Die Psychoanalytikerin und Autorin Rotraud A. Perner über Hass in der Gesellschaft, seine Ursachen, die Rolle von Politik und Medien und Möglichkeiten zur Vermeidung und warum Lagerbildung kontraproduktiv ist.
Der tragische Suizid einer oberösterreichischen Ärztin, die massiv von sogenannten Coronaleugnern bedroht wurde, rückt einmal mehr das Problem „Hass im Netz“ in die Schlagzeilen. Wie groß ist Ihrer Meinung nach das Problem „Hass im Netz“?
Rotraud A. Perner: Mit „Hass im Netz“ wird die Empörung über die Überschreitung der Grenzen des „guten Benehmens“ zusammengefasst – aber wer/wo seine/ihre Grenzen hat, ist unterschiedlich z. B. nach Herkunft, Erziehung, Vorbildern (Medien!). Wir wurden z. B. in meiner Zeit als Kommunalpolitikerin darauf trainiert, bei Menschen, die gebildeter, „feiner“ wären als wir, möglichst „ordinär“ aufzutreten. Aus meiner Erfahrung hat das weniger mit Hass als mit Hetze zu tun – und das gab es immer schon siehe Hexen- und Ketzerverfolgungen, Pogrome, rassistische Ausschreitungen – da gibt es sehr viele und gute historische Aufarbeitungen.
In der medialen Berichterstattung ist ausschließlich von Hass von Rechts die Rede, aber nie vom Hass von Links. Wie ist das zu erklären? Gibt es nach Faschismus- und Rechtsextremismuskeule vielleicht auch eine „Hasskeule“?
Perner: Das bezieht sich vor allem auf die Modelle der 1920er Jahre, weil man das folgende kollektive Verbrechen an der Menschheit in seinen Wurzeln aufarbeiten wollte – während Pendants z. B. im Stalinismus nur von Seiten dissidenter Literaten thematisiert wurden. Aber Menschenhatz gibt es im Kleinen – siehe Mobbing – und eben auch im Großen. Der „linke“ Terrorismus z. B. der Roten Brigaden verfügte noch nicht über das Internet.
Wenn der Vorwurf des Hasses immer inflationärer verwendet wird, bedeutet das nicht eine Gesprächsverweigerung und letzten Endes eine Gefahr für die Demokratie?
Perner: In dem Moment, in dem ich jemanden schockieren will, in dem ich ihn mit voller Hassenergie entgegentrete, will ich ihn ja vertreiben. Das ist wie beim Mobbing. Wie bereits erwähnt, die Geschichte ist voll davon: Die Römer waren noch etwas friedlicher und haben die Leute einfach verbannt, während das in der Gemeinschaft Isolieren, dass man die Leute vollkommen ignorierte, sie zu nichts machte, erst sehr viel später kam. Hier darf man sich nicht wundern, wenn etwas passiert. Schon seit über 20 Jahren beschäftige ich mich mit den School Shootings (Amokläufen an US-Schulen und Nachahmungen in Deutschland, Anm. d. Red.) und habe sowohl mit potenziellen Tätern als auch mit Opfern gesprochen. So etwas entsteht, wenn jemand dauernd gemobbt, dauernd verachtet, dauernd ausgegrenzt wird und oder dauernd zu Unrecht kritisiert wird – dann muss sich die Person schützen und verschließen. Dieses Verschließen verengt, es verengt den Blickwinkel, die Herzkranzgefäße, und es wäre alles vermeidbar, wenn man die Leute ernst nimmt und ihnen zuhört. Natürlich kann/darf man auch sagen, „Bitte mäßige deine Sprache!“, oder „Erkläre mir das“, aber ohne zu moralisieren.
Gerade, wenn man am Beginn herausfiltert, worum es den Leuten geht, was sie stört und was sie anders haben möchten, dann kommen oft gute, brauchbare Vorschläge. Aber man muss eben miteinander menschlich umgehen und nicht wie Bestien.
Oft wird der Politik vorgeworfen, sie operiere mit Schlagworten und trage damit zur Förderung des Hasses bei. Wie sehen Sie die Rolle der Politik?
