Indonesien: Jakarta versinkt langsam im Meer

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Daniel Berthold Lizenz: GNU Free Documentation License


Neue Metropole auf der dünn besiedelten Insel Borneo

Anfang Februar 2022 hat Indonesiens Volksvertretung einen historischen Beschluss gefasst: Das Land erhält eine neue Hauptstadt. Staatschef Joko Widodo möchte das Projekt rasch vorantreiben. Denn Jakarta versinkt langsam, aber sicher im Meer. Vor allem der Norden der Metropole, rund ein Drittel der Fläche, liegt bereits unter Meeresniveau. Dieses Terrain wird mittels kostspieliger Schutzbauten vor den Wassermassen abgeschirmt. Grund für das Absinken des Bodens, etwa zwanzig Zentimeter im Jahr, ist nur zu einem kleinen Teil der vielzitierte Klimawandel, sondern die Überbevölkerung, die immer mehr Grundwasser benötigt. Und auch die Hochhäuser, die einen mächtigen Druck auf den Boden  ausüben.

Die neue Hauptstadt hat den Namen Nusantara und liegt nicht auf der ohnehin mehr als dicht bevölkerten Insel Java, sondern auf der im Norden des Staates gelegenen Insel Borneo, dessen Südteil zu Indonesien ressortiert; der Rest gehört mit Ausnahme des ölreichen Sultanats Brunei zum Bundesstaat Malaysia. Bereits im August des nächsten Jahres sollen die ersten Behörden in die brandneue Metropole übersiedeln. Allerdings muss vorher der Dschungel gerodet werden. Die Bewohner des spärlich bevölkerten Gebiets haben allerdings wenig Freude mit der Neuerung.

Indonesiens Hauptstadtwechsel ist historisch betrachtet kein Einzelfall. Bereits in der Antike weichen absolut regierende Monarchen in andere Teile ihres Reiches aus. Der älteste bekannte Fall ist Pharao Echnaton. Er erhebt den Gott Aton in Gestalt der Sonnenscheibe zum Gott über alle Götter Ägyptens und weiht ihm im Jahr 1353 v. Chr. seine neue Hauptstadt Achet-Aton. Nebenbei: Auch derzeit baut Ägypten eine neue Hauptstadt, sie liegt fünfzig Kilometer östlich von Kairo.

Ein weiteres bekanntes Beispiel für einen – allerdings nur vorübergehenden – Wechsel der Hauptstadt ist das Byzantinische Reich (auch: Oströmisches Reich). Seit der Teilung in West- und Ostrom (395)  ist das ursprüngliche Byzanz unter dem Namen Konstantinopel das Zentrum Ostroms. Doch 1204 erobern die Teilnehmer des vierten Kreuzzugs die Stadt, errichten ihr Lateinisches Kaisertum. Der byzantinische Herrscher Alexios V. weicht aus nach Kleinasien, neues Zentrum ist die Stadt Nicäa. Erst 1261 kann Byzanz den Lateinern entrissen werden und fungiert ab da (bis 1453) als Hauptstadt.

Im Europa des 20. Jahrhunderts ist ein Verlegen der Hauptstadt überaus selten: In Russland verliert 1918 Petrograd (davor und heute: Sankt Petersburg) seinen Rang und Moskau, das historische Zentrum, wird wiederum in seine alten Rechte eingesetzt. Litauen ist 1920 gezwungen, die Stadt Kaunas als Metropole zu wählen, da Wilna (Vilnius) von den Polen annektiert wird. Heute ist Wilna wieder die Hauptstadt. In Montenegro fristet das altehrwürdige Cetinje heute ein Schattendasein, da Podgorica Hauptstadt ist. Lediglich der Staatspräsident residiert – wie einst Nikola, der einzige König des Landes – in Cetinje.

In Südamerika ist es Brasilien, das 1960 seine nominelle Hauptstadt von Rio de Janeiro in das im Landesinneren gelegene Brasilia verlegt. Einigermaßen kurios gestaltet sich die Lage im benachbarten Bolivien: Obwohl die Regierung seit 1899 in La Paz sitzt, gilt laut Verfassung noch immer die Stadt Sucre als Hauptstadt.

1923 erhält die Türkei als Republik ein neues Zentrum, die Kleinstadt Ankara in der Mitte Kleinasiens. Den Anstoß dafür gibt der Republikgründer Mustapha Kemal Atatürk. Istanbul gilt ihm als Symbol für das überwundene osmanische Sultanat; außerdem liegt die Stadt am Bosporus zu exponiert: Im Ersten Balkankrieg gelingt im November 1912 dem bulgarischen Kriegsgegner beinahe die Eroberung.

Manchmal entsteht eine Hauptstadt als Kompromiss, weil zwei Städte als Rivalen auftreten. So in Australien, wo der Gegensatz zwischen Sydney und Melbourne das Zentrum Canberra entstehen lässt. Oder in Pakistan, wo Islamabad der lachende Dritte angesichts der Konkurrenz zwischen Karatschi und Rawalpindi ist. Misslungen ist dies in Libyen: Dort wechseln sich Tripolis und Bengasi regelmäßig (alle zwei Jahre) als Hauptstadt ab. Daher baut in den 1960er-Jahren König Idris mit viel Erdöl-Dollars eine neue Residenzstadt: El Beida, die Weiße Stadt, ab 1965 offizielle Hauptstadt. Nach dem Sturz der Monarchie 1969 schläft die Angelegenheit ein.

Bisweilen entsteht eine neue Hauptstadt, weil sich das Staatsoberhaupt ein bleibendes Denkmal setzen will. So im westafrikanischen Land Elfenbeinküste. Dort erhebt Langzeit-Präsident Félix Houphouët-Boigny 1983 seinen Geburtsort, die Kleinstadt Yamoussoukro, anstelle der Millionenmetropole Abidjan zur Hauptstadt.

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