Wien-Wahl aus der Sicht eines Provinzlers

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Manfred Tisal über die kommende Wien-Wahl

Betrachtet man als Österreicher, aber Nichtwiener, also Provinzler, das politische Geschehen im Vorfeld der Wahl in unserer Bundeshauptstadt, so fällt einem Einiges dazu ein. Vorweg sei bemerkt, dass Wien ca. 1,9 Mio. Einwohner hat und mit etwa 65.000 Mitarbeitern sicherlich einer der größten Arbeitgeber in diesem Land ist. Der Ausländeranteil betrug 2018 beinahe 30 %, der mit Migrationshintergrund um die 50 %. Dass der „echte“ Wiener nicht untergeht, mag zwar stimmen, er zählt aber, betrachtet man die Zahlen, zur aussterbenden Rasse. König Ludwig, nicht zu verwechseln mit den anderen Oberhäuptern davor, regiert die Stadt an der nur scheinbar „blauen“ Donau. Jetzt kämpft er um seinen Sessel im Wiener Rathaus, der ihm vermutlich nicht zu nehmen sein wird. Auf einem Polster von 44 Mandaten ist leicht ruhen. Grün ist mit 10 von 100 Mandaten mitregierend, weil es sich rechnerisch im Jahre 2015 halt ausgegangen ist. Parallelen zur Nationalratswahl sind erkennbar, aber, was Gesamtösterreich anbelangt, eher kurz-sichtig.

In Wien war es 2015 nach Jahren der Alleinregierung also eine Pseudo-Absolute mit Grünstich. Vor fünf Jahren war der stärkste Gegner Blau mit Strache als Spitzen­kandidaten. Immerhin 34 immunitätstragende Landtagsabgeordnete und Gemeinderäte in Doppelfunktion. Aber bei der kommenden Wahl spalten sich nicht nur die Geister, sondern auch die Blauen. Strache gegen Nepp. Wien ist anders, heißt es ja immer. Es grünt so grün, wenn nicht my fair Lady, sondern Birgit Hebein als Maria-Vassilakou-Nachfolgerin in den Wahlring steigt. Mag sein, dass Gesundheitsminister Anschober, der an Beliebtheit österreichweit punktet, ein Hilfsmotor für Hebein ist. Was die ÖVP anbelangt, so spielte diese bei allen vorangegangenen Wahlen eine eher untergeordnete Rolle. Doch jetzt versucht man mit Finanzminister Gernot Blümel und mit Kanzler Kurz als rückgratstärkende Kraft ein heißes Eisen ins Wahlfeuer zu schicken. Jetzt werden sich Herr und Frau ÖsterreicherIn sicherlich eine Frage stellen, die zu denken gibt. Hat ein amtierender Finanzminister, gerade in dieser von Wirtschaftsproblemen gebeutelten Ära, soviel Zeit, um sich bei den Wien-Wahlen an die Spitze seiner Partei zu stellen? Die angespannte Finanzlage und das Monsterdefizit rechtfertigen so eine Frage allemal. Jetzt noch zu den NEOS. Auch sie sitzen derzeit auf 5 der 100 Plätze. Beate Meinl-Reisinger als Leuchte der NEOS konnte sie für ihre Gesinnungsgemeinschaft einfahren. Ob Christoph Wiederkehr für eine Wiederkehr des Ergebnisses sorgen kann, wissen eher die Mitarbeiter der Wiener Sternwarte.

Zurzeit liegt es an den Meinungsforschungsinstituten und Politologen, Prognosen zu erstellen. Also an Fachleuten, die im Vorfeld schon zu wissen glauben, wie Wien wählen wird, und sich auch schon Gründe zurechtlegen, warum es nach der Wahl nicht so gekommen ist, wie man prognostiziert hat.

Egal. Wie auch immer. Auch uns Provinzlern stehen Wahlen bevor. Und genauso groß wird dann das Interesse der Wiener an unseren Wahlen sein. Wir sind doch alle Österreicher und interessiert am politischen Geschehen in unserem Land. Oder ist Wien und sind die Wiener wirklich anders?

Manfred Tisal ist Kabarettist, Moderator, Autor und Journalist.

[Autor: Bild: Wikipedia/Thomas Ledl Lizenz: CC BY-SA 4.0]

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