Perner: Ich bin kein Freund dieser „Sager“, weiß aber aus meiner Zeit als Politikerin, wie wir darauf hintrainiert wurden. Ich finde das nicht hilfreich, es ist nur für manche Journalisten hilfreich, die sich dann auf solche Sager stürzen. In der Politik sollte eher Klarheit gesprochen werden, damit die Zuhörerschaft versteht, worum es geht. Gegen einen gelegentlichen Scherz ist nichts einzuwenden, aber wenn es nur darum geht, den politischen Gegner herunterzumachen, verletzt man auch alle seine Sympathisanten. Das ist kontraproduktiv und führt zu einer Lagerbildung. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich 1973 ein Mandat bekommen habe und die ganz alten Mandatare in meinem Klub auf die „Hahnenschwänzler“, also auf die Austrofaschisten, ihren Hass losgelassen haben. Das war eine Folge der 1920er und 1930er Jahre, als es auch eine totale Spaltung zwischen links und rechts gegeben hat. So etwas gehört vermieden!
Wenn Sie gerade die Spaltung der Zwischenkriegszeit ansprechen: Heute werden Coronakrise oder Ukrainekrieg von der Bevölkerung sehr unterschiedlich gesehen, es wurden und werden Gräben aufgerissen. Sehen Sie die Gefahr, dass es erneut zu einer großen Polarisierung in der Bevölkerung kommt?
Perner: Ich sehe diese Gefahr ganz deutlich! Vor allem deswegen, weil es sich gerade in den Medien, auch in den sozialen Medien, abspielt. Bei uns am Land interessiert die Leute, wie sie mit Energiekrise, Klimakrise und Teuerung zurechtkommen. Aber wenn man sich anschaut, welche Themen in den Zeitungen zu welchem Umfang dominieren … – kürzlich gab es in der ZiB einen sehr langen Afghanistanbericht, als hätten wir keine anderen Themen. Wir werden sehr einseitig informiert, es gibt zu wenig ausgewogene Berichterstattung dahingehend, dass man Informationen bekommt, wo man sich über andere Standpunkte informieren kann.
Aber der Mensch neigt ja auch dazu, sich jene Informationen zu verschaffen, die seine Meinung unterstützen.
Perner: Das ist richtig, aber auch dem kann man gegensteuern, indem man auf die Wichtigkeit anderer Meinungen hinweist. Die Problematik ist, wenn zu sehr Friede herrscht, schaffen die Menschen Spannungen, um sich lebendig zu fühlen. Das heißt, in einer friedlichen Ehe fangen sie über Belanglosigkeiten einen Streit an, wie etwa in welche Richtung das Klopapier von der Rolle abrollt. Das ist leider kein Scherz, das ist wirklich ein häufiges Streitthema.
Die Problematik ist, wenn wir Spannung haben wollen, dann inszenieren wir Konflikte. Der übliche Konflikt ist: Warum bist du nicht so wie ich, warum schließt du dich mir nicht an – und zwar möglichst in einer dienenden Position. Auf diese Problematik muss man aufpassen und diese Falle muss man vermeiden – auch in den Medien. Wir neigen alle dazu – sofern wir das nicht erkannt haben –, wie pubertierende Kinder uns Elternfiguren zu suchen, etwa in der Politik, in der Religion aber auch in der Firma oder in der Familie, gegen die wir rebellieren können. Ein kurzes Beispiel: In der Religionsberichterstattung findet – denken Sie an Adolf Holl oder Eugen Drewermann – nur breiten Raum, wenn einer intern aufmüpfig gegen die Katholische Kirche ist. Über das Ringen um Weiterentwicklung mit neuen Quellen ist kaum etwas zu lesen. Die Leute wollen die Konflikte nicht haben, und ich weiß aus meiner Forschungstätigkeit, dass all jenen, die aus Streitfamilien kommen, diese Konflikte auf die Nerven gehen, sie wissen nur nicht, wie man sie stoppen könnte. Diese Leute wollen wissen, was habt ihr vor, was sind eure Ziele und sie wollen die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu sagen.
Oftmals wird aber Meinungsäußerung mit Beleidigung verwechselt.
Perner: Es ist ein Problem, dass manche Leute denken, eine Beschimpfung ist eine Meinung. Aber eine Meinung muss eine sachliche Begründung des eigenen Standpunktes haben. Es ist eine Frage der Ethik, dass ich eine Sprache wähle, die klar und verständlich ist, aber auf Übertreibungen, Dramatisierungen oder Verharmlosungen verzichtet.
