Efgani Dönmez, Publizist und ehemaliger Bundesrat und Nationalratsabgeordneter, über die Entwicklung in der Türkei und Erdogans verlängerten Arm in Österreich
Zuletzt sorgten Bilder, die den türkischen Präsidenten Erdogan beim ersten Freitagsgebet in der Hagia Sophia nach deren Umwandlung in eine Moschee zeigen, für großes Aufsehen. Welche Symbolkraft hat die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee?
Efgani Dönmez: Durch die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee sendet Erdogan ein unmissverständliches Signal aus, primär an die Öffentlichkeit außerhalb der Türkei. Die Umwandlung des Museums ist für ihn eine Krönung seiner jahrelang neo-osmanischen Bestrebungen und eine klare Botschaft an seine religiösen Anhänger, dass die „Ketten der laizistischsäkularen Knechtschaft“ gesprengt wurden und er sich als Befreier und Beschützer der Muslime inszeniert.
Noch martialischer als Erdogan inszenierte sich beim ersten Freitagsgebet sein aus Jugendzeiten treuer Wegbeleiter Ali Erbas, zufällig Chef der Religionsbehörde (Diyanet) mit einem Budget, welches bei der Machtergreifung der AKP (2002) mit einem Budget von 550 Millionen ausgestattet war und das bis 2020 unter der islamistischen AKP auf 11,5 Milliarden aufgestockt wurde. Von diesem Budget können das Bildungsministerium, Gesundheitsministerium und viele andere Ministerien nur träumen. Nur das türkische Verteidigungsministerium hat ein höheres Budget. Somit hat Erdogan zwei Heere zur Verfügung.
Das türkische Militär war die letzte Bastion der Wächter über die Trennung von Staat und Religion, somit der säkularen Türkei. Diese Hochburg hat Erdogan, gemeinsam mit seinem islamistischen Wegbegleiter Fetullah Gülen, dem charismatischen religiösen Führer der Gülen-Sekte, welcher im amerikanischen Exil lebt und von dort aus mit Unterstützung der amerikanischen Geheimdienste die Geschicke in der Türkei lenkte, zu Fall gebracht. Es zeichnete sich schon vor dem inszenierten Putsch (2016) Spannungen zwischen den zwei islamistischen Wegbegleitern der AKP und der Gülen-Bewegung ab, welche sich 2016 in einem Machtkampf entluden. Seit diesem Kampf um die Machtaufteilung stehen die ehemaligen Wegbegleiter der AKP nun auf der Terrorliste und werden weggesperrt, ins Exil gedrängt und deren Netzwerke zerschlagen. Erdogan hat erkannt, dass er, einmal an der Spitze der Macht, diese mit niemandem mehr teilen muss.
Wie schätzen Sie Erdogan ein: Ist er ein Islamist oder ein türkischer Nationalist, der vom Wiederaufstieg des ehemaligen Osmanischen Reiches träumt?
Dönmez: Erdogan ist ein Erfüllungsgehilfe jener Mächte, welche ihn an die Macht gebracht haben. Diese waren nicht nur ein Teil der türkischen Wähler, welche durch – kolportiert manipulierte – Wahlen vor vollendete Tatsachen gesetzt wurden, sondern vor allem seine sunnitisch-arabischen und amerikanischen Sponsoren.
Einer der mächtigsten Berater des Weißen Hauses war Zbigniew Kazimierz Brzezinski, dessen Doktrin lautete: „Ein paar Islamisten, richtig platziert, ermöglichen der amerikanischen Außenpolitik uneingeschränkte Handlungsmöglichkeiten.“
Brzezinski war übrigens jener Mann, welcher Osama Bin Laden dokumentierte Waffenlieferungen persönlich übergab, als diese noch Verbündete im Kampf gegen die Kommunisten waren. Gegenwärtig ist selbst für den außenstehenden Beobachter unübersehbar, dass viele Islamisten, wie zum Beispiel Erdogan einer ist, diese Marionetten und nützliche Erfüllungsgehilfen sind, um sich Zugang zu den Märkten, Rohstoffen und der Implementierung einer neokapitalistischen Wirtschaftsform in den muslimischen Ländern fungieren.
