Gespräch mit Frau Generaldirektorin Dr. Mária Schmidt, Leiterin des Museums „Terror Háza“ (dt. Haus des Terrors) in Budapest
Sehr geehrte Frau Doktor Schmidt: Seit wann gibt es das Terrorhaus, in welche Bereiche ist es gegliedert, wie viele Besucher kommen jährlich und seit wann leiten Sie das Museum?
Maria Schmidt: Das Museum öffnete seine Toren am 24. Jänner im Jahre 2002. Unglaublich, doch es sind seitdem fast 20 Jahre vergangen! In diesen beinah zwei Jahrzehnten hatten wir bislang knapp 8 Millionen Besucher, und das Museum Haus des Terrors wurde rasch zu den bekanntesten Institutionen Ungarns. Doch auch weit über die Landesgrenzen hinaus erreichten wir schnell Anerkennung, denn nach dem Zerfall des Kommunismus wurde unsere eigene Vergangenheit zum ersten Mal nicht „von Außen” interpretiert, sondern auf Basis eigener historischen Erfahrungen und mit einer überwältigenden Vielzahl von Zeugenaussagen in Form von oral history-Interviews. Ungarn besitzt nämlich den mittel- und osteuropäischen Völkern gleich die sogenannte doppelte historische Erfahrung zweier menschenfeindlicher Regime. Dies ermöglicht es uns, beide auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin zu analysieren, und gerade das haben wir getan. Wie gesagt, die Geschichte, die unsere Dauerausstellung erzählt, führt in die dunkle Epoche zweier totalitärer Regime, beide – die der ungarischen Pfeilkreuzer, also Nationalsozialisten ungarischer Prägung, und die der Kommunisten – wählten kennzeichnend das gleiche Gebäude als Hauptquartier und brachten unendlich viel Leid über unsere Landsleute. Als Chefkuratorin leitete ich den Bau sowie die Zusammenstellung der Ausstellung selbst und bin seit der Gründung Generaldirektorin des Hauses.
Deckt das Terrorhaus – neben den Schandtaten der Kommunisten und der Pfeilkreuzler – auch die Untaten des Kun-Regimes und den sogenannten Weißen Terror in der Anfangszeit von Miklós Horthy ab?
Schmidt: Leitendes Motiv unserer Ausstellung in der Andrássy Straße 60 ist die Geschichte des Gebäudes selbst. Wir nehmen den historischen Leitfaden am 19. März 1944 auf (Besetzung Ungarns durch Nazi-Deutschland) und führen ihn bis zur glorreichen antikommunistischen Revolution und den Freiheitskampf von 1956, denn nach 1956 verlor das Haus seine primäre Funktion als Untersuchungshaftstelle der kommunistischen Staatspolizei. Natürlich zeigen wir in unseren Räumen Bilder und Filme aus dem wundervollen Jahr 1989 oder aus 1991, als die Sowjetunion ihre Truppen aus Ungarn abzog und meine Heimat endlich ihre volle Souveränität wiedererlangte. Der Erste Weltkrieg samt seinen tragischen Folgen gehört nicht zu unserem hiesigen Thema.
Wird Ihre Einrichtung vom Staat unterstützt? Wenn ja, in welcher Weise?
Schmidt: Das ungarische Parlament gründete 1999 eine gemeinnützige Stiftung, dieser gehört auch das Museum Haus des Terrors an. Finanziert wird diese Stiftung zum größten Teil durch öffentliche Mittel, also durch den Staat, aber auch private Unternehmen beteiligen sich regelmäßig an verschiedenen Projekten, und einige unserer Programme fanden Unterstützung durch Fördermittel der Europäischen Union.
Sehen Sie die Gefahr eines autoritären oder gar diktatorischen Kurses unter Viktor Orbán? Wäre die derzeitige Opposition grundsätzlich überhaupt in der Lage, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen?
