Im Blutgassenviertel
Barocke Fassaden. Kopfsteinpflaster. Grüne Innenhöfe. Das Blutgassenviertel zählt unbestritten zu den charmantesten und malerischsten Gegenden der Stadt Wien. Es ist eine Art „Klein-Döbling“ mitten in der Inneren Stadt. Die Gebäude erreichen zum Teil bloß die Höhe von Vorstadthäusern – zwei, drei Stockwerke. Klassizismus, Historismus und Jugendstil haben hier keine Spuren hinterlassen.
Hier liegt ein scheinbar unberührtes altes, barockes Viertel in seiner „josephinischen Schlichtheit“ vor uns, dessen Ursprünge sogar weit hinein ins Mittelalter zurückreichen. Enge Gänge, Steinstufen, kleine Türen geben Zeugnis davon. 115 Meter ist sie lang, die Blutgasse, das namentliche Herzstück des Grätzels. Woher der Name kommt, ist umstritten.
Von den einstigen Schlachthäusern, deren Blut hinaus auf die Gasse rann und sich in Rinnsalen über das Pflaster zog? Von Tempelrittern, die hier im ausgehenden 14. Jahrhundert niedergemetzelt worden sein sollen? Von Adeligen, die sich hier in Duellen zu Tode brachten? Oder gar von der berüchtigten Blutgräfin, die sich stets im roten Saft frischer Mädchen gebadet haben soll, um ihre Jugend zu konservieren? Historiker bezweifeln all das.
Schließlich sind aus dem Spätmittelalter unterschiedliche Nennungen überliefert: „Kotgässel“, „Kergasse“, „Gasse hinter den Deutschen Herren“, „Milchgasse“ oder eben „Blutgasse“. Erst im 19. Jahrhundert wird der Name amtlich fixiert. Die Gasse ist schon ihrer Enge wegen Fußgängerzone. Geschäftsräume gibt’s hier kaum. Nur in die anliegenden Domgasse werden unter Deckmantel des geschäftsträchtigen Mozartkults Touristen durch „Wolferls Wohnhaus“ in dieses sonst so wunderbar verschlafene Nest gelockt.
So kann es zuweilen passieren, dass ein weißbesockter Chinese in Sandalen mit Fotokamera, Gattin und Stadtplan den Weg kreuzt. Das Grätzel verläuft hinter dem Stephansdom und wird umgrenzt von der Singerstraße, der Kumpfgasse und der Schulerstraße.
Dazwischen liegen neben der geraden Blutgasse noch die geschwungene Domgasse, die Grünangergasse, die kurze Nikolaigasse. Auch die Namen der fünf Häuser der Gasse vermitteln einen Eindruck jener Zeit, die für dieses steinalte Viertel prägend war: „Trienter Hof“, „Domherrenhof“, „Mittelalterliches Bürgerhaus“, „Deutschordenshaus“, „Zur grünen Raith“ und die beiden „Fähnrichshöfe“, die einst im Eigentum der Templer waren.
Ein kurzer Blick in die märchenhaften Innenhöfe zeigt dem Flaneur eine Vielzahl von Laubengängen – im Volksmund „Pawlatschen“ genannt, die den Zugang zu den Wohneinheiten ermöglichen. Nicht selten fallen grüne Schlingpflanzen aus tönernen Töpfen entlang der Geländer herab – fast, als wäre man im Schanigarten einer Buschenschank.
[Autor: A.L. Bild: Wikipedia/ Lizenz: ]