Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Wellcome Collection gallery
Ein überraschender Fund auf der Insel Borneo
Für Mediziner, genauer: Chirurgen, gilt seit jeher der Grundsatz: Lieber das Leben retten als eine Extremität. Die dafür notwendige Amputation ist freilich in früheren Zeiten mit großem Risiko verbunden. Dass der Patient den Eingriff überlebt, ist eher die Ausnahme. Ein jetzt entdecktes Grab auf Borneo in Indonesien zeigt, dass es solche Ausnahmen auch in grauer Vorzeit gab. Durch einen Beitrag im Wissenschaftsmagazin „Nature“ (Surgical amputation of a limb 31,000 years ago in Borneo, dt. Chirurgische Amputation einer Gliedmaße vor 31.000 Jahren in Borneo), veröffentlicht am 7. September, wird dieser Sachverhalt einer interessierten Öffentlichkeit bekannt.
Der Fund in einem urgeschichtlichen Grab stellt den Beweis dafür dar, dass ein Mensch in einer Jäger-Sammler-Gesellschaft die Amputation überleben kann. Es handelt sich dabei um einen bemerkenswerten Einblick in die Ursprünge der Chirurgie. Was Archäologen aus Indonesien und Australien da finden, lässt einem den Atem stocken – der dort bestatteten Person (das natürliche Geschlecht kann nicht mehr festgestellt werden) ist mehrere Jahre vor deren Tod das untere Drittel des linken Beines abgenommen worden.
Und dies vor rund 31.000 Jahren (Datierung durch die übliche Radiocarbonmethode durch Messung des Zerfalls des in allen Organismen enthaltenen radioaktiven Kohlenstoffisotops 14C) und damit ungefähr 25.000 Jahre vor der bisher ältesten bekannten Amputation.
Die Entwicklung des Skeletts verrät den Zeitpunkt des Todes: Der Operierte erreicht ein Alter von 19 bis 20 Jahren, der Eingriff erfolgt ungefähr im vierzehnten Lebensjahr. Die sauberen Schnittstellen am Bein zeigen, dass es sich um eine gezielte Amputation handelt. Und um eine erfolgreiche, denn die Schnittstellen an den Knochen sind verheilt, es gibt auch keine Hinweise auf eine Knochenentzündung, die bei offenen Wunden ohne Antibiotikabehandlung häufig vorkommt.
Der Chirurg müsse bereits damals, so die Archäologen, detaillierte Kenntnisse der Gliederanatomie und der Muskel- und Gefäß-Systeme haben, um einen tödlichen Blutverlust und Infektionen zu vermeiden. Trotz erfolgreicher (und wahrscheinlich lebensrettender) Amputation ist das Leben danach ziemlich eingeschränkt – der linke Beinstumpf ist sehr dünn, die Muskeln wohl verschwunden.
Postoperativ kann sich der Amputierte, wenn überhaupt, nur mit einer Art Krücke fortbewegen. Eine Behinderung, die in der überaus mobilen Jäger- und Sammlergesellschaft einen Menschen zu einer Belastung für die umherwandernde Sippe werden lässt.
Fazit: In der Urzeit dürften relativ anspruchsvolle Operationen häufiger vorgekommen sein, als wir heute glauben. Grund dafür: Skelette, die das belegen, sind einfach nicht erhalten geblieben.