„Von Beitrittsreife sehr weit entfernt“

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EU-Delegationsleiter Harald Vilimsky über einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine, verfehlte Sanktionen und die USA als Gewinner

Herr Abgeordneter, wissen Sie mittlerweile, wie die Antworten auf den Fragebogen der EU lauten, die der ukrainische Präsident Selenski nach Brüssel geschickt hat?
Harald Vilimsky: Niemand weiß das. Das ist genauso ominös wie die Kommunikati-on der Frau von der Leyen mit den Pfizer-Chefs. Das alles ist höchste Verschlusssache und aus meiner Sicht ist Derartiges demokratiepolitisch unappetitlich.
Irgendwie erinnert diese Geheimniskrämerei an den früheren Kommissionspräsidenten Juncker, der einmal meinte, wir beschließen etwas, stellen es in den Raum, und wenn es kein Geschrei gibt, machen wir weiter bis es kein Zurück mehr gibt.

Harald Vilimsky ist EU-Abgeordneter und Leiter der freiheitlichen Delegation im Europäischen Parlament.

Soll das aus Ihrer Sicht auch in Sachen eines möglichen EU-Beitritts der Ukraine geschehen?
Vilimsky: Es ist deswegen geheim und versteckt, weil es nicht herzeigbar ist. Es gibt in der Europäischen Union die Kopen-hagener Kriterien, welche die Aufnahme eines neuen Mitglieds regeln. Die Ukraine, obwohl sie Teil der europäischen Völkerfamilie ist, verfehlt alle diese Kriterien. Die Ukraine soll Teil der europäischen Völkerfamilie sein, ist aber noch ganz weit entfernt von einem Beitritt zur Europäischen Union.

Sollte die Ukraine eines Tages die Kopenha-gener Kriterien erfüllen: Beitritt ja oder nein oder vielleicht etwas anderes, eine privilegierte Partnerschaft?
Vilimsky: Die Ukraine ist allemal besser als die Türkei. Die Ukrainer können mit Sicherheit auch organisatorischer Teil die-ser europäischen Völkerfamilie sein. Aber dafür müssen sie die Voraussetzungen erfüllen und das ist, wie schon gesagt, derzeit nicht der Fall. Das insbesondere vor dem Hintergrund eines Krieges, weil eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine andere Staaten in diesen Krieg hineinziehen würde, und damit ist eine solche Überlegung inakzep-tabel.

Wenn Sie gerade den Krieg ansprechen: Die EU hat bisher Militärhilfe für die Ukraine in Höhe von 1,5 Milliarden Euro beschlossen. Besteht hier nicht die Gefahr, dass die Europäische Union, die nach ihrem eigenen Selbstverständnis ein Friedensprojekt sein will, zumindest indirekt Kriegspartei wird?
Vilimsky: Ich halte es für verrückt, was hier abgeht! Insbesondere, dass dieser Ruf nach schweren Waffen von den Linken kommt. Es wird nicht so sein, dass Russ-land auf diese Lieferung schwerer Waffen mit Wattebällchen antworten wird. Das ist eine brandgefährliche Situation und ich habe hier den Eindruck, dass vor allem politisch Linke eine Eskalation dieses Krieges in Kauf nehmen, was für mich völlig inakzeptabel ist. Für mich heißt die Devise: Nicht schwere Waffen, sondern das Ange-bot auf Friedensverhandlungen möglichst in einem neutralen Staat. Österreich und Wien als Sitz der Vereinten Nationen und auch der OSZE böten sich dafür an.

Die Sanktionen gegen Russland verfehlen völlig ihr Ziel und treffen den, der sie verhängt hat.

Was die Sanktionen gegen Russland wegen des Ukrainekriegs betrifft, gehen Europäische Union und Vereinigte Staaten Hand in Hand. Hat hier die Europäische Union ihre letzten Reste an außen- und sicherheitspolitischer Eigenständigkeit aufgegeben?
Vilimsky: Die Sanktionen verfehlen völlig ihr Ziel und treffen den, der sie ver-hängt. Es ist nicht so, dass jetzt im Kreml die Raumtemperatur um ein paar Grad herabgesenkt werden muss, sondern dass in den Haushalten Europas die Menschen die Energie nicht mehr zahlen können, und die USA lachen sich bei diesem Spiel ins Fäustchen, weil hier die Amerikaner wirtschaftlich einen Vorteil erzielen. Nord Stream 2 wurde bereits für beendet erklärt, die Europäer verhandeln mit den Ameri-kanern über Fracking-Gas, die Amerikaner sind die wirtschaftlichen Gewinner dieser Situation, Europa ist der große Verlierer, die Leidtragenden sind die Ukrainer. Schlech-ter kann man Politik nicht machen, als sie zurzeit von der Mehrheit der Nomenklatura in Europa gemacht wird.

Dann werden die europäischen Interessen verraten?
Vilimsky: Die europäischen Interessen werden seit langer Zeit verraten, weil ich den Eindruck habe, dass in Brüssel und in der Europäische Union große Konzerne und die Industrie dominieren – auf einen Mandatar kommen 40 Lobbyisten –, und das ist nicht Demokratie, wie ich sie mir vorstelle.

Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Russland ist an einem Tiefpunkt angelangt. Ist das Ihrer Meinung nach klug? Ich gebe zu bedenken, dass der Krieg in der Ukraine hoffentlich bald vorbei sein wird und Russland sich nicht in Luft auflösen wird und die EU mit Russland, in welcher Form auch immer, zusammenarbeiten oder einen Modus Vivendi wird finden müssen.
Vilimsky: Vor vielen Jahren war auch ich einer, der versucht hat, einen guten Dialog mit Russland zu führen. Aber, was Putin gemacht hat, nämlich in einen anderen Staat einzumarschieren, wo Tote, Verletzte, viele Flüchtlinge und viel menschliches Leid die Folge sind und zusätzlich ganz Europa in einen wirtschaftlichen Abschwung kommt, ist absolut inakzeptabel. Ich glaube und fürchte auch, dass das Verhältnis zu den Russen auf viele, viele Jahre eingefroren sein wird.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

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