„Unehrliche Debatte“

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Autor: Bild: Flickr/Bundesheer Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0


Ex-Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) über Neutralität und Bundesheer

Herr Klubobmann, wird die aktuelle Debatte über die österreichische Neutralität seitens der Bundesregierung nicht sehr unehrlich geführt? Beziehungsweise, wurde seit dem österreichischen EU-Beitritt diese Debatte nicht unehrlich geführt?
Mario Kunasek: Sie wird unehrlich geführt. Ohne die Kriegsereignisse in der Ukraine hätte es in den letzten Tagen keine Diskussion innerhalb der ÖVP über die Abschaffung bzw. Beibehaltung der Neutralität gegeben. Dass der langjährige ÖVP-Klubchef und ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol offen für einen NATO-Beitritt Österreichs eintritt, macht die Beliebigkeit der ÖVP in militärischen und sicherheitspolitischen Positionen offenkundig. Die furchtbaren Kriegsereignisse in der Ukraine dürfen uns nicht dazu bewegen, die Vorteile der Neutralität Österreichs zu verleugnen. Vielmehr müssen wir die positiven Eigenschaften einer neutralen Stellung im Herzen Europas nutzen und wieder stärker die Möglichkeiten der Vermittlerrolle in den Vordergrund rücken. Österreich hat sich mittels Verfassungsgesetz der Neutralität verschrieben. In historischer Bewertung war diese neutrale Position Österreichs die Voraussetzung für den Abzug der Besatzungsmächte im Jahr 1955 und den Erhalt des Staatsvertrages. Insofern kommt der Neutralität auch eine identitätsstiftende Bedeutung in der Geschichte der Zweiten Republik zu.

Das von den anderen Parteien praktizierte Kaputtsparen des Heeres muss ein Ende haben.

Die Freiheitlichen fordern ja nicht nur den Beibehält der Neutralität, und schließen einen Beitritt Österreichs zur NATO aus, wollen aber auch keine EU-Armee. Wäre es nicht wünschenswert, wenn sich Europa von US-amerikanischen Interessen emanzipiert, indem man auf eine eigene Interessenvertretung setzt?
Kunasek: Ja, die Selbstbestimmung Europas muss das klare Ziel sein. Sie beginnt aber bestimmt nicht bei der EU-Armee, sondern bei einer von allen Mitgliedsländern mitgetragenen Strategie in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die sehe ich aber aufgrund der unterschiedlichen nationalen Interessen nicht, auch nicht in naher Zukunft. Sie wäre aber die Voraussetzung, um eine EU-Armee in Marsch zu setzen. Was Österreich aber sehr wohl tun kann, habe ich als Verteidigungsminister vorgezeichnet, nämlich den Ausbau von Kooperationen in den Bereichen Rüstungskauf und Ausbildung. Während unserer EU-Präsidentschaft bin ich sogar so weit gegangen, einen gemeinsamen Einsatz an der EU-Außengrenze zum effektiven Stopp illegaler Migrationsströme vorzuschlagen, ganz nach dem österreichischen Modell des Assis­tenzeinsatzes. Ich konnte einige Länder überzeugen, andere waren leider noch nicht soweit.
Eine Emanzipation der EU muss meines Erachtens auch dringend in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgen. Aber während sich China und die USA strategisch den Zugang zu Energievorräten, Rohstoffen und Lebensmitteln sichern, befasst sich die EU mit Gendervorschriften und der Normierung von Gurkenkrümmung und Traktorsitzen.

Eine echte Neutralität bedeutet auch, die umfassende Landesverteidigung sicherzustellen. Sie haben sich als Verteidigungsminister massiv für mehr Mittel für das Bundesheer eingesetzt – leider vergeblich. Was wäre denn Ihres Erachtens kurzfristig am dringlichsten, um unsere Armee wieder auf Stand zu bringen?
Kunasek: Als Staat, der sich der Neutralität verschrieben hat, müssen wir ein starkes Bundesheer zum Schutz unserer Werte und unserer Bevölkerung sicherstellen. Gerade weil wir keinem ausländischen Militärbündnis angehören dürfen, bedarf es einer angemessenen finanziellen Anstrengung von ein Prozent des BIP und darüber hinaus einer dringend notwendigen Anschubfinanzierung in den nächsten Jahren. Die Schweiz zeigt vor, wie das geht. Eine massive Budgetaufstockung für das Bundesheer ist dringend notwendig. Dass von ÖVP-Finanzministern wie Blümel und Schelling und SPÖ-Verteidigungsministern wie Darabos und Klug praktizierte Kaputtsparen unseres Heeres muss ein Ende haben. Im Grunde ist der Finanzbedarf nahezu überall gegeben. Besonders akut ist er im Bereich der geschützten und ungeschützten Mobilität, Fliegerabwehr, Drohnen- und Drohnenabwehr, der Kaserneninfrastruktur, der Ausrüstung und Bekleidung und der Luftraumüberwachung, wo ich dringend einen Ersatz für die ausgemusterten Saab 105 fordere.

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