“Unbehagen mit der Politik ­heute wie 1848, aber unorganisiert”

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Autor: Manfred Tisal Bild:  PxHere Lizenz: –

Wilhelm Brauneder zur Neutralität und zur rechtshistorischen Entwicklung in Österreich

Herr Professor, Österreich hat in den letzten 200 Jahren mehrfach Meilensteine in seiner Entwicklung zu verzeichnen gehabt. Welche waren das aus Ihrer Sicht als Rechts­historiker
Wilhelm Brauneder: 1848, das war der Beginn des Verfassungsstaates mit einer Etablierung der Grundrechte, auch wenn es in weiterer Folge zu Rückschlägen kam. Aber, was nicht zu übersehen ist – vieles, was dann später kam, hat sich auf 1848 berufen. 1918 gab es dann die Gründung der Republik und 1920 die des Bundesstaates, deren Wiedererstehen 1945, 1955 kamen dann der Staatsvertrag und die Neutralität, schließlich der EU-Beitritt 1995.

Prof. MMag.Dr. Wilhelm Brauneder war unter anderem Rechtshistoriker, Universitätslehrer und Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien und Dritter Präsident des Österreichischen Nationalrates. Er feierte am 8. Jänner 2023 seinen 80. Geburtstag. Wir gratulieren, etwas verspätet, recht herzlich dazu.

Wenn Sie in das Jahr 1848 zurückgehen, so muss man auf die Vorgeschichte, den sogenannten „Vormärz“ verweisen, was ist in diesem Zusammenhang wichtig, zu erwähnen?
Brauneder: Es gab damals ein großes, steigendes Unbehagen mit der Politik. Man sah schließlich eine mögliche Rettung in einer Verfassung unter Einbindung des Volkes, also einem Parlament in einer konstitutionellen Monarchie.

Das heißt, der Absolutismus sollte abgeschafft bzw. an den Rand gedrängt werden. Daran erinnert auch die Rolle des habsburgischen Erzherzogs Johann, der ja vom Parlament der Paulskirche zum Reichsverweser gewählt wurde.
Brauneder: Ja sicher, aber nicht nur das, er war gleichzeitig auch der Stellvertreter des Kaisers in Wien. Dieser ist bekanntlich nach Innsbruck geflohen und so war für kurze Zeit Erzherzog Johann die wichtigste Persönlichkeit in Deutschland inklusive Österreichs.

Dieses Parlament in der Paulskirche, das auch als „Burschenschafterparlament“ bezeichnet wurde hat eine massive Wende gebracht. Wie stellt sich das für Sie dar?
Brauneder: Die Paulskirche als Burschenschafterparlament zu bezeichnen, ist genauso falsch wie die Bezeichnung Professorenparlament. Was dort vorging, ging über diese Kreise weit hinaus. Es war ein Parlament, von dem man ruhig sagen kann, das es von der Intelligenz getragen wurde.

In Österreich gab es in den 1860er-Jahren aber viele 1848er im Parlament, und auch in der Regierung.

Wir feiern heuer die 175-jährige Wiederkehr der Revolution von 1848. Kann man da eine Bilanz ziehen? Viele Betreiber mussten ja in die USA fliehen.
Brauneder: Das ist vollkommen richtig. Hans Kudlich, der „Bauerbefreier“, ist so einer. Er wurde in Österreich und in Bayern zum Tode verurteilt und ging in die Vereinigten Staaten. Dann kam es zur Amnestie für 1848, was ihn zur Rückkehr bewegte. Schließlich entschied er sich aber für die USA, wo er lieber lebte. In Österreich gab es 1867 aber viele 1848er im Parlament, und zeitweise auch in der Regierung.

