„Missachtung des Wählerwillens einiger Mitgliedstaaten“

by John Tuscha

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EU-Abg. Ernö Schaller-Baross (Fidesz) über Kritik an der Migrationspolitik der EU und über den ungarischen Weg

Herr Schaller-Baross, die EU-Innenminister haben eine Reform des Asylwesens beschlossen. Was halten Sie von dieser Reform?Ernö Schaller-Baross: Ich würde die Entscheidung aus ungarischer Sicht keineswegs als Reform betrachten, da Reformen idealer- weise eine Umgestal- tung aber auch Verbes- serung bestehender Verhältnisse bedeuten. Die jetzt beschlossenen Maßnahmen sind dem- gegenüber eine sanktionierte Wiederbelebung des berüchtigten Quotenmechanismus, was eine aufgezwungene Verteilung der in Europa kommenden Migranten bedeuten würde. Das ist aus ungarischer Sicht eine erneute Missachtung des Wählerwillens und der Selbstbestimmung bestimmter Mitgliedstaaten der europäischen Union, die es beschlossen haben, kein Einwanderungsland zu werden. Wir stehen noch immer dazu, dass das Recht, entscheiden zu dürfen, mit wem man zusammenleben will, ausschließlich den Mitgliedstaaten zusteht. Jedwede Einflussnahme darauf oder Beeinträchtigung dieses Rechts ist als Souveränitätsmissachtung zu betrachten.

Hat Ungarn noch Möglichkeiten, vielleicht gemeinsam mit Polen, diese noch zu stoppen? Und wenn ja, welche Möglichkeiten bestehen?
Schaller-Baross: Abgesehen davon, dass die Innenminister den erwähnten Beschluss gefasst haben, wird darüber noch eine Abstimmung im Europäischen Rat nötig sein. Die Einwanderung und alle ver- wandten Regelungsversuche müssen einen Konsens hinter sich haben, wozu auch die Staats- und Regierungschefs ihre Zustimmung erteilt haben. Darüber hinaus wird es im ungarischen Grundgesetz festgehalten, dass nach Ungarn keine fremde Bevölkerung angesiedelt werden darf. Wenn die Europäische Union Rechtsvorschriften erlässt, die dem ungarischen Grundgesetz zuwiderlaufen, entsteht ein Konflikt zwischen der nationalen Verfassung und dem EU-Recht, was für niemanden vorteilhaft wird. Darüber hinaus können wir die Entscheidung insbesondere nicht akzeptieren, weil es 2016 in Ungarn über die Einwanderung und Verteilungsquote ein Referendum gab, wobei 98 % derjenigen, die eine gültige Stimme abgegeben haben, gegen diese Vorgehensweise gestimmt haben. Das bedeutet auch, dass wir den Wähler- willen respektieren müssen und diese Meinung auf allen Foren zu vertreten haben, und das werden wir auch weiterhin tun.

Ein Asylsystem, das die Aufnahme von Migranten erzwingt, hat nichts mit Solidarität zu tun.

Wie sollte das Asylwesen der EU idealerweise gestaltet sein?
Schaller-Baross: Dabei sollten die nationale Selbstbestimmung und der Schutz der Außengrenzen als Faustregel gelten. Die ungarische Regierung beschloss Grenzschutzmaßnahmen nach dem Exodus-Jahr 2015, um die eigene Bevölkerung und damit die europäische, christliche Kultur verteidigen zu können. Dadurch werden die südlichen Grenzen Europas und des Schengen-Raums fast ausschließlich mit inländischen Mitteln geschützt, obwohl der Migrationsdruck jedes Jahr zunimmt. Die Zahl der illegalen Grenzübertritte in Ungarn lag im Jahr 2022 bei 271.000, verglichen mit 123.000 im Jahr 2021 und 46.000 im Jahr 2020. Um den weiteren Anstieg zu verhindern, wurde auch die Zahl der Polizeikräfte erhöht.
Diese Bestrebungen wären umsonst gewesen, wenn jetzt eine un- gewünschte Zwangsquote kommen würde. Man sollte sich auch an die jüngste Initiative, die alt-neue Idee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur freiwilligen Solidaritätsverteilung im vergangenen Jahr erinnern, die kläglich scheiterte. Nachdem von Präsident Macron vorgeschlagenen Programm hätten zehntausend Menschen aus den von der Union als Frontländer anerkannten Mitgliedstaaten, wie Zypern, Griechenland, Malta, Italien und Spanien, auf freiwilliger Basis untereinander aufgeteilt werden sollen.
Letztendlich nahmen die teilnehmenden Länder im Laufe des einjährigen Bestehens des Programms nur einen Bruchteil der versprochenen zehntausend Migranten auf, also kaum tausend Menschen. Wo kann man von europäischer Einheit oder Konsens reden, wenn die EU für 27 Mitgliedsstaatenein System zur Verteilung von Migranten verpflichtend einführen will, dass nur 13 Länder freiwillig übernommen und nur sechs von ihnen erfüllt haben? Ein Asylsystem, das die Aufnahme von Migranten erzwingt und bei Ablehnung hohe Strafen verhängt, hat nichts mit Solidarität zu tun.

