Lebensmittelbereich von 20, 30 Prozent. Ich frage mich, wie können da vier Prozent Inflation herauskommen? Es ist eine Enteignung der Mittelschicht und jener, die sparen. Jene 800 Milliarden Euro, die als Guthaben auf Bankkonten liegen, werden durch die Inflation natürlich arg geschröpft. Wir sind einfach auf einem höheren Preisniveau. Manche Ökonomen meinen, das würde sich wieder einpendeln. Das wird man abwarten müssen.

Es geht um verloren gegangenes Vertrauen in Demokratie und Parlamentarismus.

Wenn ich nochmals auf die Geldmenge zurückkommen kann … es muss sich doch irgendwann rächen, dass die EZB schlechte Kredite der Banken aufgekauft hat und gutes Geld dafür hergegeben hat. Das muss doch zurückgezahlt werden.
Beutelmeyer: Leider sind die Banken auch nicht bereit, dieses überschüssige Geld wieder an die EZB zurückzugeben. Da kommt der Effekt mit den Negativzinsen zum Tragen. Legen die Banken Geld bei der EZB an, so müssen sie dafür Negativzinsen bezahlen. Deshalb boomen ja auch verschiedene Märkte, wie jener der Immobilien. Frei nach dem Motto, Hauptsache, man kann das Geld irgendwo anlegen.

Wie nimmt das eigentlich die Öffentlichkeit auf?
Beutelmeyer: Derzeit habe ich den Eindruck, dass dieses Thema nur wirtschaftsversierte Leute diskutieren. Für die breite Bevölkerung ist es noch etwas zu abstrakt. Wenn das aber anhält, dann haben wir natürlich ein Thema. Insgesamt überwiegt derzeit aber noch die Freude, dass der Arbeitsplatz und das Einkommen gesichert sind. Anpassungen des letzteren werden erwartet und werden auch notwendig sein.

Welche politischen Konsequenzen erwachsen daraus?
Beutelmeyer: Die ÖVP scheint sich zu erholen. Bis jetzt macht der neue Bundeskanzler durchaus eine gute Figur. Die SPÖ ist auf der Linie, die früher die ÖVP eingenommen hat. Da gibt es einen Landeshauptmann, der unglaublich Gas gibt, der vom Burgenland aus die Partei aufmischt. Dabei muss man sagen, dass er inhaltlich in vielen Punkten Recht hat. Was zurückbleibt ist allerdings das Bild einer zerrissenen Parteiführung.

Ein weiteres Ereignis in diesem Jahr ist die Bundespräsidentenwahl. Da gibt es mit Alexander Van der Bellen einen Kandidaten, dem fast jeder zubilligen würde, dass er sie wiedergewänne. Erwartet man eigentlich, dass er wieder antritt, trotz seines fortgeschrittenen Alters?
Beutelmeyer: Ich würde sagen, dass man bei uns auf Kontinuität und Stabilität setzt. Dies umso mehr, als es um das Vertrauen in die Demokratie, in den Parlamentarismus und ähnlichem geht. Ich glaube, dass da ein gewaltiger Schaden entstanden ist in letzter Zeit. Wenn man sich das anschaut in den Zahlen, wie das mit den politischen Parteien ist, mit dem Rechnungshof, egal wo man hinschaut, ist die Bilanz negativ. Es ist unglaublich, was da passiert. Es gibt da schon einen hohen Grad an Unzufriedenheit. Und da ist der Bundespräsident ein stabiler Faktor.
Wenn Van der Bellen wieder antritt, haben einige Parteien schon erklärt, keinen eigenen Kandidaten aufstellen zu wollen.

Ist es eigentlich sinnvoll, wenn sich sogenannte Volksparteien von der Präsidentschaftswahl absentieren?
Beutelmeyer: Eine Wahl sollte eine Wahl bleiben. Und da sind die Volksparteien gefragt. Man müsste Alternativen aufzeigen, das wäre in einer Demokratie gefragt. Man darf aber nicht vergessen, dass das Ganze natürlich auch Geld kostet, das möglicherweise verloren ist, wenn man keine Chance hat zu gewinnen. Mit einer Kandidatur kann man allerdings in der Öffentlichkeit punkten.

Das Gespräch führte Walter Tributsch.

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