Es ist keineswegs die „erste“ Runde im Ringen um ein umstrittenes Reformkonzept in der Justiz. So gut wie immer berichten die Tageszeitungen wieder einmal inkompetent über das ihr weitgehend unbekanntes Wesen, das sie Justiz nennen. Dem Wunsch nach Aufklärung durch einen Insider, ob, wie und wieweit der Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien die Handfesseln von den Adressaten, den derzeit an den Hebeln der Macht sitzenden Parteipolitikern angelegt werden dürfen, komme ich gerne nach. Zu erfüllen ist er schwer. Denn mit der Abschaffung der „Voruntersuchung“ und damit auch mit der des Untersuchungsrichters am Beginn eines Strafverfahrens, das diesen Namen verdient, ist die solide Systematik eines einst geordneten Vor-„Verfahrens“ samt Kontrollfunktionen des Strafrichters leider weitgehend verloren gegangen.
Was von einer „ersten Runde im Ringen um eine umstrittene Reform“, also von einer Reform der Reform zu halten ist, die heute angeblich auf dem Prüfstand steht, wie sich die „Kronen-Zeitung“ vom 13. April mit ihrem wie üblich hilflosen Wortschatz ausdrückt, ist nicht schwer zu erraten. Es gehe um eine geplante und kritisierte Gesetzesänderung, die die Korruptionsermittler der WKStA, – gemeint wohl in ihren Zuständigkeiten – radikal beschränken könnte, vor allem bei bisher überraschend (!?!) möglichen Hausdurchsuchungen bei Behörden und Ministern. Abgesehen davon, dass unsere StPO das Vokabel „Hausdurchsuchung“ gar nicht kennt, wird es von den Massenmedien nach wie vor zu gerne verwendet, um die Sensationslust ihrer Leser zu befriedigen. In der Marginalrubrik (auf Deutsch Überschrift) im 8.Hauptstück der StPO ist nur „von der Durchsuchung von Orten und Gegenständen“ zu lesen. Allenfalls könnte man darunter schon auch die Wohnung eines Ministers verstehen, ein ganzes Ministerium mit seinen schwer schuftenden Mitarbeitern vom Eingang bis unter das Dach aber nicht.
Lassen wir die Wortklauberei. Das wirkliche Problem liegt ohnedies auf einer anderen Ebene. Für uns interessant ist nur der 2.Teil des 8. Hauptstückes der StPO, in dem der Ablauf des nunmehrigen „Ermittlungsverfahrens“ wortreich zurechtgebogen wird. Es würden die Aufgaben der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes definiert und voneinander abgegrenzt, sowie die „Kooperation“ zwischen Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft festgelegt. Diese Bestimmungen bildeten ein einheitliches Vorverfahren, das – soweit möglich – im Einvernehmen zu führen sei. Die eigene Ermittlungskompetenz der Kriminalpolizei werde ebenso anerkannt wie die Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft in Streit-und Zweifelsfällen.
Dieser zittrige Auszug aus dem „Leitfaden zum Strafprozessreformgesetz“, beschlossen am 26.2.2004, in Kraft getreten mit 12.1.2008 verdient deshalb unser Interesse, weil als Co-Autor am Buchdeckel ein gewisser Herr namens Pilnacek aufscheint. Vielleicht ist das der Grund, dass die Massenmedien diesen Herrn so gerne als „Spitzenjuristen“ belobigen, obwohl er doch nur ein Beamtenleben im Ministerium fristet.
Tatsache aber ist, dass nach diesem verwässerten „Reformgesetz“ die Kriminalpolizei ins Innenministerium, die Staatsanwaltschaften aber in das Justizministerium ressortieren. Ein tatsächliches Einvernehmen zweier Minister, die aus dem Revier zweier unterschiedlich wahlwerbender Parteien entsprungen sind, ist selbst für gezwungene Koalitionäre schwer möglich. Dazu kommt noch als erschwerend bei der Strafzumessung für den Gesetzgeber, dass beide Institutionen hierarchisch organisiert sind, in denen das Weisungsrecht von oben regiert. Wohlgemerkt auch im Justizministerium, wo keine „Spitzenjuristen“, sondern eben nur Beamte sitzen, die so mancher politischen Partei genauso wie der Chef im Haus verpflichtet sind. Den unabhängigen Richtern verbleibt die Rolle des Feigenblattes in der geschädigten Natur zu übernehmen.
Mit der Gründung der WKStA passierte den Türkisen ein Malheur.
