Autor: U.K. Bild: Screenshot „SVB“ Lizenz: –
US-Einlagensicherung wendet neue Bankenkrise vorerst ab, doch die Sache ist noch nicht zu Ende
Vergangenen Freitag abend ist die amerikanische Silicon Valley Bank SVB in Santa Clara, Kalifornien, die nach der Größe an 16. Stelle der US-Kreditinstitute steht, spektakulär zusammengenbrochen. Ingesamt waren über 175 Milliarden US-Dollar Kundeneinlagen, von denen lediglich etwa 10% von der US-Einlagensicherung FDIC abgesichert sind, in akuter Gefahr. In einer dramatischen Wochenend-Aktion haben die Federal Deposit Insurance Corp., der staatliche Garantiefond, über den Girokonten bis 250.000 $ abgedeckt sind, und die US-Notenbank Fed ein Rettungspaket zusammengezimmert, mit dem die drohende Katastrophe abgewendet werden konnte. Dazu hat man in einer Nacht-und-Nebel Aktion eine „Brückenbank“, die Silicon Valley Bank, N.A., aus dem Boden gestampft, welche die Geschäftskonten der alten SVB komplett übernommen hat.
Denn wäre bis Montag früh nicht sicher gewesen, dass die Kunden der SVB ihr Geld behalten würden, hätte dies womöglich eine neue weltweite Bankenkrise auslösen können, vergleichbar mit dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers im Herbst 2008. Zum einen wäre es zu einem Bank Run, einem massiven Abzug von Kundengeldern, vor allem bei kleineren und regionalen Banken in Amerika gekommen, der auch an sich gesunde Institute in den Abgrund gerissen und somit eine unheilvolle Kettenreaktion ausgelöst hätte. Zum anderen war die SVB die Hausbank tausender kleiner und mittlerer High-Tech Firmen an der amerikanischen Westküste. Deren Girokonten, naturgemäß mit Beträgen deutlich über 250.000 Dollar, wären über Nacht wertlos geworden. Die Firmen hätten ihre Rechnungen und Löhne nicht mehr bezahlen können, die Folgen wären für eine ganze Region verheerend gewesen.
Zumindest hat die Rettungsaktion für die Kundengelder den Steuerzahler dort nichts gekostet. Der Fonds der FDIC, der von den Beiträgen amerikanischer Banken und nicht aus der Staatskasse gespeist wird, reicht dafür locker aus. Und die SVB wird abgewickelt; Aktionäre und Anleihegläubiger der Bank dürften weitgehend leer ausgehen.
Die Pleite der SVB, die größte Bankenpleite seit der Krise 2008/09, traf die Finanzwelt weitestgehend unvorbereitet, denn der „Todeskampf“ der SVB hat nur wenige Tage gedauert. Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen? Das Geschäftsmodell der SVB, eine klassische Kommerzialbank für Unternehmenskunden, war solide. Es gab keine nennenswerten Kreditausfälle, keine riskanten Spekulationsgeschäfte, keine frei erfundenen Aktiva wie seinerzeit in Mattersburg oder bei Wirecard, und man kann SVB-Chef Greg Becker auch sonst nichts vorwerfen. Soweit man das bis dato beurteilen kann, ist die SVB ein Opfer des dramatisch veränderten Geschäftsumfelds geworden, ausgelöst durch die rasanten Zinserhöhungen der Zentralbanken rund um den Globus.
Die Hauptkunden der SVB sind sogenannte Start-Ups, junge Technologiefirmen, die von risikofreudigen Kapitalgebern finanziert werden, dem „Venture Capital“ (VC), wie es im Branchenjargon heisst. Die Mehrzahl dieser Start-Ups verbrennt in den ersten Betriebsjahren Geld, und zwar nicht zu wenig, bis sie entweder profitabel werden oder es den Kapitalgebern reicht und diese den Stecker ziehen. Mangels positiver Einkünfte sind die Start-Ups darauf angewiesen, dass ihnen die Venture-Kapitalisten laufend neues Geld nachschiessen, um über die Runden zu kommen.
Solange die Zinsen niedrig oder gar negativ waren, lief dieser Mechanismus gut. Als aber die Notenbanken zwecks Inflationsbekämpfung mit den Zinserhöhungen begannen, stiegen zum einen die Finanzierungskosten für die VC-Geber. Zum anderen brachten Staatsanleihen plötzlich wieder echte Rendite und wurden dadurch für Investoren wieder attraktiv.
