Autor: E.K.-L. Bild: Screenshot „oronk.hu“
Hat der Chef der Roma-Selbstverwaltung seinen eigenen Posten gegen Geld offeriert?
Die Nachricht schlug in Ungarn wie eine Bombe ein: Seit Mittwoch, dem 31. August, befindet sich János Agócs in Gewahrsam. Der Mann ist nicht irgendwer, sondern der Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Roma (ung. cigány). Ein außergewöhnliches Vergehen wird ihm zur Last gelegt.
Die renommierte deutschsprachige Budapester Zeitung schreibt darüber am 2. September:
„Agócs soll im Sommer verschiedenen Politikern der Zigeuner-Minderheit den eigenen Posten offeriert haben, für ein ‚Entgelt‘ von 30 Mio. Forint (75.000 Euro). Das ‚Angebot‘ war angeblich bis ins Detail ausgearbeitet: Agócs wollte für seinen Rücktritt unverzüglich 18 Mio. Forint annehmen, während die restliche Summe bis Jahresende hätte übergeben werden dürfen. Den ‚Ämtertausch‘ stellte sich der oberste Repräsentant der Roma so vor, dass er gleichzeitig mit seinem Rücktritt den Geldgeber zu seinem Stellvertreter ernennt, der weiter vorgehen dürfe. Außerdem wollte er tatkräftig mithelfen, dass die Wahl seines Nachfolgers auf die richtige Person fällt …“
Natürlich gilt für den Verdächtigen die Unschuldsvermutung, aber nach ungarischem Strafrecht droht ihm wegen Korruption zwei bis acht Jahre Haft.
In Ungarn hat jede der dreizehn Volksgruppen (die stärkste unter ihnen sind die Ungarndeutschen, für die Emmerich Ritter in der Budapester Volksvertretung sitzt) ihre eigene Selbstverwaltung mit bestimmten Befugnissen und darf einen Vertreter ins Parlament entsenden.
János Agócs ist erst seit drei Brottag‘ Chef des, wie man so allgemein zu sagen pflegt, ziehenden Volkes im Magyarenland. Die Delegierten der Roma-Selbstverwaltung ORÖ (Országos Roma Önkormányzat; früher: OCÖ, also: Országos Cigány Önkormányzat) kürten ihn erst im November des Vorjahres zum Listenführer für die im April 2022 anstehenden Parlamentswahlen. Sein unterlegener Gegenspieler Lungo Drom zog daraufhin gegen das Wahlergebnis vor Gericht und erhielt letztlich vor dem Verfassungsgericht (!) Recht. Die Neuwahl der Landesliste ging jedoch in einem skandalösen Tumult unter, woraufhin die Roma überhaupt keine Liste nominieren konnten und für den Parlamentszyklus 2022-26 ohne Sprecher in der Volksvertretung bleiben.
Es bleibt sohin abzuwarten, ob János Agócs für längere Zeit, wie die Magyaren sagen: rács mögé kerül, sohin: hinter Gitter kommt. Zunächst bleibt Agócs laut Anordnung des zentralen Bezirksgerichts in Budapest bis 2. Oktober in Untersuchungshaft.
Ganz nebenbei: Agócs ist ein Mann der Linken, deren Denken und Handeln bekanntlich von hoher Moral geprägt ist. Zu Jahresbeginn posierte er noch an der Seite von Péter Márki-Zay, dem im April bei der Parlamentswahl grandios gescheiterten Anwärter auf das Amt des Regierungschefs.