„Russland, Bedrohung für EU-Sicherheit und Wirtschaft“

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Ex-BVT-Chef Gert R. Polli zur Lage in der Ukraine, Sicherheitsmängel in Österreich und zu seinem Buch „Schattenwelten“

Herr Dr. Polli, in dieser Zeit der Umbrüche, mit Corona, der Ukraine und dem zunehmenden Terrorismus, leben wir da in Österreich noch einigermaßen sicher?
Gert Polli: Nun, es wird von der Politik immer wieder behauptet, wir wären keine Insel der Seligen. Diese Aussage bezieht sich auf den Terrorismus. Es stimmt, wir leben in einer unglaublich schwierigen Zeit, viele sprechen sogar von einer Zeitenwende. Ich denke da vor allem an die Situation in der Ukraine. Das Verhältnis Russlands auf der einen Seite und der Europäischen Union und der NATO auf der anderen beeinflusst die Sicherheit bei uns nachhaltig und längerfristig.

Dr. Gert R. Polli, Absolvent der Theresianischen Militär­akademie, diente als Berufsoffizier des öster­reichischen Bundesheeres. 2002–2008 war er der erste Direktor des durch ihn aufgebauten Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismus­bekämpfung. Polli ist promovierter Politik­wissenschaftler, Absolvent der Naval Postgraduate School in Monterey (Kalifornien) und Honorar­professor an der „Ukrainian-American Concordia University“ in Kiew.

Wie kritisch ist diesbezüglich die Situation für uns in Mitteleuropa?
Polli: Viele Experten, so auch ich, sind der Hoffnung, dass dieser Krieg nicht auf Europa überschwappt. Ausschließen aber kann man das nicht, der Kriegsverlauf lässt dieses Szenario jeden Tag wahrscheinlicher werden. Wegen dieses Potenzials eines möglichen Übergriffs als auch der bereits jetzt spürbaren wirtschaftlichen Folgen leben wir in Österreich auch nicht mehr auf der sprichwörtlichen Insel der Seligen.

Sie haben zu dem gegenwärtigen Kriegskonflikt eine mehrfache Beziehung. Sie sind unter anderem Professor in der Ukraine und haben den Konflikt von Anfang an mitverfolgen können. Waren wir in Europa eigentlich auf so etwas eingestellt?
Polli: Es ist richtig, ich bin Honorarprofessor an der Ukrainian-American Concordia University in Kiew, und das auch sehr, sehr gerne. Europa war eigentlich nicht auf einen Krieg eingestellt, ebenso wenig die Ukraine. Wir in Europa haben, seit den Ereignissen rund um den Maidan ab 2013 und dem von außen herbeigeführten Regimewechsel, die Ukraine unterstützt. Das nicht nur in finanzieller, sondern auch in sicherheitspolitischer und militärischer Hinsicht. Es war eine Fülle an Beratern in der Ukraine tätig. Und das waren nicht nur politische, sondern auch militärische Berater. Damit haben wir bewusst oder unbewusst die Ukraine hochgerüstet. Dabei wurde übersehen, dass die Ukraine einen Nachbar hat, der um ein Vielfaches militärisch potenter ist und eine Vielzahl an Möglichkeiten hat, die nicht nur unsere Sicherheit, sondern auch unsere wirtschaftliche Existenz bedrohen kann. Die russische Reaktion auf das nicht zustande gekommene Assoziierungsabkommen 2013 mit der EU hätte in Europa als ein Alarmsignal wahrgenommen werden sollen. Anstatt haben wir solche Signale aus Russland ignoriert.

Gert R. Polli SCHATTENWELTEN Österreichs Geheimdienstchef erzählt 320 Seiten, 15 x 23 cm, Hardcover, 25,90 € ISBN 978-3-99081-097-2

Der zweite Punkt, der ihre persönliche Einbindung zum Gegenstand hat, ist Ihre persönliche Entwicklung. Sie haben 2002 das BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) aufgebaut und auch bis 2008 geleitet. Ist unser Sicherheitssystem nach wie vor intakt?
Polli: Es ist eine Mär zu behaupten, dass die Sicherheitslandschaft bei uns intakt gewesen wäre. Wenn Sie die beiden Säulen unseres Sicherheitssystems betrachten, so sind diese in einem sehr bedenklichen Zustand. Auf der einen Seite ist das das Bundesheer in seiner Gesamtheit, inklusive seiner militärischen Dienste, auf der anderen Seite die Neuaufstellung des Geheimdienstes im Innenministerium, die neu geschaffene Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN).

