Ukraine-Konflikt: Die vergessenen Hellenen

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Annatsach Lizenz: CC BY-SA 4.0


Über eine praktisch unbekannte Volksgruppe

In der medialen Berichterstattung kommt die griechische Minderheit in der südlichen Ukraine praktisch nicht vor, obwohl auch diese Menschen vom russisch-ukrainischen Krieg betroffen sind. Ganz anders in Griechenland, wo sich das Parlament am 1. März mit ihrem Schicksal  befasst. Athen hat bereits beim russischen Botschafter gegen den Tod von zwölf zivilen Angehörigen der Volksgruppe – sie starben bei russischen Bombenangriffen auf das Dorf Sartana Protest eingelegt. Antwort der Russen: An deren Tod seien ukrainische Soldaten schuld. Bereits am 31. Januar 2022 war Außenminister Nikos Dendias vor Ort und versicherte den Griechen in der Ostukraine, dass Griechenland sie schützen wolle. Mittlerweile werden in Athen Evakuierungspläne geschmiedet; für diejenigen Ukraine-Griechen, die ihre Häuser aufgrund von Kämpfen verlassen müssen.

Odessa, Mariupol, Sewastopol: Die Namen dieser Städte klingen in griechischen Ohren vertraut, fast heimisch. Die Gegend an der Küste des Schwarzen Meeres spielt schon in der griechischen Mythologie eine große Rolle.

Griechen gründeten bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. Kolonien an der heutigen ukrainischen Küste des Schwarzen Meeres. Die meisten heutigen Griechen in der Ukraine sind die Nachkommen pontischer Griechen aus der Pontus-Region (Gebirge an der Südküste des Schwarzen Meeres) nach dem Untergang des christlichen Kaiserreichs Trapezunt im Jahr 1461.

Noch heute zählt die hellenische Minderheit 100.000 bis 150.000 Menschen. Ein kleiner Teil davon siedelt in Odessa, die meisten in Mariupol und 29 Dörfern in der Umgebung dieser ostukrainischen Hafenstadt. In Mariupol, der Hafenstadt am Asowschen Meer, mit seinen 500.000 Einwohnern leben heute laut der letzten Volkszählung 91.548 Griechen.

Allerdings dürfte die Zahl der Menschen mit griechischer Abstammung wahrscheinlich viel höher sein, da die Mischehen zwischen ethnischen Griechen und ukrainischen Staatsbürgern, die insbesondere in der Ostukraine weit verbreitet sind. Neben ukrainisch und russisch sprechen diese „Krimgriechen“ oder „Pontosgriechen“, wie man sie auch bezeichnet, einen griechischen Dialekt, den sie rumische Sprache nennen. Der Begriff „rumisch“ leitet sich von der Selbstbezeichnung der Griechen im Byzantinischen (Oströmischen) Reich ab, die sich Ῥωμαῖοι (Rhoméi), also: Römer, nannten.

Die Stadt Mariupol wurde 1778 aufgrund eines Dekrets der Zarin Katharina der Großen in der Nähe einer Kosakensiedlung gegründet. Sie sollte den Griechen als neue Heimat dienen, als diese von der Krim fliehen mussten, um den Osmanen auszuweichen, die damals die Halbinsel besetzten.

Die Kämpfe um Mariupol werden in Griechenland sehr genau verfolgt. Seit dem Beginn der Kampfhandlungen, also seit dem 22. Februar 2022, ist die Stadt – der Name bedeutet  auf Griechisch die „Stadt Marias“ – umkämpft, niemand ist sicher. Das führt in den vergangenen Wochen in Griechenland zu einem deutlichen Wandel in der öffentlichen Meinung über Russland. Traditionell ist ein großer Teil der griechischen Gesellschaft gegenüber Russland eher positiv gestimmt, manche sprechen sogar von einer ewigen Freundschaft mit dem großen blonden Bruder.

Die Mehrheit der Bevölkerung beider Länder gehört der orthodoxen Kirche an. Griechen und Russen haben nie gegeneinander gekämpft. Die griechische Revolution 1821 wurde von der „Filiki Eteria“ (Gesellschaft der Freunde) vorbereitet, einer geheimen Organisation, die in Odessa gegründet wurde. Ioannis Kapodistrias, der 1828 erster Gouverneur des freien griechischen Staates nach der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich wurde, war zuvor Außenminister des zaristischen Russlands. Auch in jüngster Zeit bemühte sich Griechenland eher als Brücke zwischen dem Westen, dem man sich zugehörig fühlt, und Russland zu fungieren. Athen hatte immer viel Verständnis für die Belange Moskaus.

Damit ist nun Schluss. Am 25. Februar fasste das Athener Kabinett einen Beschluss über die Lieferung von militärischer Ausrüstung für die ukrainische Armee.

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