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Für Jugendforscher Heinzlmaier sind Authentizität und Vitalität die Erfolgsfaktoren der Kickl-FPÖ. In SPÖ und ÖVP sieht er hingegen zwei „degenerierte Traditionsparteien“.
Die politische Entwicklung in den einzelnen Ländern nimmt immer wieder einen den Rahmenbedingungen folgenden Verlauf. Im gegenwärtigen Zeitpunkt können wir in Österreich, zumindest den Umfragen zufolge ein Erstarken der FPÖ feststellen. In welchen Zusammenhängen ist diese Zunahme der Stimmenstärke zu verstehen?
Bernhard Heinzlmaier: Die FPÖ erstarkt deshalb, weil alle anderen Parteien abgelebt und ermüdet erscheinen. Die Stärke der FPÖ liegt nicht in ihren Inhalten, sondern in ihrer Vitalität. Sie ist agil und strahlt den Willen zur Macht aus. Sie hat Ecken und Kanten und spricht ohne ängstliche Selbstbeschränkung und Selbstunterdrückung das aus, was sie denkt und was sie durchsetzen will. Die anderen Parteien sind alle zusammen bemüht, mit dem Mainstream zu segeln und nirgendwo anzuecken. Das wirkt unehrlich und nicht authentisch. Die Wähler haben den Eindruck, sie geben täglich das Briefing wieder, das sie am Morgen von ihren PR-Agenturen bekommen haben.
Die derzeitige Regierung aus Grün und Türkis verliert immer mehr an Zustimmung in der Bevölkerung. Sie kann sich gerade noch auf ein Drittel Zustimmung in der Wahlbevölkerung berufen. Sind es nur die krisenhaften Umstände der letzten Zeit, wie Corona oder die Ukrainekrise und die damit verbundene Teuerung, die für diesen Absturz verantwortlich sind?
Heinzlmaier: Die Stimmung in der Gesellschaft wandelt sich vom Postmaterialismus in einen zweckorientierten Materialismus. Die Mitte der Gesellschaft ist postideologisch. Sie will keine Programme mehr lesen, die am Ende ohnehin nur vor den Wahlen Bedeutung haben. Und sie will vor allem eine Partei, die sich mit den Mächtigen anlegt. Hinzu kommt, dass viele der Menschen aus der Mittelschicht das Gefühl haben, ihre einzige Funktion sei es, den Parteien als Rangiermasse zu dienen, die man mit kommunikativen Überzeugungstechniken beliebig von dort nach da schieben kann. Und zudem herrscht das Gefühl vor, dass gegen sie ein Klassenkampf von oben geführt wird. Themen wie Teuerung, der Krieg in der Ukraine, Sicherheit, Kampf gegen die Kriminalität, Regelung der Zuwanderung etc. werden kleingeredet und nicht offensiv angegangen. Klima und identitätspolitischen Fragen betreffen sie nicht. Steigende Mieten und immer weniger leistbare Energiekosten sind ihnen wichtiger, werden aber zu wenig durch wirkungsvolle Maßnahmen bekämpft.
Am Ende wird Andreas Babler abgeräumt dastehen wie ein trockener Christbaum.
Von Herbert Kickl kann man nicht gerade behaupten, dass er ein „Favorit der Medien“ wäre. Trotz allem aber schneidet er auch in der Kanzlerfrage für einen freiheitlichen Parteichef hervorragend ab. Haben die Medien, die dies gewiss nicht fördern wollen, in dieser Hinsicht versagt oder woran kann das liegen?
Heinzlmaier: Primär haben die Gegner von Herbert Kickl versagt, die trotz massiver Unterstützung durch die Medien dem FPÖ-Chef nicht gewachsen sind. Hätte Kickl dieselbe Unterstützung der Medien wie Nehammer, Kogler oder Babler, würde er bei den nächsten Wahlen die absolute Mehrheit einfahren. Der Erfolg von Kickl ist die Folge degenerierte Traditionsparteien, denen das Wohl ihrer Funktionäre wichtiger ist als das der Bevölkerung. Adorno würde sagen, die Parteien der Mitte sind zu Beutegemeinschaften degenerierter, sogenannte Rackets, deren Mitgliedern es nur um den persönlichen Vorteil geht.
Bemerkenswert ist die Stimmung bei den Jungwählern. In diesem traditionell den Grünen zugeordneten Segment wurden auch die Freiheitlichen immer beliebter. Was macht die FPÖ gerade in dieser Gruppe so attraktiv?
