Bild: André Hagel Lizenz: –
“No future”? Als ich diesen Slogan neulich in Göttingen an eine Hauswand gesprüht sah, fühlte ich mich unmittelbar an die Endzeit-Tristesse der frühen 1980er Jahre erinnert, die damals in manchen, zumeist urbanen Subkulturen waberte und wirkte.
“No future” war auch damals die Parole jener, die nicht nur keine gute, sondern eben gar keine Zukunft mehr zu sehen vermochten. Atomraketen waren von Ost nach West und umgekehrt gerichtet, das Damoklesschwert kollektiver Vernichtung (die Deutschen in West und Ost würden als erste verglühen, so die Kalkulation der beiden verfeindeten Supermächte) wurde beschworen, hing auch tatsächlich über Europa, der deutsche Wald starb (überlebte letztlich aber, den vorzeitigen Nachrufen gleichsam zum Trotz), “Gift” in Form von Chemie-, Atom- oder Industriegift war eine die Schlagzeilen und Nachrichten dominierende Vokabel, und die “German Angst” einer neurotisierten, staatlich und in ihrer Identität zerrissenen Nation wurde zu einem international kursierenden Begriff.
“No future”? Unsere Zeit ist unruhig. Gefährlich auch, ja. Vieles ist möglich geworden, wie die tägliche, allzu lange beflissen verdrängte Importgewalt im Inneren unseres Landes und die militärische Lage in Europa unterstreichen. Ich denke manchmal: Wer mit dem Schlimmsten rechnet, erlebt am Ende keine bösen Überraschungen. Was nicht Fatalismus bedeutet. Fatalismus ist kein Rezept für ein gelingendes Leben, individuell wie kollektiv.
“No future”? Im Angesicht der besprühten Wand denke bei mir: Wer so etwas schreibt, hat tatsächlich keine Zukunft. Es ist der Leitspruch jener, die sich selbst aufgegeben haben.
Wer dagegen glaubt, daß die Welt in etwas Größerem aufgehoben ist, daß sie deshalb grundsätzlich gut oder zumindest sinnvoll verfaßt ist, daß notwendige Dinge sich verbessern lassen und daß der eigene, wo auch immer wirkende geringe Beitrag dazu von Wert ist, der darf auch Hoffnung auf die Zukunft haben, ohne gleichzeitig von ihr besessen zu sein.
An den anderen zieht die Karawane vorüber. Sie bleiben zurück, vergehen, in Selbst- und Lebensvergessenheit.
Wir sind verwurzelt in der Vergangenheit, sie ist, worin wir gründen. Wir leben im Jetzt. Auf die Zukunft dürfen wir hoffen. Sie ist möglich. Und wird es bleiben.