Die Folge: Der Strom frischen Geldes für die Start-Ups begann zu versiegen, und um liquide zu bleiben, mussten die Firmen ihre Geldbestände bei der SVB angreifen und entsprechend Mittel von der Bank abziehen. Zur Klarstellung: Wir reden hier nicht von ein paar hunderttausend Euro wie bei einem Start-Up im Linzer Industriegürtel. In Silicon Valley darf man da gleich mal drei Nullen dranhängen. Ein solcher Abfluss geht natürlich an keiner Bank spurlos vorüber, egal wie umsichtig die Manager dort arbeiten.
Zudem hatte die SVB einen Großteil ihrer eigenen Geldreserven in festverzinslichen Wertpapieren wie z.B. den US-Treasuries (US-Staatsanleihen) mit mittlerer Laufzeit geparkt. Auch daran ist nichts aussetzen, auch österreichische Großbanken machen das ähnlich. Dumm nur, dass die Zinsen schneller gestiegen sind als wie diese Festverzinslichen durch neue ersetzt werden konnten. Denn wenn die Zinsen steigen, sinken die Kurswerte bestehender Anleihen, ein einfaches finanzmathematisches Grundgesetz. Im Regelfall macht das wenig, wenn man die Wertpapiere bis zur Endfälligkeit halten kann. Schlimm wird es nur, wenn man vorfristig verkaufen muss. Denn dann bekommt man weniger Geld, als man ursprünglich bezahlt hat, und macht einen Verlust. Und genau das ist der SVB zum Verhängnis geworden.
Die Lawine kam ins Rollen, als die Rating-Agentur Moody’s vor gut einer Woche die Kreditwürdigkeit von SVB herunterstufen wollte, eben weil der Buchwert ihrer Kapitalreserven gesunken war. Und wie in solchen Fällen üblich, rief Moody’s bei der Bank ein paar Tage im voraus an. Das Management von SVB wollte dem entgegenwirken und entschloss sich, für 20 Milliarden Dollar niedrigverzinsliche Anleihen zu verkaufen und für das Geld neue Bonds mit höheren Marktzins zu erwerben. Das hätte zunächst einen Nettoverlust von 1,8 Mrd. US$ bewirkt. Die Lücke sollte aber mit dem Verkauf von 2,5 Mrd. US$ neuer Aktien, also einer Kapitalerhöhung, mehr als geschlossen werden. Die rufschädigende Abstufung wäre vermieden worden, so der Plan.
Doch der Schuss ging nach hinten los. Die Nachricht von der angedachten Herabstufung ließ sich in der Branche nicht geheimhalten, die Kunden der SVB wurden nervös und zogen immer mehr Geld ab. Gleichzeitig brach der Aktienkurs der SVB-Mutter Silicon Valley Finance um über 60% ein, die Idee der Kapitalbeschaffung am Aktienmarkt war damit gestorben. Ein Teufelskreis ohne Entrinnen, der schließlich mit der Schließung der Bank durch die kalifornischen Behörden am Freitag abend endete.
Auch wenn die lodernden Flammen erstmal gelöscht sind, könnte es im Verborgenen weiter schwelen. Denn das Vertrauen, vor allem der institutionellen Kunden, in die Banken hat einen massiven Knacks erhalten. Niemand weiss im Moment, welche verborgenen Risiken in den Bilanzen schlummern könnten. In Europa sorgt man sich vor allem um jene Institute, die sich stark im Immobiliensektor engagiert haben. Denn die aggressiven Immobilienkonzerne in Europa sind das Äquivalent der Start-Ups in Silicon Valley: Hochgradig kreditfinanziert in Zeiten der Negativzinsen, intransparent in der Bewertung ihrer Assets, und von daher extrem zinssensibel. Der Autor hat hier auf ZurZeit, online und im Print-Magazin, seit längerem vor diesem Risiko gewarnt.
Wie geht es nun weiter? Auf jeden Fall hat der Fall SVB den Spielraum der Fed und auch der EZB für die eigentlich sicher geplanten Zinserhöhungen diesen Monat erheblich eingeschränkt. Als Folge sind am Montag die Umlaufrenditen der ein- bis vierjährigen Staatsanleihen deutlich gesunken. Das heisst aber auch, dass die Bekämpfung der Inflation wohl fürs erste mit gebremstem Schaum erfolgen wird, um das Bankensystem nicht weiter zu verunsichern. In den USA wird man wohl kleinere Banken, die am meisten gefährdet sind, mit guten Worten und sanftem Druck zu Fusionen mit kapitalstärkeren Partnern bewegen wollen. In Europa wird die EZB wohl das tun, was sie am besten kann: Nichts.