„Wir leben in einer unipolaren Welt-Unordnung“

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China-Kenner Martin Sörös über chinesische Sichtweisen und Strategien beim Wettstreit mit den USA und das Wirtschaftspotenzial Chinas.

Bei den Sanktionen gegen Russland muss der Westen feststellen, dass er alleine dasteht. Umgekehrt entfaltet China rege Tätigkeiten z. B. im Rahmen der BRICS-Staatengruppe oder im Rahmen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Wie betrachtet China den Westen? Sieht China den Westen im Abstieg begriffen?
Martin Sörös: China ist derzeit im Beobachtungstatus und verfolgt vieles, was weltweit passiert, mit Sorge. China fürchtet sich nicht vor den USA, China fürchtet sich nicht vor der EU, China fürchtet sich im Prinzip vor niemandem, aber es wird registriert, dass jetzt eine Art von Schulterschluss stattfindet, der nicht den Interessen Chinas entspricht. China ist ein Land, das sich in den 1940er-Jahren zwar noch selbst bekriegt hat, aber noch nie von sich aus einen externen Krieg angezettelt hat. China will Ruhe, China will Freundschaft, China will die gemeinsame Entwicklung von Wirtschaftsprojekten und ist nicht glücklich, was derzeit passiert. Das Ganze vor dem Hintergrund, dass China sehr wohl die Strategie dahinter begreift. Die USA sind immer dann am glücklichsten, wenn Europa schwach ist. So schwach wie Europa, wie die EU derzeit ist, war es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eigentlich nie. Wenn man mit den Leuten in China spricht, dann sagen sie, es sieht so aus als hätte Herr Biden Frau von der Leyen angerufen, ihr den Floh ins Ohr gesetzt, „du musst dich jetzt wehren, weil sonst greift Putin als nächstes Polen an“. Das baut auf einem gemeinsamen Pakt von Biden und von der Leyen auf und noch dazu ohne Zustimmung der europäischen Bevölkerung. Wie gesagt, China beobachtet, China ist in Sorge und China will in Wahrheit gerne vermitteln: China hat auch die Möglichkeit zu vermitteln, weil Herr Putin, der aus meiner Sicht auch sehr angstfrei agiert, eines ganz bestimmt nicht will, nämlich einen Konflikt im Westen und zusätzlich einen Konflikt im Osten. Das heißt, mit China wird sich Putin immer gutstellen wollen, weil bei den BRICS-Staaten – wir reden bei den BRICS-Staaten von einem Weltbevölkerungsanteil von 41,5 Prozent – sehr viel politische, soziale und wirtschaftliche Macht dahintersteht.

Martin Sörös, Jahrgang 1962, lebt in Wien und Niederösterreich und ist seit mehr als drei Jahrzehnten national und international als Journalist (unter anderem rund ein Vierteljahrhundert bei der Tageszeitung KURIER) und als Autor tätig. Seine Spezialgebiete sind Sport, Politik und China.

Inwieweit geht es beim Wettstreit zwischen dem Westen und China auch um unterschiedliche Konzeptionen? Also unipolare Weltordnung mit den USA als dominierende Macht und multipolare Weltordnung, wie sie von China forciert wird, auf der anderen Seite.
Sörös: Zunächst einmal würde ich die derzeitige Weltordnung nicht als unipolare Weltordnung, sondern als unipolare Welt-Unordnung bezeichnen. Wenn alles eine Ordnung hätte, also in den USA und in den EU-Ländern lauter glückliche Menschen sind, wenn die Wirtschaft floriert, das wäre alles in Ordnung. Aber jetzt ist es eine unipolare Welt-Unordnung, weil die USA meines Erachtens bestrebt sind, die anderen in gewisser Weise zu schwächen. Das ist etwas, was man in China mit Unverständnis und Ärger beobachtet. Die USA sehen sich ständig im Wettstreit mit China um den Platz an der Sonne, was die Weltwirtschaft betrifft. Aber China will diesen Wettstreit nicht und braucht ihn auch nicht. China würde gerne mit den USA intensiver zusammenarbeiten. Ich möchte daran erinnern, dass heute, wenn die USA und China die wirtschaftliche Zusammenarbeit von einem Tag auf den anderen beenden, jeder fünfte Amerikaner seinen Job verliert. Die USA haben nach dem Abgang von Trump meines Erachtens einen gravierenden Fehler gemacht. Nach dem Abgang von Trump war die internationale Freude darüber sehr groß und es hieß, jetzt kommt der beste Präsident aller Zeiten. Ich möchte aber nur daran erinnern, dass in seinem ersten international beachteten Interview Biden sagte, dass der saudische Kronprinz ein Mörder ist. In seinem zweiten Interview sagte Biden, dass China ein Feind ist und in seinem dritten Interview, dass Putin ein Verbrecher ist. Externe Feinde machen bei den eigenen Wählern beliebt, aber die USA haben eine globale Verantwortung, und dieser hat Biden nicht entsprochen.

Die USA sehen sich ständig im Wettstreit mit China, was den wirtschaftlichen Platz an der Sonne betrifft.

