Bhutan – Sehnsuchtsland der Woken vergrault Touristen

by John Tuscha

Autor: U.K. Bilder: pixabay/jboots Lizenz: CC BY-SA 4.0


Der Himalaya-Staat muss Tourismus-Zwangsgebühr reduzieren, sonst droht die Pleite.

Das Königreich Bhutan, in der Landesprache Dzongkha “Druk Yul”, in etwa “Land des Donnerdrachens”, genannt, ist ein legendenumwobener Bergstaat im Bereich der östlichen Himalaya-Region. Flächenmäßig etwa halb so groß wie Österreich leben dort nur etwa 770.000 Menschen, und der Großteil des Landes ist von Wäldern und Hochgebirgsgipfeln bedeckt, die bis über 7.500 Meter hinauf reichen.

Doch das Himalaya-Land, das bei idealistischen Esoterikern und woken Gutmenschen als eines der Traumziele schlechthin gilt, steht plötzlich vor einem ökonomischen Riesenproblem. Denn die wichtigen Tourismuseinkünfte sind katastrophal eingebrochen. Und dies weitestgehend selbstverschuldet, durch staatliche Raffgier und Selbstüberschätzung.

Die herrschenden Eliten, das Königshaus der Wangchuck-Dynastie und der buddhistische Klerus, haben das zwischen Indien und China gelegene Land bis in die jüngste Vergangenheit hermetisch abgeschottet. So war z.B. Fernsehen bis 1999 strikt verboten, um laut offiziellen Aussagen “die Verwässerung der eigenen Kultur zu verhindern”. Gleiches galt bis 2007 für jegliche politischen Parteien, und Mobiltelefone und Internet wurden erst 2004 zugelassen; zähneknirschend, um nicht völlig den Anschluss an die moderne Welt zu verlieren.

Statt auf wirtschaftliche Prosperität und Wirtschaftswachstum setzen Bhutans Regierende ganz auf das Primat von Natur- und Umweltschutz, und auf die Idee eines “Bruttonationalglücks” (BNG). Dieses ist seit den Neunziger-Jahren sogar als Staatsziel gesetzlich verankert. Gemessen wird das BNG durch regelmäßige staatliche Befragungen der Bürger Bhutans. Dabei spielen subjektive Faktoren wie “Spiritualität” oder “ausreichend Schlaf” (kein Witz!) in den Fragebögen eine weitaus größere Rolle als “freiheitliche Grundrechte” (im Originaltext “Fundamental Rights”), und objektive ökonomische Faktoren wie Einkommen oder Hausbesitz kommen nur am Rande vor.

Das Konzept des Bruttonationalglücks geht davon aus, dass der Staat am besten weiß, was für seine Untertanen gut ist. Das beginnt mit der “richtigen” Religion, dem Buddhismus, der in Bhutan alleinige Staatsreligion ist, dem richtigen Lebenswandel (keine Zigaretten, kein Alkohol), keinem Aufmucken gegen den traditonellen Verhaltenskodex der herrschenden Ngalop-Oberschicht und geht bis zur korrekten Kleidervorschrift. Wer in Bhutan leben will, muss sich einer knallharten Assimilationspflicht unterwerfen, von Multi-Kulti keine Spur. Das hat dazu geführt, dass Bhutan in den 1990ern rund 100.000 Nepalesen, die man in den Jahrzehnten zuvor als willkommene Arbeitskräfte ins Land geholt hatte, damals wieder nach Nepal vertrieben hat.

Hierzulande wird Bhutan gerne als ein Traumland glücklich und friedvoll lebender Menschen angesehen, besonders von Grünen und anderen Tagträumern, die von der Idee des “betreuten Denkens” und des Vorrangs von vorgeblichem Klimaschutz vor wirtschaftlichem Wohlergehen begeistert sind. Doch die ökonomische Realität in dem Himalaya-Staat spricht eine andere Sprache. Die Jugendarbeitslosigkeit in der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre ist mit 19% bedrohlich hoch, die Säuglingssterblichkeit liegt mit 25,6 Todesfällen pro 1.000 Geburten rund zehnmal höher als in Europa. Zwar rühmt sich Bhutan, praktisch CO2-neutral zu sein. Das ist aber auch kein Wunder, denn eine nennenswerte Industrie gibt es nicht. Obwohl 60% der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten, kann sich das Land nicht mit Lebensmitteln selbst versorgen, sogar Reis muss importiert werden. Angesichts des starken Bevölkerungswachstums, in den letzten 20 Jahren um über 34%, befürchten Experten für die Zukunft eine Verschärfung des Nahrungsmittelproblems.

Zur Lösung seiner ökonomischen Probleme bedarf es sinnvoller Investitionen, und dazu bedarf es harter Devisen, denn mangels eigener Industrie kann man im Land selbst nichts dazu beitragen. Aktuell ist der wichtigste Devisenbringer der Export von Strom aus mehreren großen Wasserkraftwerken in die Nachbarländer Indien und Bangladesch. An zweiter Stelle stehen die Einnahmen aus dem Tourismus, denn Bhutans malerische Klöster und hohe Berge ziehen sowohl Kulturreisende wie Bergfexe gleichermaßen an.

