“Die Baukultur ist heute recht pluralistisch geworden”

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Architekt Univ.-Prof. Dr. Friedmund Hueber über positive und negative Beispiele moderner Architektur, Ortsbildpflege und warum der Revitalisierung der Vorzug zu geben ist.

Herr Professor Hueber, Sie sind auch Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Denkmal- und Ortsbildpflege: Wie sehen Sie neue Bauprojekte in alten Ensembles wie den Ortskern von Grinzing oder im Areal des Otto-Wagner-Spitals?
Friedmund Hueber: Otto-Wagner-Spital und alte Ortskerne ist zweierlei. Aber die Baukultur, der gestalterische Umgang mit unserer Umwelt an sich ist heute recht pluralistisch geworden und sehr liberal. Das heißt, bis um 1900 hat es für Bauvorhaben über Jahrhunderte einen verbindlichen Canon gegeben, der optisch wirksam wurde. Es ging darum, Stadträume, Platzräume, Straßenräume herzustellen, schachtelartige Räume, bei denen die Wände der Häuser, die Fassaden, aneinandergefügt wurden, um diese Objekte in Summe zu einer geschlossenen Wand des urbanen Freiraumes werden zu lassen. Es gab Vorschriften die Höhe, die horizontale Gliederung betreffend und ob in Einzelfällen Erker und Balkone zulässig sind, um der jeweiligen Wand mehr Profil zu verleihen. Besonders wirksam war, dass man sich nicht nur auf die Ausbildung dieser Straßenräume beschränkt, sondern auch danach getrachtet hat, all diesen Freiräumen einen Blickpunkt, ein Objekt zu geben, das besonders ansprechend ist.
Wenn Sie etwa in Wien auf der Ringstraße vom Stubenring kommend Richtung Schwarzenbergplatz schauen, haben Sie eine Säule der Karlskirche im Blickpunkt. Oder weiter, sieht man vom Opernring aus die Kuppel des Kunsthistorischen Museums und dann, nach dem Straßenknick im nächsten Straßenraum, einen Seitenrisalit des Parlaments. Bewegt man sich dort zur nächsten Biegung der Ringstraße, so erscheint als baukünstlerischer Höhepunkt in diesem Abschnitt die gesamte Pracht des Parlamentsgebäudes als weitere Steigerung. Solche Werke der Stadtbaukunst sind durch eine Ansammlung von einzelnen, nur am Profit orientierten, Objekten mit unterschiedlichen Gestaltungsansätzen nicht möglich.

Friedmund Hueber ist Architekt und Universitätsprofessor in Ruhe für Baugeschichts-forschung, Denkmalforschung, -pflege und -schutz sowie Planen und Bauen im Bestand sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Denkmal- und Ortsbildpflege (Bild: friedmund-hueber.at)

Architektur entwickelt sich im Laufe der Zeit natürlich weiter. Wie kann man beispielsweise moderne Architektur mit alten Ortskernen verbinden?
Hueber: Die moderne Architektur lässt viel zu. Es gibt hier keine feste Regel, an die man sich halten muss, außer jene, die der gestaltende Architekt als Gestaltungsregel für sein Projekt festlegt. Mit der Gesellschaft ist auch die Architektur pluralistisch geworden, und ohne Regulativ können unterschiedliche Anschauungen und deren bauliche Äußerungen nicht zu einer harmonischen Einheit werden.
Vitruvius, ein römischer Architekt, hat in den letzten Jahrzehnten v. Chr. in seinen „de architectura libri decem“ gefordert, dass Architektur immer commodus, das heißt „angemessen“ gestaltet werden muss. Jedes Gebäude muss nach einem allgemeingültigen Canon seinem Inhalt und dessen Bedeutung entsprechend gestaltet und in seine Umgebung eingefügt werden. Die moderne Architektur müsste sich nur an diese Regel halten, damit sie stimmig ist. Es gibt viele ordentlich gestaltete Gebäude, die nicht in ihre gebaute Umgebung passen, die fehl am Platz sind und dadurch nicht gut gestaltet wirken. Jedes Ensemble muss nach einem einheitlichen Gestaltungsprinzip gestaltet werden, wobei heute unterschiedliche Ensembles unterschiedlichen Ansätzen folgen können. Wenn das Objekt in eine historische Umgebung gebaut werden soll, muss es nur deren Gegebenheiten respektieren, z. B. gleich hoch sein wie seine Nachbarn, wie deren Hauptgesimse ein schattenspendendes, oberes Abschlusselement aufweisen, die Materialität und die Verteilung von Wand und Loch ähnlich sein. Man muss darauf achten, dass es so wie bei den Nachbargebäuden Bauelemente gibt, die auch horizontale Schattenlinien werfen. Da gibt es alle möglichen Gestaltungselemente, die man einsetzen kann.

In der Architektur geht es immer ­darum, dass ein Objekt „­angemessen“ gestaltet werden muss.

Fällt Ihnen hier ein positives Beispiel ein?
Hueber: Z. B. das neue OPEC-Haus vis-à vis der Börse.

