Autor: – Bild: Bundesheer/Daniel TRIPPOLT
Brigadier i. R. Günter Polajnar über Neutralität und Investitionsbedarf beim Bundesheer
Herr Brigadier, welche Lehren aus dem Krieg in der Ukraine hat Österreich in Bezug auf Landesverteidigung und Bundesheer zu ziehen?
Günter Polajnar: Alle Politiker überbieten sich wieder mit Wortmeldungen zum „Hungerbudget“ des Österreichischen Bundesheers, wie z. B. „Wir müssen in unsere Landesverteidigung mehr investieren als bisher, mindestens …!“
Ich hör‘ die Worte, allein mir fehlt der Glaube! Jede Regierung der letzten Jahrzehnte hinterließ vor allem parteipolitische Spuren in der Struktur des Österreichischen Bundesheeres und dieses taumelte daher von einer Reform in die nächste. Parteipolitische Strategie war unseren Regierungen immer wichtiger als die verteidigungspolitische Notwendigkeit! Klaudia Tanner (ÖVP), unsere derzeitige Verteidigungsministerin, lieferte dazu wohl ein besonders markantes Beispiel: Im Jahr 2020 wollte sie die Kernaufgabe Landesverteidigung gerade noch auf ein Minimum reduzieren (denn die berüchtigte „Panzerschlacht im Marchfeld“ wird ja nie mehr stattfinden). Unser Bundesheer sollte stattdessen, trotz Neutralität nach „Schweizer Muster“, zu einem leicht bewaffneten Technischen Hilfswerk für Assistenzeinsätze umgebaut werden. Nun, seit 24. Februar 2022 fahren und schießen russische Panzer in die benachbarte Ukraine und jetzt (5 nach 12), welche Überraschung, spricht die liebe Frau plötzlich von einem „unglaublichen Nachholbedarf“!
Weitere Beispiele österreichischer Verteidigungsbereitschaft: Herbert Scheibner (FPÖ) musste 2002 nach einem „prominenten Kanzlerfrühstück“ statt der vom Generalstab vorgeschlagenen weit vernünftigeren Gripen-Lösung (unter anderem auch wegen der damals schwedisch geprägten ausreichend vorhandenen Werftinfrastruktur), die Eurofighter Typhoon des damaligen Kanzlers Schüssel schlucken! Günther Platter (ÖVP) setzte rechtzeitig vor der Nationalratswahl 2006 als besonderen Höhepunkt in seiner Ministerkariere die Miliztruppenübungen aus. Als Draufgabe reduzierte er dann zusätzlich noch die Mobilmachungsstärke des Heeres um die Hälfte und schaffte die Übungen ganz ab. Norbert Darabos (SPÖ) schließlich war als deklarierter Wehrdienstverweigerer mit dem Regierungswechsel 2007 eigentlich für das Innenministerium vorgesehen. Jedoch setzte Altkanzler Schüssel Platter als Innenminister durch. Somit wurde Darabos zu unserem Leidwesen der nächste Verteidigungsminister.
Er ging unverzüglich an die Arbeit, vollzog Gusenbauers (SPÖ) Herzensanliegen und marginalisierte die sowieso kaum vorhandene Luftverteidigung durch weitere kräftige Reduzierung der ungeliebten Eurofighter auf blamable 15 Stück.
Die zusätzliche Herabstufung dieses Fluggerätes auf ein gerade noch brauchbares Schulflugzeug ohne Nachtkampftauglichkeit war dann die Draufgabe. Unter Hans-Peter Doskozil (SPÖ) gelang im Sog der Migrationskrise 2015/16 wieder ein etwas höheres Budget, und Thomas Starlinger war dann der letzte Bundesminister für Landesverteidigung in der Expertenregierung vor der Bundesregierung Kurz 2020, der als ausgewiesener Fachmann den Mut und wohl auch die Kompetenz hatte, unangenehme Wahrheiten klar anzusprechen und auf den Tisch zu legen. Somit schließt sich dieser traurige Kreis vieler Versäumnisse und Fehlentscheidungen mit der leider nach wie vor immer wieder gültigen Aussage von Marcus Tullius Cicero: „Si vis pacem, para bellum“ oder „Wenn Du den Frieden willst, rüste zum Krieg”!
