Autor: U.K.
Warum wählt Frau Lagarde die gefährliche Option des Nichtstuns?
Die Inflationsspirale dreht immer schneller. Im März 6,8% in Österreich, 7,3% in Deutschland, 7,5% im Durchschnitt der Euro-Zone, in Spanien, der viertgrößten Volkswirtschaft der EU, nun sogar schon 9,8 Prozent. Fast 10% in der Spitze in der Eurozone, das ist mehr als nur ein Alarmsignal.
Doch die Europäische Zentralbank EZB übt sich in Nichtstun. Auf ihrer Ratssitzung am gestrigen Donnerstag beschloss die EZB wiederum keine konkreten Maßnahmen gegen die ausufernde Teuerung. Lediglich vage wurde angekündigt, im Juni das Anleiheankaufprogramm eventuell zurückzufahren und danach „irgendwann“ vielleicht die Zinsen zu erhöhen, so EZB-Chefin Lagarde.
Die EZB sitzt nun in einer selbstverschuldeten bösen Zwickmühle, bei deren Entstehen allerdings auch die Politiker in den europäischen Hauptstädten kräftig mitgeholfen haben. Denn zuerst hatte die EZB mit ihrer extremen Niedrigzinspolitik zwecks Euro-Rettung und dem Fluten der Märkte mit billigem Geld mittels ihrer diversen Anleiheankaufprogramme über den Zeitraum der letzten 10 Jahre den Nährboden für eine inflationäre Geldentwertung gelegt.
Bis zur Corona-Krise ging das relativ gut, weil gleichzeitig die Produktivität und die globale Wirtschaftsleistung stieg. Dafür konnte zwar weder die EZB noch der österreichische Finanzminister etwas. Denn der hohe internationale Leistungszuwachs kompensierte die Geldschwemme und hielt dadurch den Preisanstieg glücklicherweise in Grenzen.
Dann aber kam die Rezession 2020/21 durch die staatlich befohlenen Corona-Maßnahmen. Die EZB pumpte noch mehr Geld in ein monetär ohnehin schon überhitztes Euro-System. Das brachte den Topf zum Überkochen und die Inflation ans Rennen; die Gründe und Mechanismen dahinter haben wir hier bei ZurZeit seit letztem Sommer in zahllosen Artikeln ausführlich beleuchtet und erklärt. Und nun steht der nächste Einbruch, dank der Russland-Sanktionen, für Mitteleuropa unmittelbar vor der Tür.
Jetzt hat die EZB nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Dreht sie an der Zinsschraube, könnte sie die Inflation auf absehbare Zeit wieder einfangen, würde aber die bevorstehende neue Rezession vermutlich verschärfen. Tut sie nichts, wird die Inflation auf hohem Niveau bleiben oder sogar weiter ansteigen, eine Rezession aber trotzdem kommen, wenn auch wahrscheinlich etwas weniger heftig.
Dann aber hätten wir den Albtraum aller Nationalökonomen, die gefürchtete Stagflation: steigende Preise bei gleichzeitig wirtschaftlichem Abschwung. Hier wieder rauszukommen, ist extrem schwierig und schmerzhaft. Dies zeigt die Erfahrung des Inflationsjahrzehnts der 1970er-Jahre, in deren zweiter Hälfte genau diese Situation herrschte.
Nun fragen sich Marktteilnehmer: Warum hat Frau Lagarde die zweite, weit gefährlichere Option des Nichtstuns gewählt? Und das, obwohl Deutschland und die Niederlande nachdrücklich in der EZB-Ratssitzung für konkrete Zinsschritte plädiert hatten und die beiden anderen westlichen Leitbanken, die amerikanische Fed und die Bank of England, schon die Zinsen erhöht haben und dies auch weiterhin planen.
Dafür gibt es nur eine plausible Erklärung. Offenbar möchte Frau Lagarde, als gelernte französische Politikerin und studierte Juristin (Sozial- und Arbeitsrecht), den hoch verschuldeten Südländern der Eurozone, allen voran Italien, Spanien, aber auch Frankreich, helfen. Und dies um jeden Preis. Denn vor allem für Italien würde selbst eine mäßige Zinserhöhung die Schuldenlast untragbar machen. Unvorstellbare 2,7 Billionen(!) Euro Staatsschulden, weit mehr als das wirtschaftlich doppelt so große Deutschland, hat Italien per dato angehäuft. Damit wäre die nächste Zerreissprobe für den Euro vorprogrammiert.
Eine hohe Inflation hilft zudem den Schuldnerländern, denn ihre Schulden werden durch die Inflation quasi „automatisch“ getilgt. Schlecht ist dies nur für Sparer, Arbeitnehmer und Pensionisten, deren Renten, Ersparnisse und Lohneinkünfte immer weniger wert werden.
Ob Lagardes Vabanquespiel Erfolg haben wird, ist aber durchaus zweifelhaft. Denn die Zinssituation am Euro-Anleihemarkt hat sich grundlegend gedreht, und entgleitet offenbar definitiv der Kontrolle der Zentralbank. Die Umlaufrenditen für Staatsanleihen der Eurozone, also der Zins, den der Finanzminister effektiv für seine Anleihen bezahlen muss und die entscheidende ökonomische Maßzahl, wenn es um den Preis des Schuldenmachens geht, sind seit Anfang des Jahres unaufhaltsam am Steigen. Egal, was die EZB sagt oder tut. Auch der gestrige Verzicht auf Zinsverschärfung ist an den Anleihemärkten wirkungslos verpufft. Selbst Österreich, mit der zweithöchsten Bonitätsnote „AA+“ in der Eurozone bewertet, muß Stand heute rund 1,35% für seine 10-jährigen Obligationen bezahlen, praktisch genausoviel wie vor der EZB-Sitzung. Ende letzten Jahres konnte man sich noch über 0,25% „Gewinn“ pro Schuldenmilliarde freuen, dank der Negativverzinsung.
Einzig am Devisenmarkt war eine deutliche Reaktion auf das EZB-Nichtstun merkbar. Der Euro verlor gegenüber dem US-Dollar binnen Stunden um fast 1 Prozent an Wert; in der Relation zweier Großwährungen ein sehr signifikanter Verlust. Innert der letzten 3 Monate ist der Dollar zum Euro um rund 6% gestiegen. Angesichts der Tatsache, dass Rohstoffe und Seefrachttransporte vorwiegend in Dollar abgerechnet werden, ein weiterer Inflationstreiber.
1 comment
[…] Beitrag erschien zuerst bei ZUR ZEIT, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN […]
Comments are closed.