Und Negativbeispiele?
Hueber: Die gibt es reichlich. Soll man mit Negativbeispielen erschrecken? Zu nennen ist einmal das Hochhausprojekt beim Heumarkt, beim Hotel Intercontinental. Das hat aus Profitgier den falschen Maßstab und ist der Morphologie der Ringstraßenzone nicht angemessen. Dann das Wien-Museum. Zuerst wurde ein Architekturwettbewerb mit unzähligen Teilnehmern abgehalten, dessen Siegerprojekt dem denkmalgeschützten Gebäude einen Deckel aufsetzt und den Park beeinträchtigende Zubauten vorsieht, um das Denkmal und sein überliefertes Erscheinungsbild zu erhalten. Dann musste die Außenhaut des Denkmals entfernt werden und wurde die ursprüngliche Konstruktion teilweise abgebrochen. Die Fassade wird wieder rekonstruiert. Die Rekonstruktion ist aber keine Methodik der Denkmalpflege, bei der es um die Erhaltung der überlieferten Substanz und ihrer Werte geht. Anstelle dessen wird jetzt irgendetwas neu hingestellt, von dem man annimmt oder von dem man weiß, dass das Wien-Museum einmal solche Fassaden und ähnliche Räume hatte. Die Gesamtwirkung wird aber durch diesen großen Hut kolossal beeinträchtigt. Und dazu kommt noch die Aufstockung des benachbarten Winterthur-Gebäudes, wodurch die Karlskirche unangemessen bedrängt wird. Weil das Projekt verlangt, dass man vom Museum als Baudenkmal viel abbricht, hätte man den Wettbewerb eigentlich neu ausschreiben müssen. Denn wahrscheinlich wäre fast jede neue Gesamtlösung besser gewesen als die Zerstörung und Teilrekonstruktion des Museums bei Beeinträchtigung der Wirkung der Karlskirche.

Um bei den Bausünden zu bleiben: Besteht hier nicht die Gefahr, dass sehr viele Menschen mit zeitgenössischer Architektur völlig zu Unrecht nur noch Negatives verbinden?
Hueber: Das findet meines Erachtens teilweise statt, wenn man ein neues Haus in einer neuen Formensprache in eine Umgebung stellt, in die es nicht passt. D. h., man muss bei der Planung eines Objektes in bebauter Umgebung immer auf die Umgebung Rücksicht nehmen und darauf achten, dass es sich angemessen einfügt. Wenn das Objekt eine besondere Bedeutung hat, kann es natürlich auch eine besondere Größe und Form haben und so zur Sehenswürdigkeit oder Landmarke werden.

Revitalisieren ist auf jeden Fall ­ökonomischer und ökologischer und verlangt weniger neues Baumaterial.

In Wien kommt es immer wieder zu Protesten, wenn in alten Ortskernen wie in Grinzing alte Häuser abgerissen und durch neue Wohnblöcke ersetzt werden sollen. Wäre es nicht besser, wenn der Fokus verstärkt auf die Devise „Revitalisieren statt Abreißen“ gelegt würde?
Hueber: Revitalisieren ist auf jeden Fall ökonomischer und auch ökologischer. Es verursacht weniger Abfall und verlangt weniger neues Baumaterial, das unter Energieaufwand und CO2-Ausstoß hergestellt werden muss. Überdies verlangt es mehr Personalaufwand und erlaubt keinen Großmaschineneinsatz. Oftmals besteht kein Grund für einen Abbruch, weil die Bausubstanz noch in Ordnung ist, aber der gierige Wunsch, die Liegenschaften möglichst gewinnbringend zu verwerten, lässt häufig aus idyllischen Vororten eine Ansammlung von gesichtslosen Wohnblöcken werden. Dem versucht man durch die Verordnung von Schutzzonen zu begegnen.
Baukultur ist eine Frage der Bildung und hängt darüber hinaus davon ab, wo man aufgewachsen ist, welches Ambiente „Heimatgefühle“ erweckt.
Über Jahrhunderte haben sich vielerorts unterschiedliche Bau- und Siedlungsformen entwickelt. Sehgewohnheiten spielen für das Empfinden eine große Rolle. Besonders für den internationalisierten Wohn- und Siedlungsbau, zur Unterbringung von Bevölkerungsmassen, haben sich von New Texas bis Novosibirsk monotone Bauformen entwickelt, welche weit hinaus über „meinen Gemeindebau“ eine Identifikation mit seinem gebauten Umfeld erschweren. Die zufälligen Nachbarn sind nicht mehr die Nächsten. Mobilität wird gefördert. Die Integration in überschaubare, gewachsene gesellschaftliche und gebaute Strukturen funktioniert besser als in Wohnsilos wo Ordnungssysteme und Hierarchien, in die man sich einfügen muss, schwer erkennbar sind. Es bedarf, wie es in vielen Schutzzonen gegeben ist, eines rechtlichen Regulativs und routinierter Gestaltungsbeiräte, um die grenzenlose Kreativität von Architekten und Planern bei der Umsetzung von Bauherrenwünschen in richtige Bahnen zu lenken, welche Identität stiften und für ihr Umfeld angemessen sind.
Neben den vielen guten Objekten am falschen Ort gibt es eine Mehrzahl von Neubauten, bei denen aus Profitgier kein geistiger und materieller Aufwand für eine gute Planung und Gestaltung getrieben wurde.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

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