Jahre-, wenn nicht jahrzehntelang wurde das Bundesheer von der Politik stiefmütterlich behandelt und finanziell unterdotiert. Nun gibt ein Bekenntnis der Politik, das Heeresbudget zu erhöhen. Glauben Sie, dass nun das Bundesheer die Mittel bekommen wird, die es braucht?
Polajnar: Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten! Wie schon erwähnt, war parteipolitische Strategie immer wichtiger als verteidigungspolitische Notwendigkeit. Alle diese Versprechungen bezüglich eines Investitionsschubs für die Landesverteidigung hörte ich immer dann, wenn Feuer am Dach war!
Ja, unser Heer genießt Ansehen, aber vorrangig wegen vieler Katastrophen- und Assistenzeinsätze und auch wegen häufiger Grenzschutzoperationen in Zusammenhang mit Flüchtlingen, die illegal einreisen wollen, aber kaum für jene Hauptaufgabe, für welche es eigentlich prioritär vorgesehen wäre, für die Landesverteidigung.
Die Hauptschuld an diesem Dilemma haben nicht die Bürger, sondern vor allem unsere Damen und Herren Politiker, welche immer nur dann staatstragend tätig werden, wenn „Feuer am Dach“ ist und es notwendig und daher vernünftig wäre, eine einsatzbereite Feuerwehr verfügbar zu haben. Im Gegensatz zur Feuerwehr jedoch, die immer erst zur Schadensminimierung tätig wird, sollte ein gut aufgestelltes Heer schon im Vorfeld dazu dienen, den drohenden „Brand“ im Ansatz zu verhindern.
Langer Rede kurzer Sinn, intensive Erfahrungen mit dieser hauptsächlich parteiideologisch geprägten Politik, die meistens eigene Interessen vor Allgemeininteresse stellt und deren Zielhorizont auf Wählermaximierung gerichtet ist, glaube ich nicht daran, dass die Landesverteidigung á la longue höher bewertet werden wird.
Hauptschuld am Dilemma haben die Damen und Herren Politiker, die nur tätig wurden, wenn „Feuer am Dach“ war.
Wo sollten Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren die Schwerpunkte der Landesverteidigung gelegt werden? Abwehr von Cyber-Angriffen, Schutz der kritischen Infrastruktur oder anderes?
Polajnar: Leider muss ich gestehen, dass ich diese Frage möglicherweise nicht so kompetent beantworten kann, wie ich gerne möchte, da ich mich schon einige Zeit in Pension befinde. Es fehlt mir daher einfach ein aktueller Zustands-/Lagebericht, aber ich will mein Bestes versuchen. Österreichs strategische Kultur in Bezug auf militärische Landesverteidigung beruht auf zwei wesentlichen Punkten:
- Der Annahme, dass es zu keinem militärischen Konflikt auf österreichischen Boden kommen wird, und
- dass im Ernstfall das bündnisfreie und neutrale Österreich trotzdem auf die Unterstützung von Verbündeten zählen kann.
Von diesen zwei Kernannahmen leitet sich die Neigung der österreichischen politischen Klasse ab, das Bundesheer im Inland hauptsächlich für Sekundäraufgaben wie Assistenzeinsätze zu verwenden. Effektive militärische Landesverteidigung ist nicht notwendig, daher müssten auch keine zusätzlichen finanziellen Mittel hierzu bereitgestellt werden.