Welchen Unterschied macht es, ob Asylwerber oder Flüchtlinge aus einem europäischen humanitären Land wie der Ukraine oder vorwiegend aus islamischen Ländern wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan kommen, wie es beispielsweise bei uns in Österreich der Fall ist?
Schaller-Baross: An dieser Stelle müssen wir sagen, dass der tragende Punkt bei der Beurteilung der Migration nicht unbedingt das Herkunftsland der Person ist, sondern viel eher die Motivation. In einer kriegerischen Auseinandersetzung, wie in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, steht Ungarn an der Seite der souveränen Ukraine und unterstützt ihre territoriale Integrität. Wir müssen in dieser Situati- on auch unterstreichen, dass im Falle der Ukraine Ungarn das erste sichere Drittland ist. Unser Land verurteilt diesen Krieg auf das Schärfste, und seit dem Ausbruch des Krieges haben wir unsere Position beibehalten, dass wir uns aus dem Krieg her- aushalten müssen. Zugleich haben wir mit der größten humanitären Aktion der Geschichte des Landes begonnen. Dadurch helfen wir in den bittersten Stunden der Not allen, die es benötigen. Dagegen kommen die meisten Menschen, die an den südlichen Grenzen unseres Landes ankommen, aus anderen Kulturen, die oft nicht bereit sind, sich der Integrationspolitik der EU-Mitgliedstaaten anzupassen. Sie überqueren auch mehrere sichere Länder, und haben eine grundlegende wirtschaftliche Motivation. Diese sind zwei unterschiedliche Seiten einer Medaille.

Besteht das Problem mit dem EU-Asylwe- sen auch darin, dass die EU die Themen Asyl und Einwanderung miteinander vermischt werden?

Schaller-Baross: Die heutige Situation zeigt plakativ, dass es hier um zwei grund- legend unterschiedliche Erscheinungen geht. Wir müssen Asyl und illegale Einwanderung scharf trennen. Das eine ergibt sich aus einer Notlage und lebensbedrohlichen Umständen, und ist rechtlich auch in internationalen Verträgen verankert, das andere ist ein reiner Rechtsbruch, wobei staatliche Regelungen missachtet werden. Heute unterstützt Ungarn alle, die aus dem ukrainischen Kriegs- gebiet fliehen müssen, aber wird weiterhin die Grenzen vor denen geschlossen halten, die diese illegal überqueren wollen. Diese beiden Dinge sind wie Wasser und Feuer, was die europäische linksliberale Elite miteinander zu vereinen versucht. Das ist eine gefährliche Tendenz, die die Situation der wirklich Notleidenden geringschätzt.

Die EU-Kommission hat gegen Budapest ein Verfahren wegen angeblicher Verletzung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet. Geht es Brüssel vielleicht darum, Ungarn und Ministerpräsident Orbán für ihre Asyl- und Migrationspolitik zu „bestrafen“?
Schaller-Baross: Wir haben immer unsere nationale Souveränität geachtet und stehen auch dazu. Deswegen folgt die ungarische Regierung einer bürgerlich-konservativen Politik, basierend auf einer christlichen moralischen Überzeugung, die den Menschen Ungarn eigen ist. Das steht aber im Kontrast zum europäischen Mainstream, weshalb unser Land oft als der „schwarze Peter“ in der EU dargestellt und den unterschiedlichsten Heimsuchungen ausgesetzt wird. Die Wahrheit ist aber, wenn die EU ein Problem mit Ungarn hat, hat sie ein Problem mit dem eigenen Erbe. Wir wissen, dass es den EU-Institutionen heute vielleicht etwas wehtut, in den Spiegel zu schauen, aber wir wollen Europa daran erinnern, dass es auch einen anderen, christlichen, europäischen Weg gibt, der auf Menschenverstand, Heimat und Glaube beruht. Europa ist eine Gemeinschaft starker Nationalstaaten und kein föderativer Bundesstaat.

Es fällt auf, dass die EU nur gegen Länder mit aller Härte vorgeht, die von Konservativen regiert werden wie eben Ungarn und Polen, während von Linken regierte Länder nicht viel zu befürchten haben. Warum ist das so?
Schaller-Baross: Wir könnten mit dem alten Sprichwort sagen: Jeder ist sich selbst der Nächste. In der Politik Europas ist das ein Ergebnis der tendenziell linksorientierten Politikgestaltung, die in Brüssel auf Hochtouren läuft. Die meisten politischen Akteure sind bestrebt, die Befugnisse der EU auszuweiten und dafür ist oft kein Preis zu hoch. Um einer schleichenden Kompetenzerweiterung nachzukommen, inszeniert sich die EU als supranationale Institution und verlässt ihre intergouvernementalen Grundzüge. Das Ergebnis ist linksorientiert. Dieser Kompetenzübergriff mündet in einer tendenziösen Beurteilung der selbst denkenden EU-Länder, die den Verträgen gemäß übrigens alle gleich sind und deren Meinungen respektiert werden müssen. Diese rechtgegebene Wahrheit müsste in Europa wiederentdeckt werden.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.