Werden wir wieder konkreter. Immerhin unterscheidet die neue StPO noch immer sehr deutlich zwischen den „Sicherstellungen und Beschlagnahmen“ einerseits und der „Durchsuchung von Orten und Gegenständen“ andererseits. Die Reihenfolge hilft beim Denken weiter. Sicherstellung bedeutet zunächst lediglich die Begründung der tatsächlichen Verfügungsmacht über bewegliche körperliche Sachen, die später einmal als Beweismittel dienen könnten, wie auch das gleichzeitig mögliche Verbot der Herausgabe, Veräußerung oder Verpfändung solcher Gegenstände und anderer Vermögenswerte wie Geld, Wertpapiere oder Sparbücher. Beschlagnahme schließt sich an, geht darüber aber hinaus, wenn sie eine „Überleitung“ in gerichtliche Verwahrung erfährt. Die ist grundsätzlich von der Staatsanwaltschaft anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen. Muss es ganz schnell gehen, strafjuristisch Gefahr im Verzug genannt, kann sie fürs Erste einmal eigenmächtig handeln, muss aber unverzüglich der Staatsanwaltschaft darüber berichten, die wieder zu prüfen hat, ob die gesetzlichen Voraussetzungen auch tatsächlich vorliegen, um sogleich die gerichtliche Beschlagnahme bei Gericht zu beantragen, oder die Sicherstellung aufzuheben und der Kriminalpolizei aufzutragen, die sichergestellten Gegenstände zurückzugeben.
Um dieses „Verfahren“ überhaupt in Gang zu bringen, ist jedermann verpflichtet, der Kriminalpolizei auf Verlangen jene Gegenstände zu übergeben, die sicher gestellt werden sollen. Ist eine körperliche Übergabe sofort nicht möglich, ist der Verfügungsberechtigte verpflichtet, die für die Herausgabe erforderlichen tatsächlichen oder rechtlichen Handlungen vorzunehmen, also etwa einen geheimen Code zu verraten oder ein Passwort bekanntzugeben. Womit wir beim aktuellsten Thema, dem Datenzugriff wären.
Elektronische Daten sind immaterielle Objekte und bedürfen für ihre Existenz materieller Verkörperung. Eine Suche nach Daten ist somit untrennbar an die vorhergehende Suche nach Datenträgern verknüpft. Vernetzte Rechner können bekanntlich Schwierigkeiten bereiten, etwa wenn auf dem primär durchsuchten Rechner keine relevanten Datenbestände gefunden werden können, weil diese auf einem im Netz befindlichen Datenserver gespeichert sind. Die Kenntnis der „Netzwerkarchitektur“ ist erforderlich. Betroffene sind daher auch verpflichtet, auch jene Handlungen vorzunehmen, die den Zugang zu diesen gesuchten Informationen gewährleisten, die dort gespeichert sind. Widerspruch ist erlaubt, allerdings mit der zu kontrollierenden Behauptung, dass in ein Beicht- oder Berufsgeheimnis eingegriffen wird. Damit sind wir aber immer noch nicht am Ziel. Gegen den Beschluss des Gerichtes über die Zulässigkeit der weiteren Sicherstellung steht jetzt wieder der Staatsanwaltschaft oder dem Betroffenen die Beschwerde an die nächste Instanz zu. Die oberste davon hat schon messerscharf gedacht und dann entschieden, dass Sicherstellungen doch das Eigentumsrecht verletzen und daher grundsätzlich rechtswidrig sind, wenn sie nicht so rasch wie möglich, sprich unverzüglich, beendet oder durch eine Beschlagnahme geheiligt werden.
Wir sind in jeder Beziehung am Ende, wie der angesprochene Zeitungskommentar auch. Die amtierende Justizministerin sei in der Pflicht, die sie auch wirklich wahrnehmen will, ist zu lesen. Sie lasse die geplante Reform detailliert prüfen und verspricht, es werde nichts passieren. Pardon, der Satz im Original geht weiter.: …was die WKStA, die mit ÖVP/Pilnacek demnächst wohl keine Friedenspfeife rauchen wird, in ihren Möglichkeiten einschränke. Dahinter aber steht das Problem, dass mit der Gründung der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft jedenfalls den Türkisen ein Malheur passiert ist, das ausgerechnet eine Grüne reparieren soll. Es war doch zu erwarten, dass mit deren bundesweiten Spezialzuständigkeiten ein mächtiges Konkurrenzunternehmen für die Wiener Staatsanwaltschaft im Zentrum der Korruption und damit Rivalität geschaffen wurde, die man doch parteipolitisch ausnützen könnte. Ob das funktioniert oder zum nächsten Malheur führt? Die Grünen sind zwar Koalitionspartner, aber nur das Beiwagerl auf dem ohnedies schon holprige gewordenen Weg zur Gemeinsamkeit. Bei dieser Wetterlage der beleidigten Koalitionspartei den Schirm aufzuspannen wird schwerfallen, zumal beim Verlangen, dass sich die WKStA gefälligst nicht mehr in die inneren Angelegenheiten einer Kanzlerpartei mit Sicherstellungen, Beschlagnahmen und überraschenden Durchsuchungen in seinem eigenen Haus einzumischen hat, das sie nichts angeht.
Kein Grund zur Aufregung, Herr Bundeskanzler. Wie mein Kommentar gezeigt hat, gibt es kein systematisches Vorverfahren unter Kontrolle der Strafrichter mehr; also auch genug Möglichkeiten, schon vorher in den Bereich der Beamtenhierarchie und ins Weisungsrecht abzubiegen.
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