Ex-Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl im ZZ-Gespräch
Wir haben lange Jahre von einem „Gleichgewicht des Schreckens“ zwischen den West- und den Ostmächten gesprochen. Der sogenannte „Kalte Krieg“ wurde unter anderem auch durch politische Umstrukturierungen und, dem folgend, durch rege Wirtschaftsbeziehungen abgelöst. Erleben wir nun einen Rückschritt?
Christoph Leitl: Ja, wir erleben einen Rückschritt. Gorbatschow hat den Eisernen Vorhang gehoben, Putin wieder gesenkt. Was auch immer die Ursachen dafür gewesen sind, es ist Faktum, dass viel wechselseitiges Vertrauen zerstört worden ist, das in den letzten Jahren aufgebaut worden ist.
Europa, und damit auch Österreich, tut sich offensichtlich schwer, mit den geänderten Bedingungen umzugehen. Inwieweit müsste von europäischer Seite ein Umdenken erfolgen, um wieder mit Russland „in die Gänge zu kommen“?
Leitl: Österreich sollte sich im Sinne einer „aktiven Neutralität“ viel stärker bemühen, den Dialog zwischen den im Ukraine-Krieg Beteiligten wieder in Gang zu bringen. Dialog heißt hier nicht, eine Lösung vorzugeben, sondern Gesprächsebenen zu eröffnen. Es ist wie sonst auch im Leben: Konflikte können nur in direkten Gesprächen zwischen den direkt Beteiligten gelöst werden.
Vielfach wird die „Sanktionspolitik“ der USA, der sich die EU-Staaten weitgehend angeschlossen haben, für energiepolitische Engpässe, die uns „ins Schwitzen bringen“. verantwortlich gemacht. Wäre hier ein Schritt zurück denkbar, wünschenswert und überhaupt möglich?
Leitl: Meine Position zu Sanktionen generell ist bekannt. Ein einseitiges Zurücknehmen ist aus meiner Sicht nicht möglich, weil man damit Möglichkeiten für eine Lösung im Rahmen eines Dialoges vorweg aus der Hand gibt.
Wie es scheint, orientiert sich Russland immer stärker nach dem Osten. Inwieweit kommt uns da ein geopolitischer Partner abhanden?
Leitl: Russland wendet sich China zu, es stärkt damit dieses Land, das zu bekämpfen das Hauptziel der USA ist.
Mittlerweile ist uns mit China eine weitere Supermacht, und das in jeder Hinsicht erwachsen, sind wir in Europa nicht dabei, maßgebliche Entwicklungen hier einfach zu verschlafen?
Leitl: Die Supermacht China hat mit Hongkong einen Regelbruch begangen und hat nunmehr Taiwan im Visier. Wenn dieser Konflikt offen aufbricht und wiederum eine wirtschaftliche Sanktionspolitik ins Auge gefasst wird, bedeutet das den ökonomischen Ruin Europas.
Die momentane Situation ist ein schwerer Prüfstand für die Europäische Union und ihre Zukunft.
Die Europäische Union sollte eigentlich, auch die Gemeinschaftswährung war als wichtiger „Puzzles-Stein“ zu diesem Unterfangen angesehen, eine weitere wichtige Weltmacht westlicher Prägung werden. Inwieweit hat sie das geschafft, oder sind wir von dieser Zielvorstellung noch meilenweit entfernt.
Leitl: Die Europäische Union und ihre Zukunft stehen auf einem schweren Prüfstand. Sie muss sich jetzt weiterentwickeln. In einer Vertiefung nach innen mit einem gestärkten gemeinsamen Markt, aber auch in den Beziehungen zu allen anderen Teilen der Welt durch Partnerschaftsabkommen. Daneben muss die Blockade der Einstimmigkeit beseitigt werden, um die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit Europas herzustellen und damit eine effektive Teilnahme an der Lösung globaler Probleme wie z.B. der Klima- oder Migrationskrise zu ermöglichen.
Was könnte, oder besser gesagt, was sollte und müsste der Westen (USA und EU) tun, um zu verhindern, dass die Felle nach Osten (Russland, China, Indien) davon schwimmen?
Leitl: Wir brauchen Dialog und Toleranz. Dialog, um die anderen zu verstehen und Toleranz, um auch unterschiedliche Auffassungen zu akzeptieren. Werte, die Europa zu Recht vertritt, muss es vorerst einmal in einer guten eigenen Gemeinschaft leben, damit diese Werte nach außen verstanden und als nachahmenswert empfunden werden. Europa sollte und könnte leuchtendes Vorbild für Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sein. Das wäre die beste Art, unsere Werte glaubwürdig und wirkungsvoll zu vertreten.
Das Gespräch führte Walter Tributsch.
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