Wo liegen die größten Schwächen?
Polli: Es ist kein Geheimnis, dass das Bundesheer über viele, viele Jahre hindurch vernachlässigt wurde. Sowohl personell wie auch materiell. Zu aller Überraschung hat man jetzt festgestellt, dass der ewige Friede so nicht stattfindet, wie wir uns das vorgestellt hatten. Wir müssen feststellen, dass wir uns nicht verteidigen können. Ich höre auch nicht einmal Stimmen, die nahelegen würden, dass Österreich sich Richtung NATO bewegen könnte, wie das bei Schweden und Finnland der Fall ist. Das würde auch gar nicht möglich sein, ohne unsere Verfassung zu ändern, die übrigens in der Bevölkerung eine sehr starke Verankerung hat. Wir haben hier eine Situation, die nicht ungünstiger sein könnte.
Wenn ich die Schlüsselbereiche der Sicherheit anspreche, meine ich in erster Linie die Geheimdienst, Nachrichtendienste oder einschlägige Sicherheitsbehörden im BMI. Auch hier sind wir suboptimal aufgestellt und international unter Beobachtung. Kein Wunder, die letzten Jahre des BVT waren keine Visitenkarte für die Etablierung internationalen Vertrauens; der Währung der Dienste bei der Zusammenarbeit. Das national wie auch international.

Die Staatspolizei, die von Ihnen in das BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) umgebaut wurde und nun wieder eine neue Form (Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst) angenommen hat, ist das nur eine andere Namensgebung, oder wurde auch substantiell etwas verändert?
Polli: Es wurde auch substantiell etwas verändert. Auf den ersten Blick könnte man sogar meinen, es wäre ein Glücksgriff gewesen. Als ich die Leitung der Staatspolizei und dann des BVT übernommen hatte, gab es einen politischen Konsens auf der Basis des damaligen Koalitionsabkommen. Darinnen stand sehr allgemein, dass es zu einer Reorganisation der Staatspolizei kommen sollte. Das hat nie stattgefunden. Es gab weder zusätzliches Personal noch Befugnisse. Die Reform der Staatspolizei im BVT war gescheitert, bevor sie noch begonnen hatte. Dafür gab es nie einen politischen Konsens, im Gegenteil.

Was hat sich nun geändert?
Polli: Paradoxerweise ist das jetzt ganz anders als noch vor wenigen Jahren. Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) kann heute auf einem breiten politischen Konsens aufbauen, auf ein politisches Bekenntnis zu einer nachrichtendienstlichen und polizeilichen Struktur, angesiedelt im BMI. Paradoxerweise waren es gerade die Defizite der Vorgängerorganisation, die mit einer Razzia im Verfassungsschutz 2018 ihren Höhepunkt hatte. Diese Ereignisse haben das politische Bewusstsein geprägt, eine radikale Änderung des Staatschutzes einzuleiten. Auslöser war eben diese Hausdurchsuchung im Lichte einer Vielzahl von Ungereimtheiten in dieser Behörde. Überspitzt formuliert hat der damalige Innenminister im Wege der Justiz etwas ausgelöst, das letzten Endes sehr positiv war: Die völlige Neuaufstellung des Staatsschutzes, getragen von einer überwältigenden Mehrheit im Parlament. Das ist ein sehr mutiges politisches Zeichen und gibt Anlass zum Optimismus.

Europa hat die Ukraine seit Maidan finanziell und sicherheitspolitisch unterstützt und den potenten Nachbarn übersehen.

Man hatte zur Zeit Kickls als Innenminister auch den Eindruck, dass sich tatsächlich etwas tut. Nach der Razzia hat die politische Opposition aber auch der schwarze Regierungspartner Kickl dann aber ins sprichwörtliche Eck gestellt. Ist das zu Unrecht erfolgt?
Polli: Ich kann das in dieser Art und Weise nicht beurteilen, das ist eine politische Frage. Allerdings muss man schon sagen, dass die damalige Hausdurchsuchung beim BVT wohl eine der unglücklichsten Aktionen war, die jemals einen europäischen Sicherheitsdienst getroffen hat. Dass dann schließlich doch etwas Positives in der Form der neu etablierten DSN wurde, das war damals nicht absehbar. Der Preis dafür wird heute jedoch immer noch bezahlt: Das internationale Misstrauen der Partner. Noch heute befeuern diverse Presseartikel in internationalen Medien diese Mär.