Inwieweit spielen eigentlich für die chinesische Strategie die Geschichte oder kulturelle Hintergründe eine Rolle? Ich denke da an den Konfuzianismus, wo Harmonie eine große Rolle spielt, oder an negative historische Erfahrungen wie das „Jahrhundert der Schande“.
Sörös: Das spielt natürlich alles eine Rolle. Aber eines wirkt entkrampfend: Weltweit gab und gibt es Kriege und Konflikte aufgrund religiöser Unterschiede. Das aber spielt in China de facto keine Rolle, weil das Thema Religion in China wesentlich entspannter gesehen wird. Ich gebe zu bedenken: In China gibt es 85,5 Millionen Mitglieder der Kommunistischen Partei und 87 Millionen Christen. Das Jahrhundert der Schande hat China sicherlich geprägt, da spielt das Thema Hongkong hinein, da spielen die Konflikte mit Japan hinein. China will das nie wieder erleben, China will sich weiterentwickeln, China will Frieden, China entwickelt auch keinen Neid, weil in China ein unglaubliches Selbstverständnis und Selbstvertrauen in das herrscht, was die politische Führung tut. Es herrscht ein ganz anderes Lebensgefühl und man kriegt es hier in Europa nicht mit, dass China ein sehr positives Land ist.

China hat 200 Millionen mehr Einwohner als die G7-Gruppe und die Europäische Union zusammen haben.

Welche Lehren zieht eigentlich China aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und aus den westlichen Sanktionen – auch im Hinblick auf die Taiwan-Frage, die immer wieder virulent wird?
Sörös: Das Ganze ist ein Paket. Die Russland-Sanktionen sieht China zunächst einmal mit Kopfschütteln. China – und auch viele in Österreich – hätte eine große Freude gehabt, wenn dieser Russland-Ukraine-Konflikt gar nicht in dieser Form ausgebrochen wäre. Dieser Konflikt wäre sehr wohl verhinderbar gewesen. Wenn ich als NATO an der Grenze zu einer Atommacht scharfe Waffen aufstelle, dann darf ich mich als NATO nicht wundern, wenn irgendwann aus Russland eine Reaktion kommt. Hätten Russland, die Ukraine und die USA sich zusammengesetzt und gesagt, machen wir eine Garantie, dass die Ukraine niemals der NATO beitritt, machen wir einen Kooperationspakt, wäre dieser Krieg zu verhindern gewesen. Außerdem weiß man in China, dass man mit den Sanktionen nichts erreicht. Was Taiwan betrifft, betreiben die USA ständig neue Provokationen. In China gilt in Bezug auf Taiwan das Ein-China-Prinzip, das auch in internationalen Verträgen mit China und auch von der UNO anerkannt wird. Wenn die USA behaupten, China will einen Angriffskrieg führen, dann entbehrt dies jeglicher Logik. Denn wieso sollte China sein eigenes Land angreifen? Daher ist das, was in der Meerenge von Taiwan passiert, eine Provokation, die niemandem etwas bringt und nur die Welt noch mehr auseinanderdriften lässt. In diesem Punkt überschätzen sich die USA und die NATO auch militärisch. Wenn die deutsche Außenministerin Baerbock meint, „wir werden Taiwan mit allen Mitteln verteidigen“, dann zeigt das eine gravierende Unterschätzung der Möglichkeiten, die China im militärischen Bereich hätte. Frau Baerbock ist da in diesem Amerika-Sprech drinnen, „wir sind stark, wir sind gut, wir sind geeint“. Genauso wie in Österreich die Ministerin Edtstadler, die kürzlich gesagt hat, sie hat die EU noch nie so geeint gesehen wie derzeit bei den Sanktionen gegen Russland. Das ist völliger Unsinn, die EU war noch nie so zerstritten wie jetzt! Das Taiwan-Thema drückt die Chinesen sicherlich schwer am Schuh, wird aber von ihnen nicht militärisch gelöst werden. Aber sie haben ihre militärischen Möglichkeiten, entsprechende Provokationen zu beantworten.

Im bilateralen Handel mit anderen Ländern setzt China zunehmend darauf, dass die jeweiligen nationalen Währungen wie eben der Yuan, verwendet wird. Betreibt China eine langfristige Strategie zur Ent-Dollarisierung der Weltwirtschaft?
Söros: China ist zu einem Weltfaktor geworden, halb Afrika gehört China bis hin zum Hafen von Piräus, und darum weiß China schon sehr gut um seine Position und um die Verteidigung seines Platzes. Währungstechnisch wurde bekanntgegeben, die Chinesen kaufen mit Yuan und mit Rubel ein und die Chinesen machen das auch mit anderen Ländern, mit denen Partnerschaften aufgebaut werden. Da entsteht jetzt eine Allianz, die sich nicht nur auf die BRICS-Staaten beschränkt. Dazu kommt noch die immer stärker werdende ASEAN-Gruppe. Und noch etwas: Wenn sie die Einwohnerzahl der G7-Staaten und der EU zusammenzählen, dann fehlen Ihnen immer noch 200 Millionen auf die Einwohnerzahl von China. Allein schon bei den Faktoren, Arbeitskräfte, Wirtschaftskraft, Wirtschaftswachstum hat China Möglichkeiten, die jene der USA klar übersteigen. China wird immer eine Antwort geben, die grundsätzlich nicht mit Waffengewalt erfolgt, aber doch sehr, sehr entschlossen.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

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