Wie oft wird man in Österreich mit dem Begriff Armut konfrontiert? Aber was ist Armut wirklich? Abgesehendavon, dass Armut im materiellen Sinn das Gegenteil von Reichtum ist und die Ursache primär eine mangelnde Befriedigung der Grundbedürfnisse darstellt, was vor allem auf fehlende Nahrung, Wasser, Kleidung, Wohnraum und Gesundheit zurückzuführen ist, ist es der Begriff der Mittelosigkeit, der eher auf die Armut in Österreich zutrifft. Wenn wir in die Länder der „Dritten Welt“ blicken und uns vor Augen führen, dass die Menschen mit einer Handvoll Hirsebrei als tägliche Nahrung das Auslangen finden, dann liegt die Ursache vielleicht auch darin, dass niemand viel reicher ist. Blicken wir zurück in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als unsere Großväter und Väter mit dem Wiederaufbau eines zerstörten Landes begonnen haben. Wie sie aus dem Nichts, trotz mangelnder Nahrung, zerbombter Unterkunft und nur der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in die Hände gespuckt haben. Sterz und Kaffee, Erdäpfel, Gemüse aus dem eigenen Garten und sonntags vielleicht ein Stück Fleisch reichten aus, um der Hoffnung Zündstoff zu geben.
Im Unterschied zu heute wurde man damals aber nicht „von oben herab“ betrachtet. Niemand wurde als arm bezeichnet, wenn er weniger hatte, weil alle gleich arm waren und am Aufbau des Landes mitgearbeitet haben. Man hatte Respekt. Auch vor der Armut. Etwas, das heute fehlt. Als armutsgefährdet gelten heute Haushalte mit einem Nettoeinkommen von unter 1.163 Euro. Als arm gelten Haushalte mit einem Nettoeinkommen von unter 781 Euro pro Monat. Worin liegen aber die Ursachen für Armut? Zu hohe Mieten, zu hohe Energiekosten, zu hohe Lebensmittelpreise, zu hohe Kosten für Kindererziehung und vielleicht auch zu hohe Ansprüche, die man stellt. Vielleicht ist es aber auch die Respektlosigkeit der Reichen vor der Armut ihrer Mitmenschen.
Eigentlich suspekt, wenn man bedenkt, dass auch die Armen zum Reichtum der Reichen ihren Beitrag geleistet haben. Es könnte aber auch sein, dass Neid eine Rolle spielt. Neidig auf den schweren BMW, den der Politiker inklusive Chauffeur fährt, der vor der Wahl den Armen eine bessere Zukunft und ein höheres Einkommen verspricht und hinterher bestreitet, dass er je etwas dergleichen gesagt hat. Stattdessen verurteilt man, ohne die Gründe für die Verarmung zu kennen, jene, die in die Armutsfalle geraten sind.
Vielleicht könnten wir alle den besten Beitrag gegen eine Verarmung der österreichischen Bevölkerung leisten, indem wir Respekt zeigen und nicht verurteilen, wenn ein Fehler Grund für die Armut ist. Vielleicht sollten wir das Gespräch mit den Armen suchen, nicht wegschauen und mit Worten Hoffnung geben. Denn ärmer als arm sind jene, die vergessen und verlassen sind. Auch mit Sterz und Kaffee kann man glücklich sein, wenn man Freunde hat, die Verständnis haben und die Hand zur Hilfe reichen. Übrigens ist es besser, arm und gesund als reich und krank zu sein. Und von Geld ist noch niemand satt geworden.
Manfred Tisal ist Kabarettist, Moderator, Autor und Journalist.
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