Nun, was lässt sich von dieser „quasistrategischen Denkweise“ für die Zukunft erwarten: - Mit großer Wahrscheinlichkeit wird eine Reform oder Umstrukturierung des Bundesheeres im Geiste der „österreichisch- üblichen- Verteidigungskultur“ sowieso immer mehr Inszenierung als effektive militärische Leistungssteigerung bedeuten. Die chronische Unterfinanzierung der Streitkräfte ist fixer Bestandteil dieser Kultur, und auch kriegerische Auseinandersetzungen in der Nachbarschaft (wie z. B. Jugoslawien 1991) haben hier kein Umdenken eingeleitet. Um die Republik aber effektiv gegen neue Gefahren zu wappnen, bedarf es nicht nur einer neuen Definition von Krieg und Frieden und einer neuen Doktrin, sondern vor allem der Budgetzuschüsse in größerem Rahmen.
- Aus dem oben genannten Grund ist auch nicht anzunehmen, dass neue operative Konzepte in den Bereichen der Cyber Defence oder Drohnenabwehr nennenswert zur militärischen Landesverteidigung beitragen werden.
Bei diesen neuen Schwerpunkten wird es sich aus finanziellen Gründen und weil man sich geografisch in Sicherheit wiegt, höchstwahrscheinlich um punktuelle Programme ohne Breitenwirkung und mit geringen militärtechnischen Kapazitäten handeln. Um die Kampfkraft der gesamten Streitkräfte effektiv zu steigern und sie für das 21. Jahrhundert tatsächlich konventionell militärisch einsatzfähig zu machen, gäbe es eine Vielzahl von Investitionen, auch in der elektronischen Kriegsführung oder in der Vernetzung aller Führungsinformationssysteme, die in Verbindung damit getätigt werden müssten, um einen militärischen Mehrwert zu erzielen. Cyber Defence funktioniert nicht ohne effektive Fernmelde- und elektronische Aufklärung.
Letztendlich werden zukünftige Angriffe aber nicht nur aus einer Dimension erfolgen, sondern werden mit großer Wahrscheinlichkeit multidimensionale Kampagnen sein, wie z.B. Infiltrierung kritischer Infrastruktur durch Spezialeinsatzkräfte gepaart mit Drohnen und unterstützt durch gezielte Cyber-Angriffe. Die neue Schwerpunktsetzung darf also auf keinen Fall die Abrüstung aller anderen Kapazitäten bedeuten.
Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine ist in Österreich auch die Neutralität ein Thema. Sollte Österreich einen Beitritt zur NATO in Erwägung ziehen?
Polajnar: Unsere derzeitige Diskont-Neutralität schützt nicht, Österreich hat objektiv gesehen im Wesentlichen zwei Optionen, nämlich eine ehrliche bewaffnete Neutralität oder den Beitritt zur NATO.Subjektiv haben wir, meiner Meinung nach, jedoch nur eine Option:
Nämlich unsere verantwortungslose Trittbrettfahrerei zu beenden, endlich Abschied zu nehmen von dieser „augenzwinkernden Neutralität“ im Herzen eines NATO-Europas und stattdessen ein klares Bekenntnis abzugeben zu einem verteidigungspolitischen Selbstbehauptungswillen nach Schweizer Muster, wie auch im Neutralitätsgesetz ursprünglich gefordert, weil Österreich am 15. Mai 1955 nach langen und zähen Verhandlungen seinen Staatsvertrag und somit seine Unabhängigkeit erhalten hat, und „zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.“
Weil ich das „Phäakentum“ der Österreicher und die Wankelmütigkeit unserer hin und her lavierenden Politiker strikt ablehne! Falls sich statt der derzeit bestehenden NATO – mit USA als Hauptakteur – , einmal eine Allein-Europäische-Verteidigungsgemeinschaft entwickeln würde, dann wäre diese geänderte strategische Situation neu zu bewerten!
Das Gespräch führte Bernhard Tomasachitz.
1 comment
[…] Polajnar im ZZ-Gespräch Seite […]
Comments are closed.