Heinzlmaier: Zuerst muss gesagt werden, dass die FPÖ vor allem in der Mitte der Gesellschaft und in den unteren Sozialschichten punktet. Die Bildungsschichten lehnen die FPÖ kategorisch ab. Aus deren Sicht ist Kickl die Emanation des Bösen. Die Gründe seines Erfolges liegen in seinem mutig wirkenden Auftritt. Er bleibt im Angriffsmodus, auch wenn er in den Gegenwind kommt. Das wirkt manchmal sogar heldenhaft. Mit seiner Offenheit und Direktheit scheint er etwas zu riskieren. Er unterscheidet sich jedenfalls klar von den ängstlichen Typen, die auf das Modell „Aufstieg durch Anpassung“ setzen. Die Marke Nehammer oder auch die Marke Kogler ist von PR-Beratern „safe“ gemacht. Alles was „safe“ ist, ist langweilig und uninteressant. Auch in Deutschland sieht man dieses Phänomen. Höcke ist interessanter als Baerbock oder gar Scholz. Höcke ist eine spannende Figur, die ein Geheimnis umgibt. Er macht den Anschein, als gebe es noch vieles in ihm, das nicht bekannt ist. Scholz/Baerbock/Merz sind transparent und deshalb ausrechenbar. Es umgibt sie nicht die Aura des Geheimnisvollen. Berechenbare und durchschaubare Typen haben keinen Unterhaltungswert. Deshalb werden sie nicht gewählt.
Mit SPD, CDU und ihren Pendants in Österreich ist kein Staat mehr zu machen.
Politisches Verhalten wird in jungen Jahren sehr oft durch das Elternhaus geformt. Bedeutet nun die Zustimmung zu rechten Positionen im Elternbereich auch ein Umschwenken der Jugend in dieser Hinsicht?
Heinzlmaier: Hier gibt es deutliche Unterschiede in den Subgruppen. Die Jugend des oberen Gesellschaftsdrittels ist individualistisch und egozentrisch. Sie wollen sich um jeden Preis von den Eltern abgrenzen, anders sein, unabhängig sein. Ihre Kommunikation gegenüber den „Baby Boomern“ ist herablassend und überheblich. Sie wissen alles besser. Beratung und Begleitung durch das Alter weisen sie zurück. In der Mitte der Gesellschaft ist die Bindung der Kinder an ihre Eltern so stark wie lange nicht mehr. In der Literatur spricht man sogar von Kampfgemeinschaften, in denen sich die Generationen zusammenschließen, um den sozialen Abstieg zu vermeiden. Die Eltern tun alles, damit ihre Kinder nicht im Plattenbau landen. Das machen auch die Eltern der Reichen, aber sie müssen es diskret machen, so dass es niemand bemerkt. Ihre Kinder können dann weiter so tun, als wären sie für ihren Erfolg selbst verantwortlich.
Gerade in der Schule wird zumindest im städtischen Bereich durch eine ziemlich eindeutig ausgerichtete Lehrerschaft eine Bildung vermittelt, die alles andere als rechts ausgerichtet ist. Kann es sein, dass die Jugend, die ja in diesem Alter sehr gerne zum Widerspruch neigt, auch in diesem Fall sich zu einem „Schwenk“ in der Geisteshaltung bewegt?
Heinzlmaier: Wir sehen in unseren Daten, dass die Menschen generell sensibler für Fremdbestimmung und die Kultur des Paternalismus geworden sind. Zudem haben die Schüler heute eine andere Mentalität.
Sie fordern die Lehrer nicht mehr heraus wie die 1968er, sondern verhalten sich ruhig, denken sich ihren Teil und machen ihr Ding so weiter, wie sie es geplant haben. Sie spielen genau jene Rolle, mit der sie die wenigsten Schwierigkeiten haben. Die Leute sind pragmatisch, der Idealismus ihrer links-grünen Lehrer nervt sie bloß. Aber sie geben das nicht zu erkennen.
Kommen wir noch einmal auf die Spitzenkandidaten zu sprechen. Welche Relevanz haben Kickl, Nehammer & Co, und vor allem der neugewählte Andreas Babler für die jungen Leute?
