Autor: Manfred Tisal Bild: Wikipedia/SPÖ Presse und Kommunikation Lizenz: CC BY-SA 2.0
Ex-ORF-Chefredakteur Walter Seledec über den festen Griff der Parteien auf den ORF und die sich daraus ergebende Unreformierbarkeit des größten Medienunternehmens des Landes
Nach dem Rücktritt von Matthias Schrom als ORF-Chefredakteur, weil er Mitglied einer WhatsApp-Chatgruppe der FPÖ war, ist nun eine Debatte über die politische Einflussnahme auf den ORF entstanden. Wie sehen Sie das?
Walter Seledec: Das Hauptproblem ist, dass eine allgemeine Unzufriedenheit nicht nur in Bezug auf Personen besteht, sondern dass die Öffentlichkeit den Eindruck hat – der nicht falsch ist –, dass der ORF und insbesondere die Nachrichtenredaktion nicht das gesellschaftliche Spiegelbild der Republik darstellt. Der ORF hat eine dominierende Stellung in der österreichischen politischen Medienlandschaft, und dieser ORF ist nach dem allgemeinen Empfinden der Leute eben nicht objektiv genug, sondern er hat eine politische Schlagseite. In welche Richtung, hängt immer davon ab, wer an der Unternehmensspitze stärker ist, wobei im konkreten Fall so ist, wenn man das Ergebnis der letzten Wahl innerhalb der ORF-Belegschaft hernimmt, dass es eine massive Mehrheit des linken Bereichs gibt. Das hat sich in den vergangenen Jahren kaum geändert und das schafft Unmut.
Und jetzt hat ein Mensch, nämlich Matthias Schrom, diesen Unmut auch transportiert. Leider nicht sehr geschickt, weil er es geschrieben hat und es nie so hätte machen dürfen, sondern durch die politischen Gespräche eine Änderung zu erreichen, was ihm nicht gelungen ist. Das ist jetzt die Rechnung und nun stürzen sich die sogenannten Beschützer der Medien-Republik alle auf Matthias Schrom und sagen, „Du Böser, Böser“. Dass es Jahrzehnte lang nie anders war, darüber spricht ja keiner, denn der Staat, sprich: die Parteien, haben diesen ORF fest im Griff und werden ihn auch nicht loslassen, koste es, was es wolle. Auch jede Reform ist aus meiner Sicht zum Scheitern verurteilt.
Wenn Sie sagen, dass jede Reform zum Scheitern verurteilt ist, hängt das damit zusammen, dass der ORF in der österreichischen Medienlandschaft zu einflussreich ist?
Seledec: Selbstverständlich, das ist das entscheidende Kriterium! Da die übrige Medienlandschaft „nicht steuerbar genug“ ist, ist es besser, diesen Elefanten im Medienbereich, nämlich den ORF, zu dressieren, und das hat man über Jahrzehnte gemacht, und jeder hat zugeschaut und niemand hat sich aufgeregt. Jetzt auf einmal sieht man diese sehr ungeschickte Maßnahme und sehr schlechte Maßnahme des Herrn Schrom und schreit laut: „Skandal! Skandal!“ Wie wird man denn zum Beispiel ORF-Generaldirektor? Indem man den Mächtigen gefällig ist oder ihnen nahesteht oder ihre Meinung vertritt. Das ist ja alles geheuchelt, was sich da abspielt!
Ist diese ganze mediale Empörung nicht auch eine Heuchelei? Nehmen wir einmal an, es wäre ein hochrangiger Journalist des ORF Mitglied einer WhatsApp-Chatgruppe der Grünen oder der SPÖ.
Seledec: Es ist eine bodenlose Heuchelei, weil die Realität alledem widerspricht. Anstatt dass man hier einmal beginnt Ordnung zu schaffen oder andere Kriterien einzuführen, denkt hier die Regierung nicht daran. Wenn ich lese oder höre, dass heute die Grünen sagen, eine Änderung des ORF-Gesetzes ist nicht vorgesehen, dann ist klar: Solange sie ihre Machtposition haben, sprich Entscheidungsträger sind, wer wann wo was macht, dann sind alle dafür, weil das derzeitige System die Mächtigen unterstützt und nicht das Volk.
Wie wird man denn ORF-Generaldirektor? Indem man den Mächtigen gefällig ist oder ihre Meinung vertritt.