Schmidt: Wir leben leider im Zeitalter eines ideologisch fundierten Kulturkrieges. Gerade unsere osteuropäischen Erfahrungen in Bezug auf die Funktion totalitärer Machtstrukturen gibt uns das Wissen, dass die Diskreditierung des jeweiligen politischen Gegners als „untragbar“, „autoritär“, „undemokratisch“ oder „diktatorisch“ zu den Werkzeugen einer nach Absolutheit strebenden Gedankenwelt gehört. Mit anderen Worten, wer den einstigen Freiheitskämpfer vom Format eines Viktor Orbáns als Diktator beschreibt und ohne jegliche Kenntnisse der ungarischen Realität über einen autoritären Staat spricht, verrät seine totalitären Absichten. Unsere Opposition ist in einem äußerst schlechten Zustand, sie sucht mentale Unterstützung bei politischen und nicht-politischen Akteuren, die entweder den Kommunisten ähnlich international und überregional agieren oder wiederum den ehemaligen Kommunisten ähnlich mit dem absoluten Wahrheitsanspruch auftreten. Nichts ist in einer Welt von demokratischen und pluralen Werten weiter entfernt! Wer den Ungarn oder den anderen Völkern Osteuropas das Recht auf Selbstbestimmung abstreitet, füttert leider die argen Geister des 20. Jahrhunderts.
Wie schätzen Sie die Lage Ungarns seit 2010 ein? Ist das Leben besser oder schlechter geworden?
Schmidt: Es besteht in meinen Augen kein Zweifel, dass die letzten 10 Jahre eine Erfolgsgeschichte unserer Nation darstellen. Mehr Selbstbestimmung, mehr Stabilität, mehr die Seele nährende Tradition. Natürlich ist alles weit entfernt von der Vollkommenheit, doch auch dieses marxistische Erbe einer „vollkommenen Welt auf Erden” müssen wir hinter uns lassen. Demokratie basiert immer auf dem Wechselspiel zwischen Aktion und Reaktion. Als Reaktion auf die linksliberale Misswirtschaft, auf die Unberechenbarkeit des Alltages entschied sich der ungarische Wähler seit 2010 dauerhaft für eine konservative Richtung und gab den Orbán-Regierungen bei jeder Wahl eine beispiellose Zwei-Drittel-Mehrheit. Sollte diese Wählerschaft eines Tages nicht mehr zufrieden sein, wird sie die entsprechende Entscheidung treffen. So funktioniert das.
Wie beurteilen Sie die Flüchtlings- und die EU-Politik der gegenwärtigen Regierung?
Schmidt: Schon die Tatsache, dass Ungarns gegenwärtige Flüchtlings- und EU-Politik in den Mittelpunkt der internationalen Öffentlichkeit gelangte, ist ein wichtiges, viel verratendes Zeichen! In Ungarn sagt man „nicht der Schwanz wedelt den Hund …“ und doch wird dieses relativ kleine Land, das seit einem guten Jahrtausend regelmäßig um seine Existenz kämpfte, in den Mainstream-Medien schwarzgeredet und als Stifter einer erzkonservativen Haltung defi niert. Bitte lernen Sie doch von uns! Wer so vieles überlebt hat, so oft von Null anfangen musste, weiß genau, wie man seine Integrität bewahren kann. Um ehrlich zu sein, die Gründungsväter der Europäischen Union waren weise Leute, sie wussten, dass das Christentum viel mehr ist als eine Religion, dass es eine Kultur darstellt und dass die Vielfalt dieses alten Kontinents zu den Schätzen der gesamten Menschheit gehört. Europa ist kein Schmelztiegel der Völker, vielmehr ein Brutkasten neuer Identitäten! Zwar dachten wir lange, dass die Vereinigten Staaten von Amerika als Schmelztiegel der Völker zu verstehen sind, doch auch dort scheint sich der Wind zu drehen. Günter Grass zitierend, es ist halt „ein weites Feld”. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich unsere osteuropäischen Region weitgehend emanzipiert, sie duldet nicht mehr eine underdog-Konstellation und hat aus dem 20. Jahrhundert genug gelernt, um zu wissen, dass überregionale Machtzentren mit Streben nach Absolutheit bei der Deutung der zeitgenössischen Ereignisse und geleitet von einer universellen Ideologie nur zu unerträglichen Leidensgeschichten führen können. Danke, da machen wir nicht mit, dieses Experiment haben wir schon längst hinter uns.
Das Gespräch führte Erich Körner-Lakatos
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