Frankreich: „Republikanische Front“ praktisch verschwunden

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Rama Lizenz: CC BY-SA 2.0 FR


Ausgrenzungsstrategie gegen Marine Le Pens Bewegung gescheitert

Es ist ein ziemlich alter Schmäh der Marxisten: Um den Klassenfeind zu schwächen und ein linkes Übergewicht zu gewährleisten, wird ein Teil des feindlichen Spektrums diffamiert; das reicht von der Punzierung als rechtsradikal bis zum Vorwurf des Nazismus. Solche Kräfte werden aus dem Kreis der selbsternannten demokratischen Kräfte ausgeschlossen, mit ihnen dürfe unter gar keinen Umständen politisch zusammengearbeitet werden. Ein paar Beispiele:

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist in Italien die 1946 gegründete Bewegung MSI (Movimento Sociale Italiano; die sogenannten Missini) ohne jeden Einfluss, da die anderen Parteien diese Kraft als außerhalb des Verfassungsbogens (arco costituzionale) befindlich deklarieren. Dadurch werden die Christdemokraten eines potentiellen Koalitionspartners beraubt und müssen widerwillig auf das linke Parteienspektrum ausweichen (apertura a sinistra).

Auch in Deutschland geht die CDU/CSU den linken Fallenstellern auf den Leim. Die Christdemokraten halten strenge Distanz gegenüber der AfD, begeben sich eines Bündnispartners; während seitens der SPD keine Scheu besteht, auf allen Ebenen – auch im Bund, falls sich sonst keine linke Mehrheit ergibt – mit den Erben der kommunistischen SED zu kooperieren.

In Österreich hingegen grenzen sich die Sozialdemokraten selbst aus. Durch die Vranitzky-Doktrin ist ihnen auf Bundesebene eine Koalition mit den Freiheitlichen verunmöglicht. Dies im Gegensatz zur Volkspartei. Ergebnis: Bei Verhandlungen befinden sich die Roten gleichsam in Geißelhaft der ÖVP, müssen im Zweifel nachgeben, weil ihnen keine Alternative offensteht.

Nun, genauer: beim zweiten Durchgang der Parlamentswahl am 19. Juni, ist in Frankreich die sogenannte Republikanische Front gegenüber Marine Le Pens Partei RN zerbröselt. Jene Front sollte eine linke Dominanz erleichtern.

Le Pens Triumph sorgt für besorgte Kommentare wie etwa im Satireblatt Charlie Hebdo vom 20. Juni mit dem Titel « Ne rien faire, ne rien dire, mais s’implanter bien profond » (dt. Nichts tun, nichts sagen, aber sich sehr tief etablieren), wo die vom Rassemblement National angeblich ausgehende Gefahr in düsteren Farben geschildert wird:

„Neunundachtzig Abgeordnete im Jahr 2022, verglichen mit acht im Jahr 2017… Die Massenankunft der RN beweist, dass die Partei von Marine Le Pen ihren Einfluss in den Ecken Frankreichs festigt … sicherlich besteht die Gefahr, dass die extreme Rechte eine Position des Vizepräsidenten der Nationalversammlung einnimmt, die bis dahin in Frankreich unvorstellbar schien. Für sie werden auch Sonderkommissionen oder Untersuchungskommissionen geöffnet …“

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom selben Tag formuliert die Korrespondentin Michaela Wiegel: „Das unter den Bedingungen des Mehrheitswahlrechts erzielte Ergebnis zeigt, wie tief die extreme Rechte in weiten Landesteilen verankert ist. Das ist erschreckend.“

Jérôme Fenoglio textet am Tag nach der Wahl in der renommierten Pariser Tageszeitung Le Monde:Der ‚Front républicain‘ ist zerbrochen, der darin bestand, sich auf jeden Fall darauf zu einigen, die Rechtsextremen nicht gewinnen zu lassenAm Sonntag hat sich dieses Gefühl des Verrats in einem allgemeinen Zusammenbruch des republikanischen Reflexes niedergeschlagen: Umfragen zufolge haben sich die Wähler von Macrons Partei LRM ebensowenig wie die Wähler von Mélenchons Bündnis Nupes auf den Weg gemacht, um einem RN-Konkurrenten den Weg zu versperren.“

An anderer Stelle ist in der Le Monde zu lesen: „ … geht mit dem faktischen Verschwinden der ‚Republikanischen Front‘ einher, der Tradition, dass republikanische Parteien – wie auch ihre Wähler – sich gegen die rechtsextremen Kandidaten zusammenschließen, die in den zweiten Wahlgängen vertreten sind. Der RN scheint in den Augen einiger Franzosen nicht mehr die Vogelscheuche des französischen politischen Lebens zu sein.“

Jérôme Fourquet, Direktor des Meinungsforschungsinstituts IFOP: „Die republikanische Front war während der Präsidentschaftswahlen ein wenig ausgefranst.“ Nun aber, nach dem beispiellosen Sieg der Partei Marine Le Pens sei dieser republikanische Damm faktisch verschwunden.

In der sehr linken Berliner taz liest man: „Lange gab es in Frankreich die stillschweigende Regel der „republikanischen Front“, um eine Wahl von Leuten der Le-Pen-Partei zu verhindern. Damit sollte verhindert werden, dass die Po­li­ti­ke­r*in­nen einer rassistischen Rechten die Legitimität einer parlamentarischen Vertretung erhalten. Die linken Parteien haben diese Regel konsequent respektiert.“

Die bürgerlichen und auch die vormals linken Wähler freilich nicht mehr. Und das ist gut so.

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