Autor: E.K.L. Bild: IDF Spokesperson’s Unit / CC BY-SA 3.0
Führt die brachiale Vorgangsweise in eine Sackgasse?
In den letzten Monaten sind, wenn wir der renommierten „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) vom 28. Dezember 2023 Glauben schenken dürfen, im Gazastreifen mehr als 20.000 Zivilisten infolge der Bombenangriffe der israelischen Luftwaffe zu Tode gekommen. In einigen Gebieten im Norden gelten laut UNO-Berichten rund 80 Prozent aller Gebäude als zerstört. Selbst die engsten Verbündeten Israels, die USA, zweifeln inzwischen diese Taktik an. Israel riskiere die internationale Unterstützung zu verlieren, meint kürzlich der US-Präsident. Wegen der, wie Joe Biden sich ausdrückt, „willkürlichen Bombardierung“ des Gazastreifens.
Weswegen kommt es zu derart vielen Todesopfern unter der Zivilbevölkerung (Alte, Frauen, Kinder, Behinderte, Kranke)? Die Frage ist naheliegend, da nach Medienberichten die Luftschläge der Israelis vorher mit Flugblättern angekündigt und erst danach punktgenaue Angriffe auf einzelne Häuser oder Wohnblöcke erfolgen würden.
Ein Grund für die massive Zerstörung und für die vielen toten Zivilisten ist die Art der Bomben, die Israel verwendet. Fast die Hälfte sind nämlich reichlich unpräzise Freifallbomben. Allgemein kann zwischen zwei Arten unterschieden werden: Freifallbomben und Lenkwaffen. Erstere sind klassische Fliegerbomben, wie sie im Zweiten Weltkrieg abgeworfen wurden. Westliche Armeen setzen dagegen seit Jahren vermehrt auf Präzisionsmunition. Die USA entwickeln bereits vor der Jahrtausendwende einen sogenannten JDAM-Waffenzusatz.
JDAM bedeutet „Joint Direct Attack Munition“. Durch die Montage dieses intelligenten Teils auf eine simple Freifallbombe ist es möglich, diese zu einer GPS-gesteuerten Lenkwaffe umzurüsten, die ihr Ziel punktgenau trifft. Bereits im Irak-Krieg vor zwei Jahrzehnten prahlen US-Militärs, sie könnten dadurch beispielsweise bei einem Angriff wählen, ob die Bombe im Herren- oder Damenklosett eines ins Visier genommenen Hotels in Bagdad einschlage.
Dass Israel nun aber vor allem nichtgelenkte Freifallbomben einsetzt, ist auch deshalb aufsehenerregend, weil westliche Staaten diese kaum mehr verwenden. Bereits bei Angriffen auf Ziele in Libyen 2011 setzt man ausschließlich Lenkwaffen ein. Die Kritik Washingtons an der Verwendung von althergebrachten Fliegerbomben (oft in der 1.000-kg-Version) durch die Israelis ist freilich aus einem Grund erstaunlich: Denn es sind die USA selber, die Tel Aviv damit versorgen. Seit Oktober haben die Amerikaner der israelischen Luftwaffe mindestens 10.000 Stück dieser primitiven, aber gleichwohl todbringenden Waffe geliefert. Allenfalls, so steht zu vermuten, weil die US-Waffenindustrie sich derartiger Ladenhüter entledigen will.
Grundsätzlich werden wegen der niedrigeren Zielgenauigkeit sehr viel mehr Freifallbomben benötigt, um Objekte zu treffen. Groben Schätzungen zufolge braucht man statt einer Tonne GPS-gelenkter Bomben bis zu 20 Tonnen Freifallbomben, um denselben militärischen Effekt zu erzielen. Doch je mehr Bomben abgeworfen werden, desto mehr Kollateralschäden entstehen. „Kollateralschäden“ hört sich recht harmlos an, in der Realität handelt es sich um Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung sowie um deren Wohnstätten.
Niklas Masuhr vom Center for Security Studies der ETH Zürich führt einen weiteren Grund für die von vielen als unverhältnismäßig eingestufte Vorgangsweise aus: „Generell kann man sagen: Je niedriger die Verlustbereitschaft bei den eigenen Soldaten ist, desto mehr Unterstützung aus der Luft wird vor der Bodenoffensive benötigt“. Wie schon die Kriege in Vietnam und Afghanistan zeigen, sind exzessive Luftschläge keine Garantie für einen Sieg. Nota bene: Auch der Durchhaltewillen der Zivilbevölkerung ist dadurch nicht zu brechen.
Israel sollte sich über kurz oder lang von Brachialmethoden verabschieden und sich intelligenter Vorgangsweisen bedienen. Zum Beispiel gut durchdachter Kommando-Unternehmen. Nur dann besteht eine Chance, Geiseln zu befreien und der Hamas-Führung habhaft zu werden.
Falls Tel Aviv die eingangs erwähnte Kritik aus Washington an sich abperlen lässt, dann könnte es eng werden. Denn die USA haben nach dem 7. Oktober 2023 dem Staat Israel zwar über 14 Milliarden Dollar Militärhilfe zugesichert – zusätzlich zu den knapp vier Milliarden Dollar, die Israel ohnehin jedes Jahr aus Washington erhält –, aber falls die Netanjahu-Regierung auf den bisher praktizierten Bombenteppichen zu Lasten der Zivilbevölkerung beharrt, dann könnte auch in den traditionell israelfreundlichen Vereinigten Staaten die Stimmung kippen.
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