Dauernd gemobbt, dauernd verachtet und dauernd ausgegrenzt werden kann gefährliche Folgen haben.
Die Menschen sind bekanntlich sehr unterschiedlich, was der eine noch als harte Formulierung ansehen mag, ist für den anderen bereits Hass. Wo ist hier die Grenze zu ziehen?
Perner: Dank der bildgebenden Verfahren in der Gehirnforschung weiß man heute, dass verbale Verletzungen die gleichen Folgen im Gehirn (in der Amygdala) aufweisen wie körperliche. Es ist also vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis solche Nachweise auch gerichtlich nutzbar gemacht werden. aber so wie manche Kung Fu-Kämpfer mit der Stirn Ziegel zerschmettern, kann man Härte auch psychisch trainieren – geschieht ja auch in manchen militärischen Systemen – allerdings geht das generell zu Lasten der Menschlichkeit. Man spaltet dann seine Persönlichkeit …
Welche Folgen verbaler Verletzen sind im Gehirn sichtbar wie körperliche?
Perner: Man sieht, dass die Amygdala, die Mandelkerne, die zu den gefühlsverarbeitenden und schmerzverarbeitenden Zentren im Gehirn zählen, bei Personen schrumpfen, die Gewalt erlebt haben. Wenn Leute sehr viele Beschimpfungen etc. erlebt haben, oder man beschimpft sie auch direkt während der Untersuchung, dann sind Reaktionen sichtbar. Diese Gehirnscans sind derzeit noch aufwändig, aber es ist eine Frage der Technik, bis es auch eine gerichtsverwertbare Form geben wird. Die ersten Untersuchungen in diese Richtungen stammen aus Ende der 90er Jahre.
Hängt die Hass-im-Netz-Problematik vielleicht auch damit zusammen, dass unserer Gesellschaft die Diskussionskultur immer mehr abhanden kommt?
Perner: …wird ja auch nicht gefördert! Sie gehört in den Sprachunterricht in Schulen, deswegen bin ich ja auch für Förderung des theatralischen „Schulspiels“ – und auch für einen generellen Ethikunterricht.
Welche psychologischen Merkmale zeichnet eigentlich Hasser aus?
Perner: Abgesehen von Mitläufern und Mitläuferinnen oder solchen, die verzweifelt Teilhabe in einer Gemeinschaft suchen – z. B. bei Dschihadisten, Hooligans, Spassguerillas etc. –, wird Hass durch Isolierung, Nicht-ernst-genommen-werden, Demütigungen etc. „aufgebaut“ – das passiert nicht schnell, sondern das ist ein langsamer Prozess – und sehr gut erforscht bei den School Shootern. Deswegen plädiere ich immer für respektvollen Umgang auch mit denen, deren Ansicht man nicht teilt: man muss sich ja nicht anschließen, aber man muss Denk- und Meinungsfreiheit respektieren.
Allerdings sind Beschimpfungen keine Meinung, sondern nur verbales Rülpsen oder Kotzen. Wie man die dahinter verborgene Ablehnung korrekt formuliert, gehörte wieder in den schulischen Sprachunterricht.
Das Problem ist, dass manche Leute denken, eine Beschimpfung sei eine Meinung.
Wie sollte jemand handeln, wenn er bemerkt, in seinem Freundes- oder Verwandtenkreis entwickelt sich jemand immer mehr zum Hasser?
Perner: Fragen, was konkret ihn oder sie so sehr empört, geduldig zuhören, den sachlichen Kern –zumeist ein biographischer! – herausschälen, gemeinsam nach alternativen Reaktionen suchen …
Sehen Sie die Notwendigkeit zu Gesetzesänderungen bzw. -verschärfungen?
Perner: Nein. Ich sehe eher die Notwendigkeit, Richterschaft und Exekutivbeamtenschaft sozialpsychologisch zu schulen – siehe meine langjährige Lehrveranstaltung „Allgemeine Sozialpsychologie für Jurist:innen am Institut für Arbeits- und Sozialrecht“ der Universität Wien, gibt es in Populärfassung als Buch. Und eine populärwissenschaftliche Fernsehsendung wäre auch nicht schlecht – ein Konzept dazu schlummert in meinem Schreibtisch.
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.
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