Durchaus richtig hat sich Bhutan dazu entschlossen, auf die Auswüchse von Massen- und Billigtourismus zu verzichten. Stattdessen setzt man auf, Zitat, „High Value, Low Impact“, was etwa bedeuten soll “Hohe Einnahmen, wenig Nebenwirkungen”, man träumt von einem Oberklasse-Reiseziel. Aber anders als bestehende gehobene Destinationen wie etwa Kitzbühel oder Lech am Arlberg in Österreich, oder St. Moritz und Zermatt in der Schweiz, will man die hohen Einnahmen nicht mittels Spitzenhotellerie und entsprechendem Rahmenangebot für Gäste erreichen, sondern durch eine staatliche Zwangsgebühr, die jeder Gast pro Tag und Nase zu zahlen hat. Genannt “Sustainable Development Fee” (SDF, = “Nachhaltige Entwicklungs-Gebühr”), sollen die Einnahmen daraus angeblich Kultur und Natur des Berglandes bewahren. Schaut man aber genau hin, so verschwinden die Einkünfte in einem “Consolidated Account”, aus dem als erstes mal die Ausgaben der Regierung und des Verwaltungsapparates und die Zinsen der Staatsschulden zu bezahlen sind. Sollte danach noch etwas übrig sein, so darf dies für Schulen, Gesundheitswesen oder Renovierung historischer Gebäude verwendet werden. Naja, Nachhaltigkeit sieht eigentlich anders aus…

Die SDF gibt es schon seit langem. Sie betrug bis zur Corona-Krise stolze 65 US-Dollar pro Tag und Person, zahlbar auch für Kinder ab 12 Jahren. Und dies wohlgemerkt, extra zu den normalen Kosten für Hotel, Essen, Getränke und Transport. Als Gegenleistung bekam man eine schöne Quittung und gutmenschliches Gewissen. Kaum ein Bhutan-Tourist hat wirklich nachgefragt, was denn in Wahrheit mit diesem Eintrittsgeld passiert.

Doch als im letzten September Bhutan seine Corona-Maßnahmen beendete und Touristen wieder ins Land durften, hat die dortigen Budgetverantwortlichen wohl der Größenwahn getroffen. Unglaubliche 200 Dollar sollten die Gäste jetzt zahlen, angeblich um den gestiegenen CO2-Ausstoß der Urlauber zu kompensieren. Für eine vierköpfige Familie also 800 Dollar SDF pro Tag für nichts, Unterkunft und Verpflegung kommen ja extra dazu. Allein für das Geld der SDF-Steuer urlaubt die Familie woanders im Luxushotel mit Gourmet-Pension, und auch reiche Leute können rechnen.

Aber damit hat Bhutan ganz klar den Bogen überspannt. Denn während im benachbarten Nepal, mit vergleichbarer Landschaft und Kultur, die Gästezahlen sich mittlerweile wieder auf Vorkrisen-Niveau erholt haben, blieben in Bhutan die Besucher aus. Gerade mal 14.000 vollzahlende Touristen wollten das glückliche Land des Donnerdrachens sehen; die anderen 42.000 Besucher waren Inder, die nur umgerechnet 14,5 Dollar pro Nase zahlen müssen. Das ist um Größenordnungen weniger als die 315.000 Ausländer, die Bhutan im Vorkrisenjahr 2019 bereist hatten.

Und vermutlich hat man die wohlhabenden Gäste mit dieser Abzocke nachhaltig vergrault. Denn als Bhutan im Juni als erste Notmaßnahme extra Gratistage bei längerem Aufenthalt einführte, war der Effekt gleich Null. Vor wenigen Tagen nun verkündete Dorji Dhradhul, der Direktor von Bhutans Tourismus-Behörde, die Reduzierung der Tagesgebühr um die Hälfte auf 100 Dollar. Gelten soll das ab 1. September, um wenigstens die Hochsaison, die dann beginnt, noch halbwegs zu retten.

Ob das wirkt, bleibt abzuwarten. Denn Reisen nach Bhutan müssen lange vorher geplant werden, Ausländer dürfen das Land nur im Rahmen einer vorgebuchten Pauschalreise besuchen. Für Bhutan sind die ökonomischen Folgen schon jetzt gravierend. Das Land ist auf den Tourismus dringend angewiesen, sowohl als Devisenbringer wie auch als Verdienstquelle für die Bevölkerung. Nach den Plänen von Dhradhul soll der Tourismus in Zukunft 20% zum Bruttoinlandsprodukt (BIP, ja. das gibt’s da auch!) beitragen. Mangels anderer realistischer Einkommensquellen sei dem kleinen Land das zu wünschen. Damit es gelingt, muss man aber den Gästen ein Qualitätserlebnis bieten und nicht nur staatliche Gebühren-Abzocke. Ansonsten landet man ganz schnell auf dem harten Boden der wirtschaftlichen Realität, Bruttonationalglück hin oder her.

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