Stellt sich in Streit EU-Ungarn an die Seite Brüssels – „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen“
„Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen“, lautet ein bekanntes Sprichwort. Daran sollte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) denken, wenn er sich im Streit zwischen Ungarn und der EU auf die Seite Brüssels stellt. „Es wird aber nur dann europäisches Geld fließen, wenn Reformen durchgeführt werden und die Rechtsstaatlichkeit eingehalten wird“, sagte Kurz. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán verweigert wegen des sogenannten „Rechtsstaatsmechanismus“ die Zustimmung zum EU-Budget und den Corona-Wiederaufbauhilfen.
Im Laufe der Coronakrise zeigte Kurz mehrfach, welches Verständnis er vom Rechtsstaat hat. Im Frühjahr kanzelte der ÖVP-Chef die Kritik namhafter Verfassungsrechtler an den Anti-Corona-Maßnahmen der türkis-grünen Bundesregierung als „juristische Spitzfindigkeiten“ ab.
Und als sich immer deutlicher abzeichnete, dass einige der Maßnahmen verfassungswidrig sind, lehnte Kurz – entgegen den in einem Rechtsstaat üblichen Gepflogenheiten – eine Reparatur ab. Im Gegenteil, der Bundeskanzler reagierte wie ein trotziges Kind und erkläre, man habe „schnell gehandelt“ und das Ganze habe „gut funktioniert“. Ohnedies seien die betreffenden Gesetze und Verordnungen „nicht auf Dauer“, und bis eine Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof stattgefunden habe, „werden sie nicht mehr in Kraft sein“. Der Respekt vor dem Rechtsstaat – die Kurz offenkundig von Orbán einfordert – sieht anders aus.
Zu denken geben muss auch, was der renommierte Verfassungsrechtler und langjährige Dekan der juridischen Fakultät der Universität Wien, Heinz Mayer, vor wenigen Wochen dem „Standard“ sagte: „Die Regierenden zeigen ihre Distanz zum rechtsstaatlichen Denken unverblümter als früher“. Und: „Kurz hat eine Respektlosigkeit brutal ausgesprochen.“
[Autor: B.T. Bild: Parlamentsdirektion / Thomas Jantzen Lizenz: –]