Autor: E.K.-L. Bilder: Wikipedia/Chancellerie fédérale suisse / Annette Boutellier & Yoshiko Kusano Lizenz: CC BY-SA 4.0
Walter Thurnherr tritt nach achtjähriger Amtszeit ab
Die Schweiz und Österreich sind gute Nachbarn, aber irgendwie steht man Rücken an Rücken. So ist den Medien hierzulande – soweit überschaubar – die Rücktrittsankündigung des eidgenössischen Bundeskanzlers keine Meldung wert. Zugegeben, bei unserem kleinen westlichen Nachbarn ist das Amt, das die Bezeichnung „Bundeskanzler“ trägt, nicht so machtvoll wie in der Bundesrepublik, wo der Kanzler sogar über eine Richtlinienkompetenz verfügt und den Ministerin Vorgaben machen kann; und auch mit weniger Befugnissen ausgestattet als der Regierungschef bei uns, der im Bundeskabinett formal bloß primus inter pares ist.
Welche Stellung nimmt nun der schweizerische Bundeskanzler ein? Auf den ersten Blick eine recht bescheidene. Die dortige Regierung nennt sich Bundesrat und setzt sich aus sieben Ministern (Bundesräten) zusammen, den Vorsitz hat einer der Sieben; er führt dann den Titel Bundespräsident und amtiert immer nur für ein Kalenderjahr. Der Bundeskanzler hingegen gehört streng genommen gar nicht zur Regierung, sondern ist nur eine Art Stabschef derselben. Er führt die Geschäfte der Bundeskanzlei, die den einzelnen Bundesräten zuarbeitet. Gewählt wird der Bundeskanzler von der Bundesversammlung (National- plus Ständerat) in Bern.
Doch nimmt der Bundeskanzler an allen Kabinettssitzungen teil, kann sich dort zu Wort melden und Anträge stellen, aber nicht abstimmen. Wobei im Bundesrat formelle Abstimmungen recht selten sind. Das überrascht, denn in der siebenköpfigen Regierung sitzen die Vertreter von vier Parteien. Nämlich zwei Nationalkonservative (Schweizerische Volkspartei, SVP), zwei Liberale (Freisinnige, FDP), zwei Sozialdemokraten (SPS) sowie ein Minister der Partei Die Mitte (bis vor wenigen Jahren hieß die Gruppierung: Christlichdemokratische Partei, CVP). Freilich gibt es hin und wieder Streitpunkte. Da greift dann der Bundeskanzler sozusagen als Schiedsrichter ein und vermittelt.
Der nun per Jahresende abtretende Walter Thurnherr (60) hat sein Amt nach einhelliger Auffassung sehr gut ausgeübt, dabei half ihm sein Humor, eine Eigenschaft, die bekanntlich nicht bei allen Eidgenossen anzutreffen ist. Er galt mit immerhin 34 Jahren Tätigkeit in der Bundesverwaltung, darunter eine Zeitlang als Botschafter in Moskau, als klügster Kopf im Bundesrat. Thurnherr stammt aus dem Kanton Aargau (nebenbei: von dort kamen ursprünglich die Habsburger) und ist Mitglied bei den Christdemokraten.
Wer nun glaubt, es wäre ein großes Gerangel um die Nachfolge, der irrt. Lediglich die Nationalkonservativen erheben Anspruch, denn bisher gab es keinen Bundeskanzler aus ihren Reihen. Warum halten sich die anderen bedeckt? Die Partei Die Mitte hält sich vornehm zurück, da sie mit Thurnherr bisher am Ruder war. Außerdem erhoffen sich die Christdemokraten bei den im Herbst anstehenden Wahlen wieder einen zweiten Bundesrat, der aber nur dann gewonnen werden kann, falls die Mitte-Partei die FDP-Liberalen mandatsmäßig überrundet. Die Sozialdemokraten, die wiederum von der Grünen Partei der Schweiz (GPS) bedrängt wird, und die FDP entsenden zwar jeweils zwei Minister in der Regierung, aber der jeweils zweite Sitz ist schwach abgesichert. Bei der bärenstarken SVP – sie ist mit Abstand stärkste Partei im Nationalrat – sind die beiden Bundesräte hingegen gut gepolstert.
Nach der sogenannten Zauberformel 2 : 2 : 2 : 1 stehen den drei stärksten Parteien jeweils zwei Regierungssitze zu, der vierstärksten Partei aber nur einer. Und wenn es hart auf hart geht, dann hat diejenige Partei, der der Bundeskanzler zugerechnet wird, schlechte Karten, weil der Bundeskanzler gleichsam als achter Bundesrat angesehen wird. Deswegen wird der Nachfolger von Walter Thurnherr wahrscheinlich ein Mann aus den Reihen der Schweizerischen Volkspartei sein.