„Vieles spricht dafür, dass der Bruch der US-Hegemonie gelingen wird“

by John Tuscha

Bild: Wikipedia/Beto Barata/PR Lizenz: CC BY-SA 2.0


Axel Kassegger (FPÖ) über den Aufstieg der BRICS-Gruppe, den Übergang zu einer multipolaren Weltordnung und wie sich Österreich als neutraler Staat zwischen Machtblöcken verhalten sollte

Herr Dr. Kassegger, während hierzulande der Ukrainekrieg die außenpolitischen Schlagzeilen dominiert, bleibt etwa die BRICS-Gruppe nahezu unbeachtet. Nun haben aber immer mehr Staaten – zu nennen sind beispielsweise
Argentinien, Saudi-Arabien oder der Iran – Interesse an einer BRICS-Mitgliedschaft bekundet.
Wie sehen Sie diese Entwicklung ganz allgemein?

Axel Kassegger:
Ich beobachte diese Entwicklung mit großem Interesse. Es ist durchaus bemerkenswert, dass diesem
wichtigen Thema innerhalb der westlichen Medienlandschaft kaum Aufmerksamkeit gewidmet wird. Schließlich liegt das Hauptziel dieses Staatenbundes in nichts Ger i n g e r e m als ein Gegengewicht zum Westen und damit eine multipolare Weltordnung zu schaffen. Die Tatsache, dass immer mehr Staaten eine BRICS-Mitgliedschaft anstreben, sollte den westlichen Mächten zu denken geben. Vor allem China treibt diese Expansionsbemühungen voran. Wenig überraschend, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung der BRICS-Länder betrachtet. In den 2000er Jahren galten sie als aufstrebende Volkswirtschaften mit jährlichen Zuwachsraten bis zu zehn Prozent. In den letzten zehn Jahren verlief die wirtschaftliche Entwicklung jedoch eher enttäuschend. Russland, Brasilien und Südafrika stagnieren weitgehend und auch Indien bleibt hinter den hohen Erwartungen zurück. Die Aufnahme rohstoffreicher und aktuell aufstrebender Staaten könnte, wie Xi Jinping beim letzten BRICS-Gipfel meinte, der Gruppe neue Vitalität verleihen und ihren Einfluss erhöhen.

Könnte mit der BRICS-Gruppe neben dem von den USA angeführten kollektiven Westen ein zweites Machtzentrum der Welt entstehen bzw. eine neue bipolare Weltordnung?
Kassegger: Momentan spricht vieles dafür, dass es den BRICS-Staaten und der BRICS-Gruppe, den Übergang zu
einer multipolaren Weltordnung und allen voran China gelingen kann, die amerikanische Hegemonie zu brechen.
Die tatsächliche Entwicklung hängt jedoch von Faktoren ab, die nur schwer vorherzusehen sind.
Etwa ob sich das rasante Wirtschaftswachstum Chinas auch in den kommenden Jahren fortsetzt, und es gelingt, den politischen Einfluss auf globaler Ebene weiter auszubauen. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, in welche Richtung sich die westliche Welt bewegen wird.
Schaffen es die USA und ihre Verbündeten nicht, ihre gewaltigen demografischen und innenpolitischen Probleme zu überwinden, dann werden sie sich nur schwer einem starken BRICS-Bündnis in den Weg stellen können.

Sehen Sie die Gefahr, dass mit einem Erstarken bzw. einer Erweiterung der BRICS die Spannungen zwischen den Weltmächten zunehmen? Dem Ukrainekrieg ging ja bekanntlich eine ständige NATO-Erweiterung voraus, und nun liebäugelt Mexiko mit einem Beitritt zur BRICS-Gruppe, wenngleich diese keine militärische Agenda hat.
Kassegger: Die Sorge, dass der Wettschreit um globale Hegemonie auch auf militärischer Ebene geführt werden könnte, ist durchaus berechtigt. Die Russen haben bereits demonstriert, dass sie bereit sind, zu den Waffen zu greifen, und auch
die Vereinigten Staaten haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie nicht zimperlich sind, wenn es darum geht, ihre Macht zu sichern. Eine weitere militärische Eskalation könnte beispielsweise im Rahmen des Taiwan-Konfliktes entstehen. Es bleibt zu hoffen, dass die engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen China und dem Westen einen neuen Kalten Krieg verhindern können.

Die Sorge, dass der Wettstreit um globale
Hegemonie auch auf militärischer Ebene
geführt werden könnte, ist berechtigt.

