Psychotherapeutin und Buchautorin Rotraud A. Perner übers Gendern, über geschlechtersensible Sprache und die Frage, ob das Geschlecht frei wählbar sei.
Frau Dr. Perner, Begriffe wie „Gendern“ oder „geschlechtersensible Sprache“ nehmen in der öffentlichen Diskussion immer breiteren Raum ein. Wird damit den Frauen gedient?
Rotraud A. Perner: Das kommt darauf an, was das Ziel ist: wenn man sie für bestimmte Berufe motivieren will, sicherlich. Wenn man es als Kampfmittel gegen historisch bedingte „Männerreservate“ einsetzen will, sicherlich nicht.
Was ist Ihr persönlicher Eindruck: Überwiegt bei den Zielen die Motivation oder das Kampfmittel?
Perner: Ich sehe diejenigen, die sofort zu kämpfen beginnen und andere, denen es wirklich um Aufklärung geht – Sprache ist ja etwas Lebendiges, denken wir nur an die Lautverschiebungen, an die Anredeformen, an langsam sich entwickelnde Pejorationen wie bei Pfaffe oder Weib… oder an die auswuchernden Anglizismen, oder das Verschwinden der lateinischen oder altgriechischen Bildungs-Pfauenräder …
In Ihren Büchern verwenden Sie manchmal das Binnen-I und manchmal nicht. Was ist die Entscheidungsgrundlage für das Binnen-I bzw. was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen?
Perner: Sprache hat Suggestivkraft, und „gendersensible“ Sprache soll in den geistigen Bildern der LeserInnen oder HörerInnen nicht nur ein Geschlecht aufscheinen lassen. Ich selbst verwende es dann, wenn mir genau das wichtig ist – wo ich es für verzichtbar halte, benütze ich eine der beiden Möglichkeiten.
Können Sie Beispiele nennen, wo Ihnen das Binnen-I wichtig ist und wo Sie es für verzichtbar halten?
Perner: Wenn eine Frau Mitbewerberin ist wie bei der Bundespräsidentschaftswahl oder seinerzeit bei Taxi Orange … verzichtbar halte ich das „SuS“ (Schüler und Schülerinnen) in Pädagogikbüchern – steht wirklich so drin! Da reicht doch Schülerschaft, ohne noch einmal zu gendern.
Gendern, eine angebliche Vielzahl von Geschlechtern und dergleichen war vor zwanzig Jahren kein Thema. Warum hat sich das seitdem so rasant geändert? Sind Veränderungen in der Gesellschaft die Ursache?
Perner: Es war in Österreich kein Thema – in Südamerika oder Indien, wo es traditionell mehr als zwei oder drei, nämlich undifferenziert – Geschlechter (z. B. Hijra oder Berdache) gibt, gab es das immer schon. Als ich 1996 den Österreich-Teil der „International Encyclopedia of Sexuality“*) verfasste, wurde ausdrücklich danach gefragt.
„Sprache ist etwas Lebendiges, denken wir nur an die Lautverschiebungen – oder an die auswuchernden Anglizismen.“
Warum sind Gendern oder Debatten, wie viele angeblich frei wählbare Geschlechter es gibt, so polarisierend? Hängt das vielleicht damit zusammen, dass es sich dabei um Themen handelt, die einerseits tief in den privaten Bereich hineinreichen und andererseits ideologisch unterfüttert sind?
Perner: Man kann alles in den privaten Bereich hineinziehen oder ideologisch nutzen – das hat damit zu tun, dass viele Menschen, egal welchen Geschlechts, unbedingt siegreich mit ihren Ansichten sein wollen.
Sie sind ja seit vielen Jahren als Psychotherapeutin tätig: Wie sehen Sie eigentlich die Diskussion, ob das Geschlecht ein soziales bzw. konstruiertes und damit frei wählbar sei?
Perner: Da muss man differenzieren: das „soziale“ – d. h. „anerzogene“, englisch „gender“ – Geschlecht kann auf vielfältige Weise verändert werden – z. B. durch Bewusstmachung, und das geschieht ja seit gut 30 Jahren, da und dort … Auch das „biologische“ Geschlecht – englisch „sex“ – kann, nämlich operativ, verändert werden, wenn eines der sieben medizinischen Kriterien der Übereinstimmung (chromosomales, hormonelles, Keimdrüsengeschlecht, innere, äußere Genitalien, sekundäre Geschlechtsmerkmale, sowie psychische und soziale Geschlechtseinordnung) fehlt und eine bestimmte Anzahl von Psychotherapiestunden zur Abklärung allfälliger Psychopathien bzw. Realisierung, was Leben im Zielgeschlecht bedeutet, absolviert wurden. Von „frei wählbar“ ist da keine Rede – da geht es eher um Suizid-Verhütung.
Wie sehr leiden Menschen, die in den „falschen“ Körper hineingeboren wurden?
Perner: Also diejenigen, die ich betreut habe, haben schon in ihrer Vor-Schulzeit „gewusst“, dass sie anders sind – und bei denjenigen, die in ihrem So-Sein nicht akzeptiert wurden – der Mehrheit –, ging das bis zu Suizidgedanken oder -versuchen aufgrund von Vorwürfen der Eltern – meist der Väter –, Spott in der Schule, kein Wissen und keine Ansprechpersonen. Aus psychoanalytischer Sicht sind wir alle bisexuell und es liegt daran, mit welchem Elternteil wir uns identifizieren – zu schlappe oder brutale Väter sind es oft nicht – bzw. in wen wir uns verlieben – und das kann sich alles im Laufe unseres Lebens ändern. Ich plädiere für unaufgeregte, nicht zu umfangreiche Information durch gut ausgebildete Fachleute (der Biologieunterricht ist erneuerbedürftig – steht in meinem Pädagogikbuch, das Ende August erscheinen soll), auch für Eltern etc. und Zeit lassen, wie eine Person sich entwickelt. Das wichtigste ist immer, dass sie am Leben bleibt! Und dieses lebbar gestalten kann.
Kann diese Diskussion nicht auch negative Folgen für labile Menschen oder für Kinder und Jugendliche haben?
Perner: Diskussion grundsätzlich kaum – aber wenn sie tendenziös, gehässig, ausgrenzend geführt wird, schon – denn das hat mit Stil zu tun, nicht mit Inhalt.
*) International Encyclopedia of Sexuality – Wikipedia
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.
[Autor: – Bilder: PxHere Lizenz: -]
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