1848 beginnt auch die langjährige Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph. In dieser Zeit hat sich, abgesehen von 1867, doch nicht viel getan aus rechtshistorischer Sicht?
Brauneder: Es hat sich eigentlich sehr viel getan! Allerdings unter der Ebene der Verfassung. Es gab eine Reihe moderner Gesetze, das muss man schon sagen, zum Beispiel ist das Vereinswesen aufgeblüht. Aber es gab auch Neuerungen bei der Rechtsprechung im Grundrechtsbereich. Oder Regelungen für die Nationalitäten und einiges anderes mehr. Es war also sehr wohl eine moderne Zeit.

Sie haben als weiteren Wendepunkt 1918 erwähnt. Das Ende des Ersten Weltkrieges und die Ausrufung der Deutsch-Österreichischen Republik.
Brauneder: Ja, das war eine gravierende Änderung. Von der Monarchie zur demokratischen Republik. Es ist aber verfassungsrechtlich in der Republik vieles aus der Monarchie übernommen worden. Aufgewertet wurden die Länder, die bisher eher als Großgemeinden konstruiert waren. Sie übernahmen 1918 die staatliche Verwaltung. Neu war dann ab 1920 der Bundesstaat, der den Ländern auch Gesetzgebungsbefugnisse brachte.

Ein weiterer Schwerpunkt in der Zwischenkriegszeit war unter Bundeskanzler Dollfuß die Außerkraftsetzung des Parlaments. Kann man das als Putsch bezeichnen?
Brauneder: Das war natürlich eine Zäsur, wenn auch von kurzer Dauer. Es war zurückzuführen auf das große Unbehagen mit dem Parteienstaat. 1933 ist dieser Rücktritt der drei Parlamentspräsidenten von der Regierung in verfassungswidriger Weise ausgenutzt worden, um das Parlament auszuschalten. Man kann das durchaus als Putsch von oben, von der Regierung bezeichnen. Es hätte auch das Parlament wieder arbeitsfähig gemacht werden können. Das aber hat die Regierung verhindert.

1955 kam es schließlich zum Staatsvertrag, auf den Österreich sehr viel hält. Ist das heutzutage nach wie vor ein Kriterium?
Brauneder: Ja sicher, es besteht zwischen Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz überdies ein bedeutender politischer Zusammenhang. Das mag man drehen und wenden, wie man will, es war historisch gesehen ein ganz großes positives Ereignis. Österreich war die allliierte Besatzung los, Deutschland nicht.

Man hatte damals bei der Neutralität auch den wahrscheinlich sehr wichtigen Aspekt dabei mit dem Hinweis auf das Vorbild der Schweiz, die ja über Jahrhunderte hinweg ohne Krieg geblieben war und einen sehr eigenständigen Weg in Europa genommen hatte.
Brauneder: Es war damals sicherlich eine ausgezeichnete Lösung. Von dem Schweizer Vorbild ist man allerdings relativ bald abgerückt. Österreich ist 1956 der UNO beigetreten, die Schweiz ist das nicht.
Darüberhinaus gab es auch noch eine ganze Reihe anderer Regelungen, in denen sich die Schweiz von Österreich unterschieden hat.
Heute sieht man auch im Russland–Ukraine-Konflikt, dass Österreich eine sehr wohlwollende Haltung gegenüber der NATO einnimmt. Das macht die Schweiz zum Beispiel nicht.

Damit sind wir auch schon beim letzten Punkt dieser Zeitreise, dem Beitritt zur Europäischen Union. Es wird ja diese Mitgliedschaft sehr oft zum Anlass genommen, um von einer Ausschaltung der Neutralität zu sprechen. Trifft das Ihrer Meinung nach zu?
Brauneder: Ich sehe hier eine starke Modifizierung der Neutralität. Es gibt ja auch außerhalb der EU eine Reihe anderer Staaten, für die die österreichische Neutralität eine Rolle spielt.
Man muss aber sagen, dass mit der Mitgliedschaft in der EU eine starke Abschwächung der Neutralität eingetreten ist. Jedenfalls ist sie verfassungsrechtlich geboten und sollte entsprechend von österreichischen Politikern beachtet werden.

Das Gespräch führte Walter Tributsch.

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