“Politischer Islam”: Lösungskonzept oder Trugbild?

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Islam: vom Randthema zur politischen Agenda

Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Beschäftigung mit dem Islam ausschließlich ein Thema für Orientalisten und vergleichende Religionswissenschafter. Zwar war in Insider-Kreisen bekannt, dass sich Österreich rühmt, seit dem Beschluss des Islamgesetzes 1912 als erstes westliches Land der Welt eine Grundlage für die Gestaltung der Rechtsverhältnisse islamischer Glaubensgemeinschaften zu besitzen. Doch erst die Folgen der Arbeitsmigration aus der Türkei ab der Mitte der 60er Jahre und die Wahrnehmung islamisch begründeten Terrors in der westlichen Welt ließen langsam erahnen, dass dies politisch relevant sein könnte, weil der Islam mehr ist als eine antiquiert wirkende Interpretation des Eingottglaubens aus dem siebenten Jahrhundert. Die Erkenntnis der Entstehung von Parallelgesellschaften einerseits und die Schockwelle, die im Gefolge des Twin-Tower-Albtraums von 9/11 durch die westliche Welt ging, andererseits, brachten schließlich die Notwendigkeit eines proaktiven Umgangs mit dem Islam auf die politische Agenda.

Mag. Christian Zeitz ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie und Islambeauftragter des Wiener Akademikerbundes. (Bild: Privat)

Verklärter Blick auf den Islam

Obwohl das politische Establishment noch lange, allzu lange, einen verklärten Blick auf den Islam warf, weil die Linken von Multikulti-Bereicherung und einem neuen Proletariat als politische Wählerzielgruppe träumte und die bürgerlichen Wirtschaftskreise auf neue Zielmärkte und Investitionsströme schielten, machte sich mit dem Ausufern der Massenmigration aus der islamischen Welt Ernüchterung breit. Es war daher kein Zufall, dass 2015 die Bereitschaft aller parlamentarischen Parteien vorlag, mit einem neuen Islamgesetz ein Instrument der Einschränkung des Wildwuchses islamischer Communities zu schaffen. Es war das Ergebnis robusten Lobbyings von islamischen und islamfreundlichen Kreisen sowie der Unprofessionalität und mangelnden legistischen Kompetenz der Regierung, dass dieser Ansatz scheiterte und den Islamisierungsdruck sogar noch verstärkte.

Das Problem des Transformationsdrucks, den der Islam ganz offenkundig auf die Kultur des Westens ausübt, sowie das der Sicherheitsproblematik ist freilich keineswegs auf Österreich beschränkt. Ganz im Gegenteil sind Parallelgesellschaften, die von “Ehrendelikten”, Frauenunterdrückung, Gewaltbereitschaft und einer rituell begründeten Andersartigkeit des Alltagslebens geprägt sind, ein Problem aller Länder der westlichen Welt. Diese standen und stehen daher vor der schier erdrückenden Schwierigkeit, den wildwüchsigen, offenkundig destruktiven Einfluss des Islam auf den gesellschaftlichen Alltag einzudämmen, ohne dabei die mittlerweile universell dogmatisierten Vorgaben der “Political Correctness” und der Antidiskriminierungsgesetzgebung zu verletzen.

Die irdische Ordnung als Problem

Es war der US-amerikanische Naturwissenschafter und Mathematiker Bill Warner, der seit über zehn Jahren einen Ausweg aus dem Dilemma zu bieten schien: Nicht der Islam als solches sei das Problem, sondern nur diejenigen seiner Elemente, die sich auf die Errichtung und Gestaltung einer irdischen Ordnung nach theokratischen Gesichtspunkten beziehen würden. Dem rein religiös-jenseitsbezognen Bereich des Islam würde ein davon klar unterscheidbarer diesseitsbezogener gesellschaftsgestaltender Bereich des Islam gegenüberstehen, der sich in den Regeln des Umgangs mit den “Ungläubigen”, also den nicht dem Islam angehörenden Menschen manifestieren würde. Warner bezeichnet die Summe aller Regeln zum Umgang mit den “Ungläubigen” und die sich daraus ergebende rechtliche und realpolitische Ordnung als “Politischen Islam”. Diesen könne man, zumindest theoretisch, vom rein spirituellen Islam, der die Glaubens- und Ritenpraxis der Moslems betrifft, unterscheiden. Der politische Islam würde sich im Anspruch, die Scharia, also ein System des islamischen Rechts, zu etablieren und ihre Autorität als Zwangsapparat auch gegen “Ungläubige” durchzusetzen, manifestieren.

Ein eigener Strafbestand

Der Ansatz wirkt bestechend und prägte u.a. auch die Initiative der türkis-blauen Bundesregierung zur Errichtung einer “Dokumentationsstelle Politischer Islam”. Dieser solle nach Bundeskanzler Kurz ein eigener Straftatbestand werden, denn er sei mit den Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats nicht vereinbar.

Tatsächlich zweckt das „Terrorismus-Präventionsgesetz“, das die Bundesregierung nach dem Attentat vom vergangenen November in Wien auf den Weg gebracht hat, scheinbar auf den „Politischen Islam“ ab. Allerdings ist dort, wie schon im Regierungsprogramm vom Jänner 2020, von „religiös motiviertem politischen Extremismus“ die Rede, und dieser solle, gleichermaßen wie jede Form des „Rechtsextremismus“, strafrechtlich und politisch bekämpft werden. Regierungspoltisch scheint es sich also eher um ein Projekt der Bekämpfung politisch Unliebsamer zu handeln.

These vom „politischen Islam“ ist nicht haltbar

Grundsätzlich gesehen ist das Konzept der Unterscheidbarkeit eines „Politischen Islam“ von einem „normalen“, bloß „spirituellen Islam“ generell unhaltbar, weil es an dem, was unter Politik zu verstehen ist und an einer realistischen Sicht des Islam als solchem, meilenweit vorbeigeht. Politik, im Sinne Max Webers das Geschäft spezialisierter Professionisten in einer säkular-staatlichen Ordnung, ist dem Islam vollständig wesensfremd. Die Normen – Gebote und Verbote – die das islamische Gemeinschaftsverständnis prägen, umfassen alle Lebensbereiche und sind ineinander organisch verschlungen. Dementsprechend ist „Scharia“ nichts weniger als bloß „islamisches Recht“, sondern ein ritualisierter Normenverbund, der alle Elemente des menschlichen Lebens und Zusammenlebens reglementiert – von der Verrichtung der Notduft bis zum Vergeltungsrecht. Das Ausrollen der fundamentalen Wesenselemente des Islam zielt auf eine Ordnung ab, die keine Unterscheidung zwischen privat und öffentlich, zwischen Recht und Moral sowie „politisch“ und „nicht-politisch“ kennt und kennen darf. Denn „es gibt kein Blatt, das vom Baum fällt, außer Allah will es“.

Die Idee des „Politischen Islam“ fußt auf einer Fata Morgana und ist ein Placebo zur Beschwichtigung berechtigter Vorbehalte und Ängste gegenüber dem Islam als solchem. Es gibt keinen „Politischen Islam“, weil es auch keinen „unpolitischen“ gibt. Wenn wir nicht vom Islam erdrückt werden wollen, müssen wir alle seine Elemente, die mit unserer Rechtsordnung und den kulturellen Fundamenten unserer Gesellschaftsordnung unvereinbar sind, ächten und, soweit erforderlich, (straf-)rechtlich bekämpfen. Dazu ist derzeit weit und breit kein politischer Wille auszumachen.

[Autor: Bild: PxHere Lizenz: –]

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