Autor: E.K.-L. L
Russische Seeblockade macht sich drückend bemerkbar
Exakt sieben Straßenkilometer vor der Stadt Odessa liegt einer der größten Märkte Osteuropas. In Friedenszeiten, sohin vor dem 24. Februar, schoben sich täglich rund 150.000 Kaufinteressenten durch die Freiluft-Geschäftsstraßen. Auf der Jagd nach Schnäppchen: von der Rolex made in China bis zum Brautkleid. Auf einer Fläche von 75 Hektaren oder mehr als 100 Fußballfeldern befinden sich 12.500 Geschäfte. Elektronik aus Fernost, Textilien aus der Türkei, Möbel aus Russland wurden hier verkauft – und nachts, so sagt man, Waffen und Drogen aus dem Kaukasus. Das organisierte Verbrechen hatte immer einen festen Platz in Odessa. Vor dem Krieg arbeiteten hier 60.000 Menschen.
Wie steht es nun um den Markt, besser gesagt: um den Basar? Den Händlern am 7. Kilometer, wie der Platz wegen seiner geographischen Lage gemeinhin geheißen wird, geht die Ware aus. In den Verkaufsständen, meist in einem Schiffscontainer untergebracht, ist nur mehr der Ramsch vorzufinden, der schon lange keinen Käufer findet.
Die Seeblockade durch die russische Schwarzmeerflotte unterbindet nicht bloß die Ausfuhr ukrainischen Getreides, sondern auch die Einfuhr von Billig-Gütern vornehmlich aus Asien: Billigtextilien aus Bangladesch, allerlei Firlefanz aus China, Indien und Korea. Die ukrainischen Bauern in ihren oft armseligen Katen stellen keine allzu großen Qualitätsansprüche. Trotzdem machen sich die fehlenden Importe schmerzlich bemerkbar. Auch die Taglöhner, die auf dem Markt als Träger arbeiten, haben zurzeit kaum Aufträge.
Anders als in den Supermärkten, die auf dem Landweg mit heimischen und westlichen Produkten beliefert werden, macht sich hier – genauso wie an den Tankstellen, dort bilden sich sofort riesige Autoschlangen, sobald Benzin verkauft wird – die Versorgungskrise durchaus bemerkbar.
Die engen, staubigen Durchgänge zwischen den Containern tragen Straßennamen, eine eigene Polizeiwache sorgt für Sicherheit. Das Gelände gilt als größter Freiluftmarkt zwischen Lissabon und Wladiwostok.
Der Markt hat schon bessere Zeiten gesehen. Die Anfänge des Marktes liegen in der Perestroika-Zeit, als in der Sowjetunion privater Handel erstmals geduldet wurde und Seeleute fremdländische Ware feilboten. In Odessa, einem traditionell wichtigen Handelsplatz, wurde den verpönten Spekulanten ein Gelände in sicherem Abstand zur Stadtgrenze zugewiesen. Der Name ist nichts anderes als eine Distanzangabe. Um die Jahrtausendwende lief das Geschäft so gut, dass einige Händler eigene Frachtflugzeuge charterten. Aber nach 2014 seien die Händler aus den separatistischen Gebieten in Donezk und Luhansk, die eine wichtige Rolle gespielt haben, weggeblieben.
Zudem kamen im letzten Jahrzehnt immer weniger Sommergäste aus Russland und Weißrussland nach Odessa. Touristen, die auf dem Nachhauseweg ihre Autos mit billiger Ware vollgepackt haben. Ein weiterer Rückgang verursachte das Online-Shopping sowie die Pandemie.
Und natürlich jetzt der Krieg. Zu allem Unglück gesellt sich ein russischer Raketenangriff auf den Trockenhafen von Odessa. Das ist eine Hauptschlagader des Seehafens, alle Waren müssen hier durch. Auf der riesigen Betonfläche hinter dem eigentlichen Hafen wird die Ware, die auf dem Seeweg ankommt, auf Straße und Schiene umgeladen. Das Gelände bietet nunmehr ein Bild der Verwüstung.
Vor ein paar Wochen beschossen die Russen außerdem das Tanklager am Hafen von Odessa und die Brücke über die Dnister-Mündung. Die direkte Verbindung von Odessa nach Westen ist seither unterbrochen. Für Exportgüter ist die rumänische Grenze nur noch über einen langen Umweg durch die Republik Moldau erreichbar.
Dies macht auch Importe nach Odessa noch umständlicher. Ein Textilhändler, der am 7. Kilometer türkische Ware verkauft, sagt dazu resignierend: „Ich könnte meine Ware schon über Rumänien einführen. Aber das ist viel zu teuer.“