Sie waren ja auch Chefredakteur des ORF: Wie war es zu Ihrer Zeit um die politische Einflussnahme bestellt?
Seledec: Ich möchte nicht sagen, dass ich eine Jungfrau bin, ich habe meine Gesinnung – ich bin auch Mitglied der FPÖ – nicht geleugnet. Aber ich habe über zwei oder drei Jahre dem damaligen Generalintendanten einen Brief geschrieben als Walter Seledec – nicht als FPÖ – und gesagt, ich möchte gerne und so weiter. Zuerst habe ich keine Antwort bekommen und nach dem dritten oder vierten Mal hat es geklappt, ich wurde zu einem Gespräch eingeladen und ich habe meine medienpolitische Erfahrung dargelegt. Dann hat man mich auf Probe genommen, lustigerweise in den „Club 2“, die linkeste Sendung, die es jemals gegeben hat. Dort habe ich meine erste Zeit verbracht und nachdem man gesehen hat, dass ich überhaupt kein Weichensteller für blaue Weichen bin, sondern mich primär für Wehrpolitik interessiert habe, und das natürlich im Interesse Österreichs, wurde das anerkannt und es gab nie eine Diskussion.
Ich erinnere mich heute noch sehr gut, wie sich die Gutmenschen aufgeregt haben, als ich einmal an einem Allerseelentag am Gedenken am Grab des Jagdfliegers Walter Nowotny teilgenommen habe. Da hat mich der ORF sofort außer Dienst gestellt, weil die Tageszeitung „Die Presse“ geschrieben hat, „Skandal, ORF-Chefredakteur ist beim Grab von Nowotny“. Man hat mich diszipliniert, mich dienstfreigestellt, und natürlich hat sich im Verfahren, das anschließend stattgefunden hat, zu Recht herausgestellt, dass ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen. Aber so hat man Andersdenkende im ORF immer verfolgt. Aber Andersdenkende waren immer die anderen, niemals die eigenen.
Es gibt große Unterschiede zwischen dem Küniglberg, also sozusagen dem Bundes-ORF, und den einzelnen Landesstudios, beispielsweise Niederösterreich, wo man eine ÖVP-Nähe nicht leugnen kann.
Seledec: Die Landessstudios sind Filialen der Landespolitik und nichts anderes, auch wenn es ab und zu interessante Berichte lokaler oder regionaler Art gibt. Das liegt daran, dass der Landeshauptmann Mitspracherecht bei der Ernennung des Landesintendanten hat. Bitte, was hat der Landeshauptmann mit dem medienpolitischen Kurs eines Unternehmens zu tun? Na, weil er mitbestimmt, was los ist. Ein unmöglicher Zustand!
Kann man diesen unmöglichen Zustand noch beseitigen, sind Reformen des ORF noch möglich?
Seledec: Ich fürchte nicht, weil der politische Wille einfach nicht vorhanden ist. Wenn die Mächtigen immer sozusagen mit elf Fingern nach dem ORF greifen – nicht mit zehn –, dann ist völlig klar, dass eine Änderung im Sinne einer Qualifikation ohne parteipolitischen Hintergrund nicht denkbar ist.
Man schimpft also über die gegenwärtigen Zustände, will sie aber nicht ändern, weil man selbst vom System profitiert.
Seledec: Ganz genau das ist es.
Der ORF bekommt immer mehr Konkurrenz, nicht nur durch Privatsender, sondern auch durch die sozialen Medien. Könnte hier diese Reformunlust bzw. Reformunwilligkeit der Politik dem Unternehmen langfristig auf dem Kopf fallen, weil der ORF verliert ja schon seit Jahren Marktanteile.
Seledec: Das ist richtig, aber er ist immer noch unumschränkter Marktführer und daran wird sich vorläufig in absehbarer Zeit nichts ändern. Der ORF ist wie ein Bär, der nass wird: Er schüttelt sich ab bis er trocken ist.
Dann wird es wieder ruhig in der medienpolitischen Diskussion, und ich glaube nicht, dass es Privaten, abgesehen von Einzelbereichen wie dem Sport, der weniger politisch ausgeprägt ist, gelingen wird, im Nachrichtengeschäft große Marktanteile zu gewinnen.
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.
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