So lange diese Islamisten spuren, können sie schalten und walten, wenn nicht, dann ereilt sie das Schicksal von vielen anderen Islamisten, wie z.B.: Operation Geronimo – EKIA (Enemy Killed In Action – Feind im Kampf getötet/Tötung von Osama Bin Laden 2011). Wer Erdogans politische Karriere verfolgt, wird unübersehbar erkennen, dass er, wie sein politischer Ziehvater Necmettin Erbakan, Gründer der nationalistisch-islamistischen Milli Görüs, von Anfang an auf die islamistisch-nationalistische Karte, , gesetzt hat. Erdogan wurde von vielen mächtigen Stimmen aus den USA und auch aus Europa sowie Österreich als das moderate Gesicht einer Symbiose zwischen Moderne und Islam hochgepriesen.
Was hinter dieser Maske steckt, haben die wenigsten erkannt und wahrhaben wollen. Erdogan ist jemand, der die religiösen Gefühle der Menschen missbraucht, um damit Politik zu betreiben, und ist das Paradebeispiel für das Gesicht des politischen Islams. Seine neo-osmanischen Bestrebungen, welche er durch unterschiedlichste Aktivitäten vorantreibt, dienen auch zur innenpolitischen Ablenkung.
Die Arbeitslosigkeit in der Türkei ist auf einem Rekordhoch, die Wirtschaft in einem freien Fall, die Staatsverschuldung außer Kontrolle geraten und es gibt kaum ein Land, mit dem sich Erdogan nicht angelegt hat. Da ist jegliche Ablenkung und Inszenierung willkommen, um von den wahren Problemen im Land abzulenken.
Auch vier Jahre nach dem Militärputsch kommt es immer wieder zu Verhaftungen und mehr als fragwürdigen Gerichtsurteilen, und in den jährlichen Fortschrittsberichten der EU ist fast nichts über Fortschritte in der Türkei zu lesen. Müsste die EU nicht, wenn sie in Sachen Menschenrechte und Werte nicht unglaubwürdig erscheinen will, die Beitrittsverhandlungen abbrechen?
Dönmez: Die Türkei hat sich unter Erdogan von einem Rechtsstaat verabschiedet. Dies ist auch keine besonders neue Erkenntnis, jedoch der Umstand, dass die EU nur zögerlich darauf reagiert und der Türkei weiterhin Gelder in Millionenhöhe gewährt, um die Rechtstaatlichkeit und funktionierende Justiz zu implementieren, gleicht einer Verhöhnung der von Unrecht und Willkür betroffenen Bürger sowie der europäischen Steuerzahler.
Was den EU-Beitritt der Türkei betrifft, wurden sehr viele Fehler in der Vergangenheit von beiden Seiten begangen. Die Haltung der EU hat unter anderem zur Stärkung von Erdogans AKP und der Schwächung der demokratisch, säkular progressiven Stimmen in der Türkei beigetragen. Ein EU-Beitritt unter dieser AKP-Regierung ist denkunmöglich und würde den letzten Sargnagel für diese europäische Union bedeuten.
Ende Februar, Anfang März drohte Erdogan mit der Öffnung der türkischen Grenzen für syrische Flüchtlinge und Migranten, die in die EU wollen. Hat sich die EU mit dem 2016 geschlossenen Flüchtlingsabkommen Erdogan ausgeliefert?
Dönmez: Die Türkei leistet hervorragende Arbeit in der Flüchtlingsbetreuung. Der Preis dafür ist ein hoher, sowohl für die Türkei und die türkische Bevölkerung, aber auch für die EU und uns Europäer. Dessen ist sich Erdogan bewusst und spielt die Trumpfkarte voll aus, welche ihm die EU in die Hand gelegt hat.
Ganz generell, was würden Sie der EU im Umgang mit der Türkei raten?
Dönmez: Die Stärkung der progressiven Stimmen wäre nicht nur für die Türkei notwendig, sondern insgesamt für die EU und die Dynamik im Nahen Osten und der gesamten muslimischen Welt. Wir in der EU und unsere westlichen Verbündeten müssen erkennen, dass die aufgeklärten, säkularen Muslime, welche die ethischen und moralischen Werte einer Gesellschaft im 21. Jahrhundert hochhalten, der Schlüssel zur Lösung der Probleme sind und nicht die Islamisten, welche den Nährboden für Extremismus aufbereiten.
Im Juni sorgten Bilder aus Wien-Favoriten für Empörung und Verstörung, auf denen zu sehen war, dass linke kurdische Gruppen und offenkundig gewaltbereite rechte Türken nur durch ein Großaufgebot der Polizei voneinander getrennt werden konnten. Ist nun Österreich zu einem Austragungsort des türkisch-kurdischen Konfl ikts geworden?
