Bern: Strenge Sitten im eidgenössischen Oberhaus

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Autor: E.K.L. Bild: Wikipedia/Parlamentarische Dienste Lizenz: Swiss Federal Assembly


Ohne Selbstbinder ist man im Schweizerischen Ständerat unerwünscht

Die Volksvertretung unseres westlichen Nachbarn besteht aus zwei Kammern: dem Nationalrat, der von den Parteien je nach Stimmenanteil (Proporzwahlrecht) beschickt wird, und dem Ständerat, wo die Kantone ungeachtet seiner Einwohnerzahl je zwei Abgeordnete entsenden. Eine Ausnahme machen die sogenannten sechs Halbkantone (vor etlichen Jahrhunderten trennten sich manche Kantone, in erster Linie wegen der Konfession; zum Beispiel besteht der Kanton Appenzell aus dem streng katholischen Innerrhoden und dem reformierten Außerrhoden), diese Halbkantone entsenden bloß je einen Vertreter in den Ständerat. Von der Verfassungsstruktur her besehen ist der Ständerat der Schweiz dem Senat der USA nachgebildet.

Im Vergleich zu unserem Bundesrat ist der Ständerat wesentlich einflussreicher. Dessen Mitglieder sind meist altgediente, aber noch immer sehr gut vernetzte Politiker, die sich als eine Art Aufsichtsrat sehen, der die Tätigkeit des Nationalrats mit Argusaugen betrachtet. Da die kleinen katholischen Gebirgskantone der Innerschweiz im Vergleich zum Nationalrat überrepräsentiert sind, stellen die Christdemokraten (früher: Katholisch-Konservative Volkspartei) die größte Fraktion im Ständerat, obwohl sie landesweit nur die viertgrößte Partei sind.

Da sich die Mitglieder des Ständerates als eine Art Elite verstehen, herrschen dort strenge Bekleidungsvorschriften. Das muss am 6. März der liberale Zürcher Ständerat Ruedi Noser – an sich einer der bestgekleideten Mandatare des Hauses – am eigenen Leib erfahren. Der Mandatar ist gerade unterwegs und eher leger gewandet, als er von seiner Partei (FDP) wegen einer wichtigen Abstimmung in den Ständerat gerufen wird. Herr Noser betritt den Sitzungsraum, kommt aber bereits nach einer Minute wieder heraus. Der Grund? Noser greift sich mit der Hand an den Hals, das bedeutet: der Mann hat keine Krawatte um. Deshalb verweist ihn die christdemokratische Vorsitzende Brigitte Häberli-Koller sofort des Saales. Noser verharrt im Vorraum bis zum Zeitpunkt der Abstimmung zu verharren, darf aber dann – eine Art Gnadenerweis der Vorsitzenden – seine Stimme abgeben und sich danach endgültig verabschieden.

Im Ständerat herrschen nämlich strenge Kleidervorschriften: die Herren haben im dreiteiligen Anzug (Hose, Weste und Sakko) zu erscheinen; dazu kommt eine Krawatte oder zur Not ein Mascherl, wie das bei uns Wolfgang Schüssel seinerzeit vorexerziert hat. Für Damen gibt es keine detaillierten  Vorschriften, aber auch da ist man streng: Eine Medienvertreterin wurde einmal von der Pressetribüne verwiesen, weil sie ein schulterfreies Oberteil anhatte.

Vom schweizerischen Nationalrat – wo, jeder weiter man auf die linke Seite sieht, immer weniger Selbstbinder zu sehen sind – will sich die kleine Kammer der Volksvertretung mit ihrem starken Anteil an Traditionalisten eben vorteilhaft abheben.

In Österreichs Parlament glaubt man in letzter Zeit auch, es sei besonders cool und progressiv, in wenig stilvoller Gewandung aufzukreuzen; besonders bei Sozialdemokraten und Grünen. Ihnen sei das Credo des seinerzeitigen roten Außenministers Erwin Lanc in Erinnerung gerufen. Lanc, der sich offenbar den vielen kleinen böhmischen Schneidern in Wien verbunden fühlt (einzelne dieser Handwerker noch heute berühmt, etwa Knize am Graben), hat sich einmal angesichts mäßig gepflegter Genossen recht missmutig geäußert: Mangelnde Körperpflege und nachlässige Kleidung sind mitnichten Zeichen einer fortschrittlichen Gesinnung. Das sei auch unseren Volksvertretern ins Stammbuch geschrieben.

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