Die Schlangeninsel im Schwarzen Meer

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Фотонак Lizenz: CC BY-SA 4.0


Ein umstrittenes Eiland vor dem Donaudelta

Am Abend des 24. Februar 2022, des ersten Tags der Kriegshandlungen in der Ukraine, wird  die zwölf Seemeilen vor der Küste gelegene Schlangeninsel (rumän. Insula Șerpilor, ukrain. Smejny Ostrow), eine der wenigen Inseln im Schwarzen Meer, von russischen Marinekräften umstellt. Nachdem die ukrainische Besatzung der Insel die Aufforderung zur Übergabe mit einem obszönen Spruch beantwortet, sprechen die Schiffskanonen. Was danach passiert, darüber gibt es widersprüchliche Meldungen. Nach Darstellung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kamen alle 13 auf der Insel stationierten ukrainischen Soldaten durch einen Beschuss russischer Kriegsschiffe ums Leben. Nach einem russischen Bericht seien 82 ukrainische Soldaten der Inselbesatzung in Kriegsgefangenschaft gegangen.

Das Seltsame daran ist, dass weder Russland noch der Ukraine die Schlangeninsel – eine eher furchterregende Bezeichnung, weil in grauer Vorzeit sich allerlei Ungetier auf dem Eiland tummelt – als ihren zweifelsfreien Besitz bezeichnen können. Was das Eiland, das manche als bloßen Felsen bezeichnen (was im Völkerrecht einen Unterschied bedeutet), so wertvoll macht, sind die in seiner Umgebung vermuteten gewaltigen Erdöl- und Erdgasvorkommen. Vermutet werden 70 Milliarden Kubik­meter Gas und 12 Millionen Tonnen Rohöl.

Einen Rechtsstreit zwischen Rumänien und der Ukraine beendet der Internationale Gerichtshof im Haag am 3. Februar 2009 mit einem salomonischen Urteil: Die nur 17 Hektar große Insel gehört weiterhin zum Territorium Kiews, aber Bukarest erhält das Nutzungsrecht für 79 Prozent des von beiden Seiten beanspruchten, 12.000 Quadratkilometer großen Fest­landsockels mitsamt den Gas- und Ölfeldern.

Werfen wir einen Blick zurück in die Vergangenheit. Die Schlangeninsel ist bereits in der Antike bekannt, Platon erwähnt sie. Nach der sogenannten Schwarzmeer-Hypotheke ist sie der letzte Rest des untergegangenen Inselreichs Atlantis, das vor rund achttausend Jahren infolge der teilweisen Schmelzung der Polkappen im Schwarzen Meer – dem Pontos Euxeinos der griechischen Antike – versunken ist.

Durch Jahrhunderte hindurch beherrschen die Osmanen das Gebiet. Im türkisch-russischen Krieg 1878 zwingt der Zar in Sankt Petersburg die Hohe Pforte zur Abtretung nicht bloß des Donaudeltas, sondern auch der Schlangeninsel zugunsten des damaligen Fürstentums Rumänien (ab 1881 Königreich), welches als Ausgleich Bessarabien (heute: Moldawien) an die Russen abtritt.

Bis 1948 gehört die Schlangeninsel unbestritten zu Rumänien, um dann durch eine überaus merkwürdige Aktion der moskautreuen rumänischen KP-Außenministerin Ana Pauker (geborene Rabinson) in den Besitz Stalins zu gelangen. Die Schlangeninsel wird in einem geheimen Protokoll vom 23. Mai 1948 der Sowjetunion übergeben, wovon die rumänische Öffentlichkeit jahrzehntelang nichts erfährt. Noch im Jahre 1975 (!) fragt sich der damalige rumänische Präsident Nicolae Ceaușescu, wie es denn überhaupt möglich war, dass diese Insel in sowjetischen Besitz kam …

Da die Vorgangsweise der Ana Pauker durch keinerlei Beschluss der dafür zuständigen Organe Rumäniens gedeckt war, ist nach dem Dafürhalten vieler Völkerrechtler zumindest bis 2003 von einer Souveränität Rumäniens über die Schlangeninsel auszugehen. Nachdem die NATO Rumänien zu einer besseren Sicherung seiner Landesgrenzen drängt, unterzeichnet man am 17. Juni 2003 in Czernowitz nach zehnjährigem Streit den ukrainisch-rumänischen Grenzvertrag, der den Grenzverlauf festlegt. Bukarest findet sich schweren Herzens damit ab, dass Kiew die Insel behält. Im Gegenzug sichert die ukrainische Regierung zu, keine Offensivwaffen auf der Insel zu stationieren.

Doch schon wenig später, im September 2004, bereut Bukarest den Verzicht und bringt die Angelegenheit vor dem IGH im Haag. Man bezweifelt zwar nicht mehr die völkerrechtliche Zugehörigkeit der Schlangeninsel zur Ukraine, aber die Rumänen wollen die Gegend wirtschaftlich nützen. Und erhalten großteils Recht (siehe oben).

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