Dönmez: Österreich hat sich zu einem Hinterhof der Politik aus den Herkunftsländern in den letzten Jahrzehnten entwickelt. Das Problem ist jenes, dass wir bis dato kaum in unserem eigenen Land darüber Bescheid wissen, was sich da an höchst problematischen Gruppierungen unter dem Deckmantel des Vereinsrechtes und freien Religionsausübung niedergelassen hat. Die Leute spüren, dass etwas nicht passt und können das nicht richtig einordnen. Deswegen auch die steigende Skepsis bis ablehnende Haltung gegenüber Fremden. Hier ist es enorm wichtig, dass wir die Spreu vom Weizen trennen. Wenn ich in den Nationalrat blikke, dann erkenne ich kaum jemanden, der diese Thematik auch nur annähernd in der notwendigen Tiefe und Klarheit erfassen, kommunizieren, geschweige denn Lösungsmöglichkeiten anbieten kann. Entweder alles Bussi-Bussi und alle haben sich lieb sowie das andere Extrem, alle Türken, Muslime und Ausländer sind gleich schlecht und weg damit. Mit beiden Ansichten kann ich wenig bis gar nichts anfangen.
Sehen Sie Möglichkeiten für eine Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts?
Dönmez: Dem Ausnutzen des Vereinsrechtes muss ein Riegel vorgeschoben werden, viele Vereine und Verbände, welche vorgeben, dass sie Kultur, und Sportvereine sind, sind keine, sondern verlängerte Arme der Politik aus den Herkunftsländern.
Anfang 2020 lebten knapp 120.000 türkische Staatsbürger in Österreich und viele Tausend Zuwanderer aus der Türkei haben bereits den rot-weiß-roten Pass. Aber wie sieht es um deren Integration aus? Sehen Sie hier Defizite bzw. Verbesserungsbedarf?
Dönmez: Man muss sich von der Illusion verabschieden, dass man alle integrieren kann. Jene aus dem nationalistisch-islamistischen Bereich zu integrieren, dies haben wir in den letzten 60 Jahren nicht geschafft und werden es auch in den nächsten 100 Jahren nicht schaffen. Es wurden und werden noch immer viele Fehler in der Zuwanderungspolitik begangen, mittlerweile bin ich müde, immer zu wiederholen, dass man genauer hinschauen muss, wer zu uns kommt und welche Werthaltungen vertreten werden. Die Botschaft muss klar sein, reaktionär nationalistisch-islamistische Haltungen haben bei uns keinen Platz und sind auch nicht willkommen! Solchen Leuten einen Aufenthaltstitel zu geben oder gar die Staatsbürgerschaft zu verleihen, ist einer der größten politischen Fehler, welche man begehen kann.
Welche Rolle bei der Integration von Türken spielt Präsident Erdogan, der zu Wahlkampfzeiten gerne im europäischen Ausland auftritt und auch schon in Wien eine Wahlkampfrede gehalten hat?
Dönmez: Erdogan hat unter jenen Türken in Österreich, welche bei den letzten türkischen Wahlen teilgenommen haben, verglichen mit anderen europäischen Ländern die höchste Anhängerschaft. Es haben von den ca. 120.000 türkischen Staatsangehörigen in Österreich ca. 52.000 an den türkischen Wahlen teilgenommen und davon haben ca. 37.000 die AKP unter Erdogans Führung gewählt, dies sind ca. 70 Prozent. Daran erkannt man, dass viele Strukturen in Österreich aufgebaut worden sind, welche über sogenannte Vereine und Moscheen, welche diesen nationalistisch-islamistischen Strömungen nahestehen, innerhalb kürzester Zeit mobilisiert werden können.
Das Fatale meiner Meinung nach daran ist nicht, dass diese ausländischen Netzwerke hochgezogen worden sind, denn wir ermöglichen diesen Herrschaften diesen Spielraum, sondern dass dies fast unbemerkt jahrzehntelang in unserem Land passieren konnte und kaum jemand in der Politik und in unseren Sicherheitsinstitutionen diese Entwicklungen wahrgenommen hat. Mich hat man angegriffen, als ich solche Entwicklungen vor Jahrzehnten bereits thematisiert habe, denn was nicht sein darf, kann nicht sein. Die Realität holt uns alle ein, manche früher, manche später.
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.
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