Zu erwähnen sind auch die Pläne der BRICS zur Einführung einer gemeinsamen Währung.
Eine BRICS-Währung könnte, wie das Magazin „Foreign Policy“ schrieb, „die Vorherrschaft des Dollars erschüttern“.
Ich bin überzeugt, dass Washington alles versuchen wird,
um das zu verhindern. Wie sehen Sie das?
Kassegger: Momentan scheint die Einführung einer gemeinsamen BRICS-Währung noch in weiter Ferne zu liegen.
Die Rufe danach werden aber spürbar lauter. Erst vor kurzem machte der neue brasilianische Präsident Lula mit einer Kampfansage gegen den US-Dollar auf sich aufmerksam. Beim kommenden BRICS-Gipfeltreffen im August soll dieses Thema auf der Agenda stehen.
Sollten tatsächlich konkrete Fortschritte in diese Richtung gelingen, dann ist davon auszugehen, dass die USA alle verfügbaren Hebel in Bewegung setzen werden, um diese potenzielle Konkurrenz für den Dollar zu verhindern.

Die Beziehungen zwischen einzelnen BRICS-Mitgliedern sind nicht immer spannungsfrei. Ich denke da an Indien und China, die in einen Grenzkonflikt verwickelt sind. Könnte sich der Umstand, dass die BRICS eine eher inhomogene Gruppe sind, am Ende vielleicht als Spaltpilz erweisen?
Kassegger: Die Inhomogenität der BRICS-Staaten ist sicherlich eine ihrer größten Herausforderungen. Diese Gruppe
erstreckt sich über vier Kontinente und umfasst gänzlich unterschiedliche Kulturen, politische Systeme und Wirtschaftssysteme. Aus unserer eigenen Erfahrung mit der Europäischen Union wissen wir, wie schwer es selbst innerhalb eines Kontinents ist, sich in gewissen Fragen zu einigen.
Dazu kommen noch, wie von Ihnen erwähnt, bestehende Rivalitäten wie jene zwischen China und Indien. Eine Erweiterung des BRICS-Bündnisses würde die Anzahl solcher Rivalitäten und die Inhomogenität allgemein zusätzlich vergrößern.

Bild: Wikipedia/Politikösterreich

China ist das bei weitem wirtschaftlich potenteste BRICS-Mitglied, und wir kennen – Stichwort: neue Seidenstraße bzw. Belt-and-Road-Initiative – die globalen Ambitionen Pekings. Ist die BRICS-Gruppe vielleicht nur der verlängerte Arm Chinas?
Kassegger: China hat aufgrund seiner wirtschaftlichen Übermacht sicherlich den größten Einfluss innerhalb der BRICS-Gruppe und wird versuchen, diesen im Sinne der eigenen geopolitischen Interessen geltend zu machen. Es ist aus meiner Sicht jedoch nicht zutreffend, diese Gruppe lediglich als verlängerten Arm Chinas zu beschreiben. Sie besteht letztendlich doch aus fünf souveränen Ländern, welche weitgehend ihre jeweils eigenen Interessen vertreten.

Welche Bedeutung hat die BRICS-Gruppe für die EU? Ist sie Konkurrenz oder bietet sie vielleicht eine Chance, den festen außenpolitischen Zugriff der USA etwas zu lockern?
Kassegger: Es besteht die Gefahr, dass sich die EU auch in Zukunft voll und ganz in den Dienst der Vereinigten Staaten stellen wird. Wenn diese einen Wirtschaftskrieg mit der BRICS-Gruppe oder nur China beginnt, dann wird die EU wohl wieder mitziehen. In diesem Fall käme es zu einem massiven Schaden für die europäische Wirtschaft. Kommt es aber zu einem Umdenken auf europäischer Ebene, dann wäre eine zunehmend multipolare Weltordnung die perfekte Gelegenheit einen neuen eigenen europäischen Weg einzuschlagen.

Und welche Politik sollte Österreich als neutraler Staat gegenüber der BRICS-Gruppe verfolgen?
Kassegger: Österreich sollte sich für ein starkes Europa einsetzen, welches nicht als Spielball fremder Machtblöcke dient.
Unser Ziel muss es sein, auf geopolitischer Ebene als selbstbestimmter und friedensstiftender Staat aufzutreten und die Interessen der Österreicher zu verteidigen. Die Teilnahme an Sanktionen gegen China, wie kürzlich auf EU-Ebene diskutiert wurde, ist daher auf jeden Fall abzulehnen.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.