Malte Oppermann: Stundenbuch des Augenblicks

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Autor: A.L. Bild: Karolinger Lizenz: –


„Der Augenblick“ heißt es, das kleine, dünne Büchlein, das uns der junge sächsische Philosoph Malte Oppermann vorgelegt hat und das so manchen dicken Wälzer in den Schatten stellt. „Unverschämt“ müsste man sie fast nennen, die Leichtigkeit und Präzision, mit der er die großen Fragen des Seins streift, mit der Oppermann mithilfe der Denker der Vorzeit von Aristoteles, Platon und Leibnitz über Kirgegaard, Antoine Laurent de Lavoisier, Pawel Florenski bis hin zu Gomez Davila, Ernst Jünger und Robert Spaemann einen schwerelosen Spaziergang durch die Sphären des Augenblicks und der Ewigkeit wagt.

Der Augenblick ist für Oppermann eine einmalige „Metapher für die Fülle der unmittelbaren Gegenwart“. Diese „kontinuierliche Individualität der Wirklichkeit“ wird jedoch meist von der „Schablonen des Verstandes“ überdeckt. Wir kennen es nur zu gut, wenn sich etwa schmerzliche Erinnerungen in ihrem Nachklang vergolden. Doch auch diese Vergoldung ist nicht bloß Reminiszenz, sondern eine neue unmittelbarere Einmaligkeit. Es gibt keine Wiederholungen – der Augenblick hat „keine bestimmbare Dauer, er misst auch nicht die Zeit“, er ist vielmehr ein unzählbares, „ununterbrochenes Aufhören von Sein“: „Die Bewegung geht von Augenblick zu Augenblick dahin und läuft aus sich aus.“ Darin trifft er sich mit Ernst Jünger, für den die Zeit „nichts anderes als eine Abwesenheit von Sein“ ist: „Die verglühende Sonne beleuchtet eine radikal sterbliche Welt verschwindender Individualitäten – eine stürzende Schöpfung“.

Die begrenzte Sprache und der begrenzte Verstand reproduzieren eine „Monotonie der Objekte“ – starre Erinnerungsschablonen der schwindenden Fülle unzähliger Einmaligkeiten: „Aus Wahrnehmungen werden Erinnerungen, aus Erinnerung bildet sich Erfahrung, und Erfahrung findet schließlich ihre allgemeine Formulierung im Begriff.“ Einzig die Sinne erleuchten den Augenblick „wie Tropfen im Lichte eines Blitzes“.

Geschichte ist daher ein „lückenhafter Bericht“, der Macht über unsere Herzen gewinnt, weil er in die „Symphonie der Gegenwart“ einmündet. Denn „wahrscheinlich ist es mit jedem Moment eines Lebens wie mit dem Ton in einer Melodie, dessen Bedeutungs- und Wirkungsfülle von den Tönen abhängt, die ihm vorausgegangen sind. (…) Für sich genommen, ist jedes Wort wie ein geschlossener, bemalter Fächer. Doch wird es im Verlauf einer Rede an die richtige Stelle gesetzt, öffnet sich das verborgene Gemälde. – Ist es nicht mit jedem Lebensaugenblick eines Wesens ebenso? Jeder einzelne öffnet den Fächer seiner Vollendung etwas mehr oder etwas weniger.“

Hier wird nicht zitiert, auch nicht reflektiert – hier wird destilliert. In kristallener Klarheit treten uns Gedanken entgegen, die jeden Ballast, jeden Schnörkel abgelegt haben. Oppermann ist kein Autor, der auf Kosten seiner Leser denkt, keiner, der jede historische und gedankliche Verbindung bis ins Detail literarisch ausästelt, keiner, der während des Denkens schreibt oder gar während des Schreibens denkt. Er geht keinen Weg mit dem Leser, er offenbart ihm ein Ziel. Wobei – ist nicht der Weg das Ziel, wenn doch jeder Augenblick eine Fülle der Unerschöpflichkeit ist, von der jeder nur die Erscheinung wahrnimmt, die sein Wollen wiederspiegelt?

Malte Oppermann: „Der Augenblick“ 40 Seiten, Hardcover; ISBN 978 3 85418 194 1; EUR 14,90–