Wurde die Hausdurchsuchung nicht vom Justizministerium veranlasst?
Polli: So kann man das natürlich auch sehen. Auslöser dafür war dieses unsägliche Konvolut von Halbwahrheiten, Halb­ermittlungen und Gerüchten. Der damalige Innenminister ist damals zu Unrecht auf diesen Zug aufgesprungen, ohne sich ausreichend abzusichern. Das war eine unglückliche Aktion. Die Konsequenz war allerdings gigantisch. Es folgte ein internationaler Vertrauensverlust gegenüber dieser Organisation und ein temporäres Suspendieren aus nachrichtendienstlichen Foren, deren Folgewirkung bis heute die Sicherheit der Republik nachhaltig negativ beeinflussen.

Lassen Sie mich Ihren geheimdienstlichen Werdegang einmal überspringen. Sie sind nun unter die Buchautoren gegangen und haben ein Werk veröffentlicht, das wie lautet?
Polli: Schattenwelten

Mit „Schatten“ sind da jene gemeint, die Geheimdienste, und Spionageorganisationen verursachen?
Polli: Es gibt Bereiche des öffentlichen Lebens, die wenig Interesse haben, in der Öffentlichkeit besprochen zu werden. Sie haben eigene Gesetze, eigene Handlungsweisen. Es ist eine eigene Welt. Das Buch beleuchtet aber nicht nur meine frühere Funktion und gibt einen Einblick, was sich hinter solchen Kulissen in der Schattenwelt abspielt, sondern liefert auch sehr persönliche, durchaus auch private Einblicke. Diese persönliche Perspektive prägt dieses Buch sehr stark und macht es einzigartig. Es ist kein Aufdeckerbuch und auch keine Abrechnung, wenn überhaupt, dann mit mir selbst.
Insofern war auch ich selbst Nutznießer, da ich beim Schreiben des Buches Erlebnisse aufgearbeitet habe, die ich sonst in dieser Art und Weise nie aufgearbeitet hätte. Es kam somit ein erstaunliches Werk auf den Tisch.

Wenn Sie von einem erstaunlichen Werk sprechen, und von Einsichten, die sich nicht nur auf Ihre berufliche Tätigkeit beziehen, worauf sollte der Leser sein Augenmerk richten?
Polli: Ich habe versucht, den Autor ein bisschen in den Vordergrund zu stellen, den Menschen in einer solchen Funktion und mehr noch. Ich komme aus dem Heer, war dort Berufsoffizier, habe die Theresianische Militärakademie absolviert und wurde dann ins Heeres-Nachrichtenamt (HNaA) übernommen. So etwas wurde in dieser Art und Weise noch nie so geschrieben und publiziert. Ich habe auch versucht aus meiner Sicht das Verhältnis zwischen HNaA und BVT darzustellen. Das Buch kann auch als Anleitung für jene jungen Kräfte dienen, die damit Fehler verhindern können, die ich damals gemacht habe.

Einblick in Schattenwelten, die ­Geheimdienste, die kein Interesse daran haben, thematisiert zu werden.

Finden politisch Interessierte auch einen Bezug zu den in Österreich agierenden politischen Parteien?
Polli: Man kann in dieser Thematik kein Buch schreiben, ohne einen politischen Bezug herzustellen. Ich hatte während meiner Tätigkeit als Direktor des BVT von 2002 bis 2008 unterschiedliche Minister mit unterschiedlichen Prioritäten. Es gab im operativen Bereich eine Vielzahl von Bedrohungen und Herausforderungen, die gefährlich und politisch nicht uninteressant waren. Das Buch ist voll von Hintergrundinformationen auch zwischen den Zeilen. Das Buch ist aber auch ein Buch, geschrieben mit Humor und einer Vielzahl von Anekdoten und auch voll von politischer Merkwürdigkeiten.

Welcher Leser mit welchem spezifischem Interesse sollte bei Ihrem Buch zugreifen?
Polli: Jeder, der an Hintergründen interessiert ist. Informationen wurden so in dieser Form noch nie beschrieben und dargestellt. Das in einer Umgebung der internationalen und nationalen Nachrichtendienste, vor allem aber beleuchtet das Buch die Schnittstelle zwischen Politik und Beamtenschaft, aus einer sehr exponierten Position, aus jener des Leiters einer der sicherheitskritischsten Behörden in Österreich, des BVT.
Wie ich schon einmal sagte: die Leitungsfunktion in einer Organisation wie dem BVT ist eigentlich der größte Schleudersitz der Republik. Und das wird auch heute nicht viel anders sein.

Das Gespräch führte Walter Tributsch.

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