Heinzlmaier: Kickl ist der Hero der jungen Mittel- und Unterschichten, der „normalen“ Menschen, die Altes bewahren wollen und Innovationen nur in verkraftbarer Dosis befürworten. Kickls Anhänger sind risikoavers, konservativ, globalisierungskritisch und auf kulturelle Schließung ausgerichtet. Nehammer ist ein Neutrum. Er wird von den Stammwählern der ÖVP gewählt, denen ihre Gesinnung keine andere Wahl lässt. Andreas Babler ist der Gewinner einer verunglückten Wahl, der denen, die ihn gemacht haben, von Tag zu Tag immer peinlicher wird. Gewählt wird er vor allem von jungen prinzipentreuen Traditionssozialisten. Seine Klassenkampfparolen werden den Mann scheitern lassen wie einst Corbyn in Großbritannien gescheitert ist.
Gerade im linken Parteienspektrum scheint sich eine Auffächerung in mehrere Parteien zu ergeben. Neben der SPÖ und den Grünen muss man nun wohl auch mit den erstarkten Kommunisten und vor allem mit Marco Pogo und seiner Bierpartei rechnen. Inwieweit ist mit diesen Gruppierungen bei künftigen Wahlen zu rechnen.
Heinzlmaier: Also die Grünen würde ich nicht dem linken Spektrum zuordnen. Sie sind die Partei eines neuen woken Puritanismus, die erscheint, als würde sie stärker unter Schuld- und Sühnedruck stehen als eine Gemeinschaft pietistischer Lutheraner. Die SPÖ wird unter Babler nicht wirklich nach links rücken, weil die Granden von Partei und Gewerkschaft den Mann „einfangen“ werden. Dem Marxismus hat er ja schon abgeschworen, demnächst wird er für den Grenzschutz eintreten und den Widerstand gegen den Lobautunnel aufgeben. Der Mann wird am Ende abgeräumt wie ein trockener Christbaum dastehen. Also wird auch die SPÖ in der Stammwählerschaft stecken bleiben. Die KPÖ wird, geht es so weiter, sicher in den Nationalrat einziehen, Pogo auch, wenn es ihm gelingt, eine Wahlbewegung zu organisieren. Die Linke scheint dabei zu sein sich aufzusplittern, untypisch für Österreich, wo die Sozialdemokratie immer eine recht hohe Integrationskraft hatte und fast alles aufgesogen hat, was links war.
Linien- oder in diesem Fall Parteientreue auf ideologischen Grundlagen ist wohl ein Auslaufmodell, das gerade noch von der älteren Wählerschicht wahrgenommen wird. Inwieweit sind Jungwähler noch mit Ideologie oder Grundsätzen motivier- und mobilisierbar?
Heinzlmaier: Bildungsschichten sind eher noch ideologisch, alle anderen wählen pragmatisch. Persönlicher Nutzen muss herausschauen, und die Lifestyle-Signale müssen stimmen. Es geht wahrscheinlich bei der Jugend um ästhetische Kriterien. Sie kaufen ja auch die Produkte eher aufgrund der Verpackung als wegen des Inhalts.
Die Rechtsbewegung in der Politik ist nicht nur in Österreich feststellbar. In Italien z.B.: ist mit Meloni eine Rechtspolitikerin an der Spitze, die AfD in Deutschland erlebt auch Höhenflüge und kann nun bereits trotz der knallharten Ausgrenzung in den Medien und durch andere Parteien bereits regionale Regierungsverantwortung übernehmen. Inwieweit kann man hier schon von einem europäischen Trend sprechen und inwieweit sind traditionelle Parteien in Gefahr, von der Bühne gestoßen zu werden?
Heinzlmaier: Das ist ein europäischer Trend! Italien, Frankreich, Deutschland, die nördlichen Länder, Ungarn, Österreich etc. Aus meiner Sicht geht alles auf das Versagen und die Selbstverkapselung der traditionellen Politik zurück. Die alten Parteien sind abgelebt. Nur Neugründungen, wie Macron in Frankreich gezeigt hat, können das Blatt wenden. Mit SPD, CDU und ihre Pendants in Österreich ist kein Staat mehr zu machen. Ihnen gehen die Inhalte, die Energie und der Wille zur Macht aus. Sie haben sich aufgelöst in „Rackets“, die für persönliche Vorteile kämpfen. Die Menschen sind diesen Parteien egal und diese fühlen das. Wie in Frankreich wird in diesem politischen System mittelfristig kein Stein auf dem anderen bleiben.
Das Gespräch führte Walter Tributsch