Die Österreicher sind die „Chinesen Europas“

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Meinungsforscher Werner Beutelmeyer über Österreich und die Coronakrise

Die Coronakrise hat den beiden Regierungsparteien hervorragende Umfragewerte gebracht und die Bevölkerung ist mit den Maßnahmen der Bundesregierung weitgehend zufrieden. Wie lange wird die günstige Stimmung für die Regierung noch anhalten?
Werner Beutelmeyer: Die Stimmung bröckelt bereits, das zeigen die aktuellen Ergebnisse, weil der wirtschaftliche Kollateralschaden für jedermann sichtbar wird oder bereits ist. Deshalb geht es um existentielle Sorgen. Wir haben vor einer Woche die Frage gestellt: „Wie sehr fürchten Sie die Auswirkungen von Corona für sich persönlich auf der gesundheitlichen und auf der wirtschaftlichen Ebene?“ Da war letzte Woche die Wirtschaftsangst erstmals stärker als die Gesundheitsangst. Wenn viele Maßnahmen, die durchaus umstritten sind, weitergeführt werden, dann führt das zu einer Situation, in der Reflexion stattfindet. Aber dennoch ist in der Bevölkerung nach wie vor größte Sensibilität hinsichtlich Corona vorhanden – viele sagen, sie fürchten sich vor einer zweiten Welle. Schwerwiegend wirkt aber der wirtschaftliche Schaden, und wir sehen, wenngleich die Österreicher gut zurechtkommen, wöchentlich einen Anstieg des Verlusts an Lebensqualität. Die Zukunftangst hat zugenommen und es ist zu erwarten, dass die Regierung kritischer bewertet wird, wenngleich die Opposition nichts zu bieten hat. Wir haben eine Opposition – egal welche –, die in den Erdlöchern verschwunden ist. Man hat den Eindruck, dass jede Partei, ob das die FPÖ, ob das die SPÖ ist, mit sich selbst beschäftigt ist.


Prof. Dr. Werner Beutelmeyer
Institutsvorstand und Geschäftsführer
Quelle: market.at

Könnte sich das Erscheinungsbild der Opposition ändern, wenn es darum geht, konkrete Maßnahmen zur Beseitigung der wirtschaftlichen Kollateralschäden zu setzen? Man muss kein Hellseher sein, um festzustellen, dass es rigorose Sparpakete geben wird müssen.
Beutelmeyer: Das Dilemma beginnt damit, dass man nicht weiß oder nicht wissen will, wie die Zukunft ausschaut, wie es mit dem Arbeitsplatz weitergeht, weil der wirtschaftliche Schaden so groß ist. So weit denkt man wahrscheinlich noch gar nicht, dass die Finanzierung dieser Lücken gewaltige Sparpakete bringen und einiges an politischer Phantasie abverlangen wird. Am Ende wird in Europa wohl ein amerikanischer Weg beschritten, wo dann die Gelddruckmaschinen angeworfen werden und keiner nach der Stabilität der Währung fragt. Aber das ist der Bevölkerung zunächst einmal egal, sie sagt, wichtig ist, dass hier zunächst einmal Geld fließt, wo auch immer das herkommt.

Das erste Corona-Maßnahmenpaket wurde im Nationalrat noch einstimmig beschlossen, und dann hat sich seitens der Sozialdemokratie und der Freiheitlichen Kritik erhoben, es wurde Sorge um die Grundrechte geäußert. Aber das ist bei der Bevölkerung nicht wirklich angekommen. Haben bei der Bevölkerung die Ängste und Sorgen überwogen?
Beutelmeyer: Die Ängste haben überwogen, und man hat auch sehr viel Angst gemacht. Wir haben in einer internationalen Studie das Pflichtbewusstsein abgefragt und das Fazit war, dass die Österreicher sehr, sehr umsetzungspflichtorientiert sind. Die Chinesen liegen hier nicht überraschend an erster Stelle, was den Gehorsam der Obrigkeit gegenüber betrifft, und die Österreicher sind in Europa so etwas wie die „europäischen Chinesen“ mit einer ungeheuren Obrigkeitsgläubigkeit und -hörigkeit. Anders ist die Lage in den USA oder England, wo man stärker Eigenverantwortung praktiziert und sich nicht so sehr auf die politische Linie verlässt. Damit ist auch die Beurteilung der Regierungen unterschiedlich: Die Pflichtbewussten – wie die Chinesen und die Österreicher – haben in der heißen Phase die eigene Regierung sehr gut beurteilt, während England und USA die Regierungsmaßnahmen schlechter beurteilt haben. Ich glaube, es gibt jetzt eine Ernüchterung und es wird auch eine politisch-inhaltliche Ernüchterung geben, denn es ist vieles im Nachhinein hinterfragenswert.

Könnte diese Ernüchterung auch die Chance für die Opposition sein, wieder Tritt zu fassen?
Beutelmeyer: Das glaube ich schon. Es wird enorm viel Arbeit geben, es wird enorm viel zu reparieren sein. Und das eine oder andere, was passiert ist, wird auch hinterfragenswert sein. Und das ist natürlich die inhaltliche Basis für die Oppositionsarbeit. Was die politische Zustimmung anbelangt, sind die Werte der Regierungsparteien seit 14 Tagen im Sinken, wenngleich immer noch sehr hoch, aber das ist eine erste Reflexion, wo man sich fragt, ob das nötig war und ob das immer noch nötig ist. Es ist derzeit die Überzeugung groß, dass eine zweite Welle kommt, gleichzeitig sieht man aber, dass die Durchseuchungsrate offenkundig extrem niedrig ist und hier herrscht bei der Bevölkerung eine innere Zerrissenheit vor.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

[Autor: . Bild: Wikipedia/Bundesministerium für Finanzen Lizenz: CC BY 2.0]

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